Disclaimer

von Matthias Kastl / 11. Oktober 2024

Die siebenteilige Miniserie “Disclaimer“ von AppleTV+ ist ein wundervolles Beispiel dafür, wie sehr sich die Serienlandschaft in den letzten Jahren verändert hat. Früher von Hollywood belächelt, gehört eine Serie für viele Größen der Branche ja inzwischen ganz selbstverständlich ins eigene Portfolio. Kein Wunder, schließlich bieten die Streamingdienste heute deutlich mehr künstlerische Freiheiten als die meisten Kinoproduktionen und lassen sich große Namen (noch) ordentlich was kosten. So kommt es, dass wir im Fall von “Disclaimer“ sowohl vor als auch hinter der Kamera gleich auf eine ganze Wagenladung an teils mehrfachen Oscar-Gewinnern treffen.

Alleine beim mexikanischen Duo Alfonso Cuarón (Regie) und Emmanuel „Chivo“ Lubezki (Kamera) schnalzt man als Filmliebhaber ja schon mit der Zunge. Auch vor die Kamera scheint man hier nur zu dürfen, wenn man entweder einen Oscar gewonnen hat (Cate Blanchett, Kevin Kline) oder zumindest mal für einen solchen nominiert war (Sacha Baron Cohen, Lesley Manville, Kodi Smit-McPhee). Doch angesichts vieler bekannter Namen steigen natürlich auch die Erwartungen an das Endprodukt, die „Disclaimer“ am Ende aber leider nicht erfüllen kann. Und das sowohl trotz als auch wegen einer atmosphärisch sehr dichten Inszenierung.
 


Hohe Erwartungen hat man auch an die Arbeit der in London lebenden Investigativ-Journalistin Catherine Ravenscroft (Cate Blanchett, “Aviator“, “Carol“). Während deren berufliche Leistungen gefeiert werden, sieht es in ihrem Privatleben dagegen nicht ganz so rosig aus. Richtig erfüllt fühlt sich die Beziehung mit ihrem Ehemann Robert (Sacha Baron Cohen, “Borat“, “The Trial of the Chicago 7“) nämlich nicht an und eine wirkliche Bindung zu ihrem Sohn Nicholas (Kodi Smit-McPhee, “The Power of the Dog“, “The Road“) hat Catherine auch nicht. Doch das Glück der Familie wird erst so richtig auf die Probe gestellt, als Catherine eines Tages ein Buch von einem Unbekannten (Kevin Kline, “Der Eissturm“, “Der rosarote Panther“) zugespielt bekommt, in dem sie selbst die Hauptfigur ist. Angesichts der autobiographischen Züge des Werks befürchtet Catherine, dass schon bald ein bisher verschwiegenes und ziemlich dramatisches Kapitel aus ihrem Leben an die Öffentlichkeit geraten könnte – mit nicht absehbaren Folgen für ihr Berufs- aber vor allem auch Privatleben.

Ein Kapitel, das sich vor allem um einen einstiegen Italienurlaub von Catherine dreht, dessen dramatischen Ereignisse wir hier aber natürlich nicht verraten werden. Die Serie tut das wiederum mit der Hilfe zahlreicher Rückblenden, um uns so immer wieder neue Story-Brotkrumen zuzuwerfen. Mystery-Freunde dürften aber eher enttäuscht sein, denn es kristallisiert sich eigentlich relativ schnell heraus, um was es sich dabei handelt. Und auch mit welcher Absicht der von Kevin Kline gespielte Unbekannte dieses Buch Catherine nun zugespielt hat. Es geht “Disclaimer“ nämlich weniger um den Aufbau eines clever konstruierten Geheimnisses, als viel mehr um die damit verbundenen Emotionen der Figuren. Und angesichts des nun wirklich illustren Ensembles und dem Talent von Cuarón (“Roma“, “Gravity“) besteht ja durchaus berechtigte Hoffnung, dass dies für ein tolles Serienerlebnis schon ausreichen wird.
 


Um dieses Ziel zu erreichen entscheidet sich Cuarón dabei für eine Inszenierung, die das ganze Geschehen fast schon wie eine Art Traum wirken lässt. So treffen wir auf eine ruhige, ja fast sedierende Kameraführung durch Sets, die mit Absicht oft etwas (digital) künstlich und teils auch leicht kitschig wirken. Was so weit geht, dass man zwar aufwendig vor Ort in Italien gedreht hat, durch die leichte digitale Verfremdung und Übersättigung von Farben die Aufnahmen aber teils wie im Studio produziert aussehen. Dabei grenzt vor allem jenes Italienkapitel hier und da schon fast ein wenig an eine Parodie, wenn zum Beispiel am Schluss der ersten Folge eine romantische Szene nicht nur übertrieben kitschig inszeniert, sondern auch noch mit der zuckersüßen Ballade „Ti amo“ von Umberto Tozzi untermalt wird. Da sträuben sich im ersten Moment natürlich alle Haare des Filmkritikers, aber dann stellt sich ein kleines Lächeln ein, da man ahnt, dass der gute Cuarón uns hier wohl ein wenig Hops nehmen möchte.

