Es hätte klappen können. Fast wäre sein Plan aufgegangen. Doch am Ende von "Attentat auf Richard Nixon" wird Sam Bicke scheitern, und zwar an sich selbst. Sam Bicke ist ein einfacher Mann. Leider läuft in seinem Leben so ziemlich alles schief, was man sich vorstellen kann. Sein Bruder will nichts von ihm wissen, seine Frau hat ihn verlassen. Sie hat die Kinder mitgenommen und zu allem Übel noch die Scheidung eingereicht. Selbst auf der Arbeit, wo er als Möbelverkäufer seinen Unterhalt verdient, ist er der zynischen Geschäftspolitik seines Chefs hilflos ausgeliefert. Sam ist am Verzweifeln, und er hat auch schon längst den Schuldigen für seine Misere ausgemacht, nämlich das unfaire kapitalistische Machtsystem unter Präsident Richard Nixon.
"What happens, Mr. Bernstein, to the land of plenty, when there's plenty for the few and nothing for the plenty? Is that the American Dream?", fragt Bicke in einer Aufnahme an seinen Beichtvater, den berühmten Komponisten und Dirigenten Leonard Bernstein. Die Aufnahmen sollen Zeugnis seiner Tat sein und nur Bernstein, dessen Musik für Bicke "rein und ehrlich" ist, ist es würdig sein Geständnis zu hören. Es ist die Begründung einer Verzweiflungstat.
Regisseur und Co-Autor Niels Mueller ließ sich von wahren Begebenheiten inspirieren. Am 22. Februar 1974 stürmte ein Mann namens Samuel Byke ein Passierflugzeug und forderte, dass die Piloten damit ins Weiße Haus fliegen. Sein Ziel: Der Tod von Präsident Richard Nixon. Basierend auf dieser Geschichte liefert Mueller mit seinem Regiedebüt nun eine markerschütternde Charakterstudie eines Mannes ab, der sein persönliches Scheitern als Folge einer von Machtgier zerfressenen Gesellschaft sieht.
Es gab in der Filmgeschichte schon einmal jemanden, der als Rächer der Ausgenutzten auftrat und das ganze System stürzen wollte. Travis Bickle in Martin Scorseses "Taxi Driver" hat nicht nur einen ähnlichen Namen, sondern auch ähnliche Beweggründe wie Bicke. Entstanden 1976, war Bickles Geschichte eine filmische Abrechnung mit den Wahllügen eines Richard Nixon und seiner missglückten Vietnampolitik. Bickle war in Vietnam und hat als Soldat direkt den Schrecken und das Leid des Krieges am eigenen Leib erfahren. Der Krieg hat ihn verändert, zur gefühllosen Maschine gemacht.
Sam Bicke wird sich auch verändern. Dabei probiert er doch alles, um einigermaßen gut über die Runden zu kommen. Er ist halt nicht zum Geschäftsmann geboren. Wenn sein Chef (wunderbar: Jack Thompson) ihm versucht zu verklickern, dass er lügen muss, um ein guter Verkäufer zu sein, hält Bicke naiv dagegen: "Aber man muss nicht lügen". Wenn er dann noch seinen Schnurrbart abrasieren soll, weil er damit seriöser wirkt, versteht er die Welt nicht mehr. Er will den Job wieder hinschmeißen, übrigens genau der Grund warum ihn seine Frau (auch wunderbar: Naomi Watts) vor zwei Jahren verlassen hat. Sie muss sich schließlich auch in ein kurzes Kleid quetschen, um als Kellnerin gut auszusehen. Sie muss eben ihre Kinder ernähren, und auch Sams bester Freund Bonny (und noch mal wunderbar: Don Cheadle) lässt als Afroamerikaner aus ähnlichen Gründen rassistische Sprüche seiner Kunden über sich ergehen, um seinen Job nicht zu verlieren. All dem sieht Sam zu. Er kann das alles nicht verstehen. Wo ist die Gerechtigkeit? Was ist mit dem amerikanischen Traum? Der Schuldige läuft ständig auf den Fernsehbildschirmen: Richard Nixon.
Sams Weg wäre vielleicht nicht halb so eindrucksvoll, wenn nicht Sean Penn ihn verkörpern würde. Und man kann nicht müde werden, wenn man wieder einmal die darstellerische Leistung dieses Ausnahmeschauspielers lobt und würdigt. Wie kraftvoll, wie energisch er schreit oder weint. Der Begriff der Tour de force scheint kaum noch ausreichend, um diese Leistung zu erfassen. Sean Penn trägt diesen Film auf seinen eher schmächtigen Schultern. Seine Dominanz schafft eine bedrückende Atmosphäre, die den Film so eindrucksvoll werden lässt. Es handelt sich um eine wahre Sternstunde seiner an Höhepunkten nicht gerade armen Karriere. Wie belanglos und schlecht wäre das ganze Projekt geworden, wenn Penn seine Figur als sympathisch verkauft hätte. Das einzige, was man Bicke nach den ganzen 95 emotional aufwühlenden Minuten entgegenbringen kann, ist Mitleid, weil man die Welt einmal für eine kurze Zeit durch die Augen eines Mannes gesehen hat, der scheitert und verrückt wird.
Wenn sich das ganze überbordende Lob für diesen Film ansieht, fragt man sich zu recht: Warum lief er nie in den deutschen Kinos? Was um alles in der Welt ist passiert, dass die Branche sich so eine kleine Perle durch die Finger gehen lässt? Schließlich ist er in Cannes 2004 gefeiert worden, sowohl der Regisseur als auch die brillante und namhafte Besetzung. Und auch hinter den Kameras hat einige Hollywood-Prominenz die Entstehung des Films unterstützt. So ließt man erstaunt in den Credits die Namen der beiden Executive Producer Leonardo Di Caprio und Alexander Payne ("About Schmidt", "Sideways") und den des Produzenten Alfonso Cuáron ("Harry Potter 3", "Children of Men"). Die internationale Filmkritik hat "Das Attentat auf Richard Nixon" gefeiert, doch das US-Publikum wollte kaum etwas von dem Film wissen: mit einem Einspielergebnis von weniger als einer Million Dollar wurde mehr als deutlich, dass in der traumatisch-patriotischen Stimmung nach dem 11. September kaum jemand mit einer solch selbstreflexiven und -kritischen Thematik konfrontiert werden wollte. Und ohne einen nennenswerten US-Erfolg traute sich dann wohl auch kein hiesiger Verleiher, den Film auf unsere Leinwände zu bringen.
Aber zum Glück gibt es ja die DVD. Endlich. Dabei ist die technische Umsetzung überzeugend. Mit anamorphen Widescreen Bildformat und einem Dolby Digital 5.1 Surround Sound bleiben eigentlich keine Wünsche offen. Das Bonusmaterial ist allerdings dann doch etwas spärlich geraten. Neben einer nichtssagenden "Behind the Scenes"-Dokumentation, kann man sich noch fünf kurze "Deleted Scenes" ansehen (entweder mit oder ohne Regiekommentar). Der obligatorische Audiokommentar von Niels Mueller darf natürlich auch nicht fehlen, doch liefert der Regisseur wenig Neues und somit bleibt einem eine ergänzende Sichtweise auf den Film leider verwehrt. Aber wenn es etwas Positives an dem Aufkommen der DVD gibt, dann ist es der Vorteil, Filme problemlos in der Originalversion sehen zu können. Und nur in der Originalversion offenbart sich schließlich die ganze Wucht der Penn'schen Darbietung, und allein diese ist den Kauf der DVD bereits wert.
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