Eine Kindheit im Nordosten Anatoliens. Bilder von satten, grünen Wäldern und einem kleinen Jungen, der sich seinen Weg bahnt. Semih Kaplanoglu beschließt mit seinem kontemplativen Meisterstück "Honig" seine Yusuf-Trilogie in der er rückwärts (!) die Lebensgeschichte des türkischen Dichters Yusuf erzählt. In "Ei" kehrt Yusuf als erfolgreicher Dichter von der Stadt zurück aufs Land, um seine verstorbene Mutter zu beerdigen. In "Milch" erzählt Kaplanoglu vom 18-jährigen Yusuf, der sein Heimatdorf verlässt und seine ersten Gedichte veröffentlicht. In "Honig" ist Yusuf (Bora Altas) noch ein kleines Kind. Der Film konzentriert sich auf die wunderbar liebevolle Beziehung zwischen dem Kleinen und seinem Vater, einem Bienenzüchter, der schon bald weiterziehen muss, weil die Bienen aus dem Wald verschwinden. Yusuf und sein Vater - das sind Momente voller Zartheit und Anmut. Jeden Tag liest Yusuf seinem Vater das Kalenderblatt laut vor. Er macht es gut, auch wenn er hin und wieder ins Stocken gerät. Doch wenn es darum geht in der Schule laut vorzulesen, versagt er. Ein großes leeres Glas mit einer kleinen roten Anstecknadel ist das schmerzhafte Zeichen seines Scheiterns vor den Klassenkameraden und dem Lehrer. Schließlich hat bereits die ganze Klasse so einen Anstecker, nur Yusuf nicht, da er es noch nicht geschafft hat einen Text fehlerfrei vorzulesen. Die Mutter meint, Yusuf sollte zum Imam, vielleicht kann der ihm helfen. Der Vater sagt, der Junge sei nur aufgeregt. Die Harmonie zwischen Vater und Sohn ist ein Leitmotiv dieses wunderbar inszenierten Films. "Bären lieben Honig", scherzte Semih Kaplanoglu auf der diesjährigen Berlinale, als ihm der Hauptpreis von Werner Herzog überreicht wurde. Dem Regisseur, der neben Nuri Bilge Ceylan sicherlich zu den wichtigsten Vertretern des jungen türkischen Kinos gehört, ist mit "Honig" ein wirklich ganz großer Wurf des europäischen Arthauskinos gelungen. Der Film ist geprägt durch äußerst lange statische Einstellungen, in denen nur vereinzelt Bewegungen stattfinden. Das fordert den Zuschauer, weil man sich auf diesen Film einlassen und ihn sicherlich konzentrierter betrachten muss als den letzten Blockbuster - aber "Honig" macht es einem einfach, und die Befriedigung nach dem Film ist unbezahlbar. Die langsame, beobachtende Erzählweise - übrigens typisch für den jungen türkischen Film - hätte durchaus langweilig werden können. Doch Kaplanoglu erweist sich als Regisseur mit einem präzisen inszenatorischen Stil. Jeder Schwenk, jeder Schnitt, die ganze Anordnung der Dinge im Bild entspringt nicht dem Zufall oder der Improvisation, sie sind bis aufs Kleinste geplant und gewollt. Das erinnert dann in seinen stärksten Momenten an das Kino von Antonioni, Renoir und vor allem Bresson. Der Wald und das Kind. Das sind die beiden Hauptdarsteller von "Honig" und man wird sicherlich lange suchen müssen, um einen enigmatischeren Laiendarsteller zu finden als den achtjährigen Bora Altas, der hier den Yusuf spielt. Der Junge prägt den Film mit seinem neugierigen Blick und trägt maßgeblich zum Erfolg des Werkes bei. Man schließt ihn auf der Stelle in sein Herz und streift mit ihm durch die Wälder Anatoliens, die Kaplanoglu mit einer atemberaubenden Eleganz zeigt. Der Regisseur wird nicht müde zu betonen, dass er an Originalschauplätzen gedreht hat. Mittlerweile sind viele Stellen abgeholzt. Heute könnte er "Honig", so wie er jetzt ist, nicht mehr filmen. Damit ist der Film auch eine mahnende Erinnerung an die Schönheit einer bedrohten Region. Kaplanoglu hat mit seiner Yusuf-Trilogie dem europäischen Arthauskino wieder frischen Atem eingehaucht. Das was auch bitter nötig. Ästhetisch betritt er zwar kein Neuland, aber er beweist wie viel Kraft in der Ruhe einer Erzählung liegen kann, die sich fast ausschließlich auf die Symbolkraft der Bilder verlässt. Und natürlich macht es ganz besonders viel Spaß gewisse Parallelen und Motive in "Honig" wiederzuentdecken, die man aus "Ei" und "Milch" kennt. Doch "Honig" funktioniert auch, ohne dass man die beiden anderen Teile gesehen hat. Denn er ist in erster Linie eine ungeheuer sensible Vater-Sohn-Geschichte, die man so auf der Leinwand lange nicht mehr gesehen hat. |
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