Der Grindhouse-Münchhausen

von Simon Staake / 17. November 2010

11.06.2007 - Erstaunlich aber wahr, dass eine deutsche Sagengestalt im Jahre 2007 ihre Auferstehung feiert im unförmigen Körper eines Mafiosi-artigen amerikanischen Filmproduzenten. Gestatten: Harvey Weinstein, Reinkarnation des Baron von Münchhausen. Beruf: Lügenbaron (bisweilen auch Erpresser, Halsabschneider und Filmzerstörer). Sein neuestes Opfer: "Grindhouse".

Es war eigentlich ein bombensicheres Konzept, Tarantinos und Rodriguez' "Grindhouse", und die Geschichte, wie dieses Konzept dann im Gesicht der Beteiligten explodierte, ist so wirr wie unnötig. Dabei war doch am Anfang alles einfach und klar:
"Grindhouse" - zwei der hippsten Regisseure drehen zwei kurze Trashfilme, die dann als Double Feature im Stil der amerikanischen B-Filmkinos (eben jene "grindhouses") vergangener Tage zusammen für den Preis eines Einzelfilms gezeigt werden. Das an sich simple Rezept wurde aber schon im Nu in Einzelteile zerlegt, seitens der Regisseure und seitens des Produzenten. Tarantino und Rodriguez wichen schnell von der ursprünglichen Vorgabe ab, ihren jeweiligen Film in einer guten Stunde über die Bühne zu bringen, und aus dem Zwei-Stunden-Film wurde (wie bei Tarantino ja nach den "Kill Bill"-Filmen leider zu erwarten) ein über drei Stunden langes Epos, was sich später noch als fatal herausstellen sollte.
Fatal war im Voraus bereits Harvey Weinsteins Geschäftsgebaren für die ausländischen Filmmärkte. In der Branche auch als "Harvey mit den Scherenhänden" bekannt, weil er ungeachtet künstlerischer Absichten der Regisseure gerne mal Schneideraum-Massaker anordnet, machte Harvey seinem Namen wieder alle Ehre, in dem er das "Grindhouse"-Double Feature für alle nicht-englischsprachigen Länder in zwei separate Teile schnitt, unter der mehr als absurden Begründung, dass in Europa die Leute mit einem Double Feature nichts anfangen könnten, weil sie ja keine "Grindhouse"-Tradition hätten. Abgesehen davon, dass etwa Großbritannien, auch nicht grade als Mekka der B-Filmkinos bekannt, aus dieser Weinstein-Logik herausgenommen wurde, stank diese Begründung natürlich schlimmer als drei Wochen alter Fisch. Das Konzept "Zwei Filme zum Preis von einem" dürfte, so will man doch meinen, international verständlich sein. Da roch es also wieder ganz stark nach der Art von Abzocke, bei der man auch zweimal zahlen durfte, um Bill gekillt zu sehen.

Dummdreist ging Harvey nach den ersten Protesten enttäuschter Überseefans in die Offensive, indem er den schwarzen Peter erst an die jeweiligen Verleihfirmen abgeben wollte, die dies angeblich selbstständig veranlasst hatten. Eine dreiste Lüge, die auch prompt innerhalb kürzester Zeit enttarnt war. Daraufhin nötigte Harvey Münchhausen seine Regisseure, die erzwungene Teilung als eigenen Wunsch auszugeben, was ebenfalls nachweislich gelogen ist, hatten doch beide Regisseure über Wochen vorher sich ausgiebig über das Konzept ausgelassen und immer betont, das "Grindhouse" ein Filmprojekt sei.
Dass Tarantino und Rodriguez dann unter Druck einknickten wie die Knochen ihrer Filmprotagonisten, verweist auch mal wieder auf die Grenzen der sogenannten "Independent Studios". Denn Independent war etwa Miramax schon zu Boomzeiten vor einer Dekade längst nicht mehr, und kreative Freiheit wurde unter der Weinstein-Ägide schon damals zugunsten des Profits aus dem Fenster geworfen. Dass dies unter dem Mantel der "Weinstein Bros. Co." nicht besser werden würde, ist da nur folgerichtig. Aber wer sich als Outlaw und Rebell gegen das System hochstilisiert, wie es Tarantino und Rodriguez machen, darf ruhig ein bisschen mehr Rückgrat zeigen. Und zwar das sprichwörtliche, nicht nur das von Autounfällen oder Zombies freigelegte.

