Chicago

Originaltitel
Chicago
Land
Jahr
2002
Laufzeit
113 min
Genre
Regie
Release Date
Bewertung
8
8/10
von Frank-Michael Helmke / 29. Juni 2010

Verrat. Gewalt. Sex. Intrigen. Leidenschaft. Mord. And all that Jazz. Mit "Chicago" darf das Wort "Retro" wieder in den Wortschatz aller Trendscouts aufgenommen werden, denn mit der Kinoadaption des erfolgreichen Bühnen-Musicals von Bob Fosse kehrt nicht nur die Musik und Mode der Zwanziger zurück ins Licht der Öffentlichkeit, sondern eben auch das Musical in seiner klassischen Form zurück auf die Leinwand. Und weil dies ein Genre ist, auf das man in den USA als ur-amerikanisch stolz sein kann, darf guten Gewissens prognostiziert werden, dass es hierfür nicht nur den Oscar als besten Film geben wird, sondern dass sich auch mehrere Nachahmer finden werden. Was nicht ganz unironisch ist, denn genau genommen erntet "Chicago" jetzt nur das ab, was Baz Luhrmann vor einem Jahr mit "Moulin Rouge" gesät hat. Aber dieses popkulturelle Feuerwerk war in seiner ungebremsten Leidenschaft wohl doch ein bisschen zuviel für manche älteren Herrschaften, so dass Luhrmann sich damit zufrieden geben muss, den Boden bereitet zu haben für die triumphale Rückkehr des Musicals, während die Preise dafür die Leute einsacken, die an die Sache etwas traditioneller ran gehen.

So wahnsinnig traditionell ist "Chicago" dabei - in Musicalmaßstäben gedacht - allerdings auch nicht, denn wenn es in den meisten Musicals um ehrenhafte und hochmoralische Helden geht, die sich Liebe und großes Glück durch hehre Taten verdienen, ergötzt sich "Chicago" mit Wonne an der vollkommenen Korrumpiertheit einer Verbrechensmetropole: Chicago in den Zwanziger Jahren, das ist eine Stadt regiert von Gangstersyndikaten, korrupten Beamten, sensationsgeilen Zeitungen und einer Öffentlichkeit, die Mörder als Stars verehrt. Und für diesen Star-Status ist jemand wie Velma Kelley (Catherine Zeta-Jones) wie geschaffen: Als Revue-Tänzerin ohnehin schon ein glamouröses Ereignis, wird sie nach dem Doppelmord an Schwester und Ehemann zum Superstar und feilt vom Gefängnis aus zusammen mit der Wärterin "Mama" Morton (Queen Latifah) und ihrem windigen Anwalt Billy Flynn (Richard Gere) lässig an ihrem Freispruch. Einen Strich durch diese hübsche Rechnung macht jedoch das dümmliche Starlet Roxie Hart (Renée Zellweger), deren Erfolgsträume einer Bühnenkarriere zwar reichlich naiv sind, die nach dem Mord an ihrem Liebhaber aber sehr schnell die Gesetze der geschickten Manipulation lernt und ihrem einstigen Vorbild Velma so hintereinander nicht nur den Anwalt, sondern auch die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit klaut.
Man sieht's schon: Hier sind wirklich alle verlogen, und haben wahnsinnig viel Spaß dabei. Die einzige ehrliche Haut im ganzen Szenario, Roxies Ehemann Amos (John C. Reilly), ist denn auch nicht mehr als ein leichtgläubiger Spielball in den Intrigen von Anwalt und Angeklagter, der von allen geflissentlich ignoriert wird, wenn sie ihn gerade nicht brauchen.

Verbrechen verführt, und selten war es so sexy wie hier: Das Trio Zeta-Jones/Zellweger/Gere zieht eine fantastische Show ab, die auch vor keinem Gerichtssaal halt macht, und über die süffisanten Seitenhiebe auf eine gnadenlos einfach zu manipulierende Öffentlichkeit kann man sich gar köstlich amüsieren, wenn man dafür zwischen dem grandiosen Vergnügen der Sing- und Tanznummern noch Zeit findet. Denn selbstredend ist "Chicago" als aller erstes ein Musical, inklusive den Schwächen, die das so mit sich bringt: Auch wenn die schmissige Geschichte sich temporeich entwickelt, bleibt sie insgesamt seicht und nicht mehr als ein Gerüst für die Showeinlagen. Drama findet man hier nicht und eine großartige Aussage schon mal gar nicht - außer vielleicht, dass der Ehrliche immer der Dumme ist.
Doch mit solchen naturgemäßen Makeln eines jeden Musicals sollte man sich auch hier nicht weiter aufhalten, dafür bietet "Chicago" einfach viel zu viel Spaß: Von den markigen Sprüchen des selbstverliebten Anwalts Flynn ("Wenn Jesus heute in Chicago gelebt hätte, und ich hätte ihn verteidigt, wäre die Sache ein bisschen anders gelaufen") über Roxie Harts gekonntes Spiel mit dem eigenen Dummchen-Image bis hin zu der vor selbstsicherer Attitüde geradezu explodierenden Velma. Die ist denn auch der eigentliche Star der Show, in jeder Hinsicht: In einem größtenteils fabulös agierenden Ensemble (mit Zellweger, Zeta-Jones, Reilly und Queen Latifah sind vier Darsteller für den Oscar nominiert, Gere wurde zwar übersehen, gewann aber bereits den Golden Globe) ist Catherine Zeta-Jones der gar nicht heimliche Star: als einzige schon im voraus in Gesang und Tanz ausgebildet, macht sich Michael Douglas' Ehefrau ihren Vorsprung zu Nutze und stiehlt sämtlichen Kollegen die Show. Als hätte Jimi Hendrix seinen Song "Foxy Lady" nur für sie geschrieben, singt und tanzt Zeta-Jones mit unerreichter Klasse und Energie alle anderen an die Wand und liefert ein Paradebeispiel dafür ab, wie man aus einer Nebenrolle den besten Teil des ganzen Films macht. Da sieht Renée Zellweger beizeiten wirklich alt aus, so dass man ihre Auszeichnung als beste Darstellerin in der Kategorie Komödie/Musical bei den Globes nicht wirklich nachvollziehen kann.

Aber solcherlei Ungerechtigkeiten nachhängen ist verlorene Liebesmüh', vor allem, wenn die unmoralischen Gewissenlosigkeiten in "Chicago" ein solches Vergnügen als Gegenleistung bieten. Das Film-Musical wird hier nicht revolutioniert oder wiederauferweckt (diese beiden Ehren bleiben "Moulin Rouge" vorbehalten), in seiner Ausführung ist "Chicago" jedoch fast beanstandungsfrei und bietet all das, was ein hervorragender Vertreter dieses Genres haben sollte: Vorzüglich agierende Darsteller in einer mitreißenden Nummernrevue aus Tanz- und Gesangseinlagen, die noch lange im Gedächtnis bleiben werden (Richard Geres Stepptanz-Kreuzverhör sei hier verdientermaßen als genialischer Höhepunkt erwähnt), kurz: ein hemmungslos auf temporeiche Unterhaltung getrimmtes Stück Hochglanz-Kino, mit richtig schön viel Stil. And all that Jazz.


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