MOH (5): 1. Oscars 1929 - "Chang"
In unserer Serie "Matthias' Oscar History" (MOH) bespricht Matthias in jeder Folge jeweils einen der zwischen den Jahren 1929 und 2000 nominierten Oscar-Beiträge aus der Kategorie "Bester Film".
In der letzten Folge haben wir “Flügel aus Stahl“ zu seiner Auszeichnung als offiziell erster “Bester Film“ und somit dem Eintrag in die Oscar-Geschichtsbücher gratuliert. Nicht ohne aber darauf hinzuweisen, dass im ersten Jahr der Academy Awards ursprünglich die Kategorie “Unique and Artistic Picture“ als gleichwertiger Gegenspieler an den Start ging. Die dortigen drei nominierten Stummfilme sind alle auf ihre Art so faszinierend, dass wir sie in unserer Reihe nicht übergehen möchten. Nominiert waren der spätere Gewinner “Sonnenaufgang – Lied von zwei Menschen“ des deutschen Regisseurs F.W. Murnau, das Sozialdrama “Ein Mensch der Masse“ und die semi-realistische Dschungel-Doku “Chang“. Letzterem Film widmen wir uns in dieser Folge und entdecken dabei eine spannende Verbindung zu einer der berühmtesten Kinofiguren aller Zeiten.
Chang
“Chang“ ist wohl eine der exotischsten Nominierungen in der Geschichte der Academy Awards. Vordergründig eine Stummfilm-Dokumentation über das Leben einer einfachen Bauernfamilie im thailändischen Dschungel, entwickelt sich der Film am Ende fast zu einer Art Vorläufer des klassischen Disney-Films. Wenn man mal davon absieht, dass für die Produktion echte Tiere ihren Tod fanden (worauf wir später noch kommen). “Chang“ schildert in seiner nur knapp 70-minütigen Laufzeit den Alltag der thailändischen Familie dabei vor allem als Überlebenskampf gegen die “wilden Biester“ des Dschungels – allen voran Tiger, Panther und Elefanten. Dabei erhält man einige durchaus interessante Einblicke in den Alltag und die Fertigkeiten der Dschungel-Bewohner, wie zum Beispiel den Bau komplexer Fallen. Doch man merkt bald, dass der Film vor allem möglichst viel Spannung und Unterhaltung erzeugen möchte und sich dafür nicht zu schade ist, den dokumentarischen Ansatz doch deutlich schleifen zu lassen.
Am augenscheinlichsten wird dies anhand der Rolle des Affen Bimbo, dem Mitbewohner der Familie. Der darf brav den lustigen Sidekick spielen und bekommt via Texttafeln immer mal wieder einen lustigen One-Liner in den Mund gelegt. Am Ende schwingt er sich schon fast zum eigentlichen Star des Films auf, der sogar seine eigene und rasant umgesetzte Verfolgungsjagd erhält. Angesichts der Tatsache, dass die Macher mit relativ bescheidenen Mitteln damals tatsächlich vor Ort im heutigen Thailand drehten ist das Ergebnis für die damalige Zeit wirklich eindrucksvoll, auch wenn man heute natürlich ein anderes Niveau in diesem Genre gewohnt ist. Umgesetzt ist das aber trotzdem einfach oft ziemlich charmant, da die beiden Regisseure Merian C. Cooper und Ernest B. Schoedsack genauso clever wie manipulativ vor allem durch den Schnitt immer wieder richtig gut künstlich Spannung erzeugen und die Tiere geschickt „menschlich“ wirken lassen. Dafür greift man bei diesen allerdings auf eine sehr “klassische Rollenverteilung“ zurück, vom mordlustigen Tiger und dem tobenden Elefanten bis eben hin zum lustigen Affen.
Dass sich mit einem Affen eine gute Geschichte erzählen lässt, stellten die zwei Männer übrigens einige Jahre später eindrucksvoll unter Beweis. Mit “King Kong und die weiße Frau“ hoben Cooper und Schoedsack 1933 ihre Leidenschaft für tierische Geschichten auf eine neue Stufe und erschufen einen der wohl berühmtesten Filmcharaktere der Kinogeschichte. So kann man “Chang“ durchaus als faszinierendes Vorspiel für unseren legendären Affen begreifen, da man schon hier ordentlich übt, mit dem “Potential“ gefährlicher Tiere clever Spannung zu generieren und so die Geschichte voranzutreiben. Allerdings in kleinerem Rahmen und mit echten Tieren, was uns dann noch zu einem nicht ganz so angenehmen Punkt bringt.
So faszinierend die Arbeit der beiden Filmpioniere in “Chang“ auch ist, man darf natürlich nicht unerwähnt lassen, dass dem Film ein fader Beigeschmack beiwohnt. Um möglichst viel dramatische Momente zu generieren, wurde der Tod von Tieren für die Aufnahmen damals billigend in Kauf genommen. Heute glücklicherweise nicht mehr vorstellbar, hinterlässt dies bei manchen Szenen dann doch auch ein mulmiges Gefühl, wenn beispielsweise offensichtlich Elefanten gequält wurden. Rein filmisch ist “Chang“ aber, trotz diesem Kritikpunkt, insgesamt ein interessanter und sehr kurzweiliger Streifen – gerade auch mit dem Wissen, was die beiden Regisseure später mit ihren Talenten noch so anstellen würden.
"Chang" ist aktuell (zumindest in Deutschland) leider nicht auf DVD erhältlich, allerdings online über Milestone Films käuflich erwerbbar. Alternativ ist der Film auch auf YouTube zu finden (Suche nach “Chang 1927“).
Die ersten Minuten von "Chang"
Ausblick
In der nächsten Folge entdecken wir mit “Ein Mensch der Masse“ unsere erste echte Filmperle und den Beweis, dass auch über 100 Jahre alte Filme uns zu Tränen rühren können.
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