Denn natürlich schwebt über all dem die Frage, ob diese Rückblenden und damit auch die Passagen aus dem mysteriösen Buch nun wirklich der Wahrheit entsprechen. Die leicht verfremdete Inszenierung dieser Passagen verstärkt diese Unsicherheit geschickt und verleiht der Serie gleichzeitig einen wirklich sehr faszinierenden Flow, dem man sich in den ersten Folgen kaum entziehen kann. So stark, dass man dabei schon fast vergisst, dass die Serie in anderen Bereichen auch etwas schwächelt. Das liegt vor allem an einem weiteren Stilmittel, mit dem man das ganz spezielle Flair der Serie weiter unterfüttern möchte. Passend zum Buch im Film gibt es nämlich auch hier eine Erzählerin, die uns immer wieder aus dem Off mit in die Gefühlswelten der Figuren nimmt. Teilweise erzählen diese sogar selbst aus dem Off, was sie denn jetzt gerade denken und fühlen.
 


Genau das ist aber leider ein Problem. Denn auch wenn dies zu der leicht künstlichen Stimmung der Geschichte beiträgt, hält es einen auch immer auf Abstand zu den Figuren. Es ist eben ein Unterschied, ob man eine Emotion wirklich live erlebt oder ob diese einem aus dem Off sozusagen aufgedrängt wird. Noch dazu, wenn diese Kommentare dann meist relativ banal ausfallen und teils nur Offensichtliches aussprechen. So hat dann selbst eine so großartige Schauspielerin wie Blanchett, eine der besten ihrer Generation (wir ignorieren mal das diesjährige “Borderlands“-Desaster), so ihre Schwierigkeiten ihre sowieso schon eher simpel gezeichnete Figur wirklich interessant zu gestalten – geschweige denn eine enge Verbindung zum Publikum aufzubauen. Auch Kline, dessen Figur immerhin etwas vielschichtiger daherkommt, gibt sich zwar Mühe, aber kann unser emotionales Interesse an seiner Rolle auch nur über die ersten drei Folgen aufrechterhalten.

So stellt sich die Serie mit der Art der Inszenierung und Dramaturgie ein wenig selbst ein Bein, da man einfach nie so richtig nahe an die Figuren heranrücken will. Das gilt insbesondere auch für die Nebenfiguren, bei denen gerade der von Kodi Smit-McPhee gespielte Charakter viel zu blass und uninteressant ausfällt. Faszinierender ist es da schon fast den zahlreichen Katzen in der Serie zuzuschauen, die wirklich extrem natürlich mit ihren menschlichen “Co-Stars“ interagieren. Und dabei gleichzeitig auch eine symbolische Rolle einnehmen und die sonst vorherrschende Kälte zwischen den menschlichen Protagonisten konterkarieren. Wobei man sich (da spricht aber auch ein Katzenbesitzer) schon bei manchen Szenen immer wieder fragt, wie man das wohl am Set so gut hinbekommen hat.

Dass man aber im Laufe der Zeit sich schon fast eher mit der Frage nach den Trainingsmethoden der Katzen als dem Schicksal der Figuren beschäftigt, ist natürlich kein gutes Zeichen. Womit wir dann zu der Tatsache kommen, dass mit der atmosphärischen Inszenierung auch der Glaube verbunden ist, dass Cuarón mit all dem einen cleveren Plan verfolgt und uns etwas Spannendes über unterschiedliche Wahrnehmungen oder vielleicht sogar das vom Film gestreifte Thema Cancel Culture erzählen möchte. Doch in der zweiten Hälfte der Serie wird man in dieser Hinsicht leider enttäuscht. Je deutlicher indes wird, dass hier gar nicht soviel Cleveres dahintersteckt, desto mehr gewinnen die Schwächen, gerade bezüglich der Figurenzeichnung, die Oberhand.

Womit “Disclaimer“ sich am Ende als ein lange zwar hübsch anzuschauendes Versprechen auf einen tieferen Sinn entpuppt, dessen Risse mit der Zeit aber immer stärker zu Tage treten und das letztlich einfach nicht eingelöst wird. Und gerade die letzte Folge darf man in ihrer Banalität durchaus als kleines Ärgernis bezeichnen – da hätte man gerade von Cuarón doch mehr erwartet. Mag sein, dass die Erwartungen vielleicht auch einfach zu hoch waren und am Ende ist es natürlich auch ein klassischer Fall von "Style over Substance", was je nach Geschmack auch zu unterschiedlichen Reaktionen auf die Serie führen wird. Für den Rezensenten überwiegt hier gerade angesichts der Beteiligten am Ende aber eher der Frust über den Mangel besagter Substanz. 

"Disclaimer" startet mit den ersten zwei von sieben Folgen am 11. Oktober 2024 auf AppleTV+. Danach erscheinen die ausstehenden Folgen jeweils im Wochenrhythmus.

Bilder: Copyright

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