Als reiche ihm der bisherige Eiertanz nicht, ritt sich Harvey auf seiner Kanonenkugel immer weiter rein. Die nächste Idee, die unruhige Fangemeinde außerhalb englischsprachiger Territorien zu beruhigen: Ein Trostpflaster muss her! Wer zweimal zahlt, bekommt dann zumindest Exklusiv-Material für sein Geld! Die separierten "Grindhouse"-Teile haben eine etwa 20 Minuten längere Laufzeit, indem das Material aus der "fehlenden Filmrolle", dank der in der US-Version ein gewollter Handlungssprung gemacht wird, wiedereingefügt wird.
Schön und gut, aber auch das reichte Harvey Münchhausen noch nicht in der schier endlosen Reihe peinlicher Rechtfertigungen. Um diesen faulen Kompromiss weiter zu bewerben, verstieg er sich bei den Filmfestspielen in Cannes gar zu der Behauptung, diese wieder integrierten 20 Minuten (die von den Regisseuren zwar gedreht, aber willentlich und absichtlich entfernt wurden) wären "die Essenz der Filme", die man eigentlich gar nicht hätte herausnehmen dürfen, um der Integrität des Films nicht zu schaden. Während Harvey Scherenhand-Opfer auf der ganzen Welt jetzt mal laut auflachen dürfen, durften sich alle Seiten zumindest kurzzeitig bemogelt fühlen: Die englischsprachigen Fans, weil ihnen laut Harvey Münchhausen ja die "Essenz" der Filme vorenthalten wurde, der Rest sowieso, weil sie zwar die "Essenz" bekommen, aber zweimal zahlen dürfen. Dass das "Essenz"-Geschwätz natürlich nur Harveys größte Lüge war, zeigt dann das in "Deathproof" wieder hinein genommene Material, dass im Grunde genommen Ausschuss ist, den man nicht vermisst hätte und der einen zu langen Film noch viel länger macht.

Was diesen lachhaften Eiertanz Weinsteins dann aber erst so richtig herrlich macht, sind die "Grindhouse"-Einspielergebnisse in den USA. Mit lausigen 11 Millionen am Startwochenende und einem blitzartigen Verschwinden aus den Top Ten ist "Grindhouse" fürchterlich gefloppt - und mit ihm Harveys Pläne und Rechtfertigungen. Denn man darf hier schadenfroh festhalten, dass sich die Logik gegen ihren Anwender drehte. Während das ja durchaus intellektueller an diese Art Experimente herangehende europäische Publikum wohl positiver reagiert hätte, aber um diese Erfahrung geprellt wird, war es das amerikanische Publikum, das mit dem "Grindhouse"-Konzept nichts anfangen konnte: Gerüchte über etliche Kinogänger, die aus Unwissenheit über die Doppelpackung nach dem ersten Teil des Double Features (Rodriguez' "Planet Terror") den Saal verließen und ergo Tarantinos Film gar nicht mehr ansahen, häuften sich, und außer der Hardcore-Gemeinde schien sich kaum jemand so recht für das Konzept begeistern zu können.
Wobei man, mit Verlaub, diesen Flop durchaus hätte vorhersehen können. Denn wenn etwas am von den amerikanischen Jugendlichen der "dating crowd" beherrschten Markt vorbeiproduziert wurde, dann "Grindhouse". Diese jungen Leute brauchen schon gute Gründe, um sich dreieinhalb Stunden in einen Kinosessel zu fläzen, und diese Gründe gibt ihnen "Grindhouse" schlichtweg nicht.

Und so fliegt Harvey Münchhausen abseits der Realitäten weiter auf der Kanonenkugel durch abstruse Begründungen, halbherzige Beschwichtigungen und vor allem dicke fette Lügengebilde. Aber der dicke fette Flop, für den er ja eine nicht grade kleine Mitverantwortung trägt, wird ihm trotzdem wehtun. Wie hoffentlich auch der dicke fette Spott der dem dicken fetten Harvey angesichts seiner desaströsen Werbekampagne entgegenschlägt, auch von uns hier. Da muss sich jemand jetzt mal auf seinen dicken fetten Hintern setzen und gründlich nachdenken, damit nicht das nächste Prestigeprojekt ähnlich den Bach runter geht.


Ich glaube kaum, dass das körperliche Volumen von Herrn Weinstein etwas mit diesem Flop und seinem Verhalten zu tun hat und selbst wenn, hätte ein wenig mehr understatement ihrer durchaus berechtigten Kritik gut getan.
Mit dem Aufruf zum guten Ton,
Peter

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