Eine Unsitte breitet sich aus auf den weltweiten Kinoleinwänden, und niemanden scheint es zu stören. Nirgendwo regt sich Protest und kaum jemand scheint überhaupt eine Meinung dazu zu haben, dass dem Publikum Stück für Stück ein Jahrzehnte lang lieb gewonnenes Ritual immer öfter vorenthalten wird. Die Rede ist vom Vorspann, auf englisch auch "Opening Credits" genannt, in denen zu stimmungsvoller Musik das produzierende Studio stets stolz präsentierte, wie das folgende Werk heißt, wer darin mitspielt und wer es geschrieben und inszeniert hat.
Das kann eher schlicht geschehen, wenn etwa die Handlung unter den eingeblendeten Namen bereits anläuft, oder auch sehr pompös, wenn man sich in einem "Indiana Jones", "Star Trek" oder "Superman"-Film befindet zu dem etwa ein John Williams die Fanfaren erklingen lässt. Es können dabei auch kleine Kunstwerke entstehen, wie der gezeichnete Vorspann mit dem einprägsamen "Pink Panther"-Thema oder erst kürzlich die "Watchmen"-Eröffnung, bei welcher während der laufenden Credits mal eben die komplette Vorgeschichte der Hauptfiguren illustriert wird. Auf jeden Fall erzeugt ein gekonnter Vorspann aber vor allem eine emotionale Einstimmung und Vorfreude auf das, was folgen wird, und war eben deshalb praktisch seit Beginn der Filmindustrie ein einfach dazugehörender Bestandteil des Kinoerlebnisses.
"War" ein Bestandteil heißt es aber eben immer öfter, denn seit einigen Jahren hat im Kino der Trend Einzug gehalten, auf den klassischen Vorspann entweder ganz zu verzichten oder ihn aber stattdessen ans Ende des Films zu packen und diesen somit immerhin etwas peppiger und interessanter ausklingen zu lassen, als es die nackte, vor einem schwarzen Hintergrund abrollende Schrift sonst üblicherweise tat. Ob bei Thrillern wie "Illuminati", Dramen der Kategorie "Benjamin Button", den Abenteuern von Captain Jack Sparrow "Am Ende der Welt" oder selbst beim sonst in allen anderen Belangen klotzenden "Avatar" - stets ist eine kurze Einblendung des Filmtitels zu Beginn das höchste der Gefühle (und bei "Avatar" nicht mal das), die Namen von Regisseur, Autor, Kameramann und der Schauspieler jedoch erfährt man erst am Ende des Films (jedenfalls die, die dann noch sitzen bleiben). Die Beispiele sind zahllos und bei aktuellen Hollywood-Produktionen mittlerweile eher die Regel als die Ausnahme. Ohne irgendwelche Umschweife wird der Zuschauer hier direkt ins Geschehen geworfen. Konnte man in solchen Fällen früher noch sicher sein, dass die "Opening Credits" dann halt erst nach ein paar Minuten und einer knalligen Eröffnungssequenz starten (Vorbild: James Bond), so wartet man nun immer öfter völlig vergebens darauf. Und zumindest wir stellen jetzt einfach mal die Frage in den Raum, warum das denn bitte sehr plötzlich so gemacht wird?
Es scheint, als würde das Kino in diesem Punkt einer Vorgabe seines kleinen Bruders namens Fernsehen folgen. Doch während es für die Fernsehproduzenten ein paar handfeste und nachvollziehbare Gründe für den Verzicht auf einen all zu ausführlichen, wöchentlich wiederkehrenden Vorspann gibt (eine Faustregel im Geschäft sagt: Wenn sich der Zuschauer in den ersten drei Minuten einer Sendung langweilt, schaltet er um), haben diese für das Kino eigentlich keinerlei Bedeutung.
Wo aufgrund der ausufernden Werbepausen eine "One Hour Episode" tatsächlich oft nur noch eine Netto-Spielzeit von knapp über 40 Minuten hat, da gilt es Zeit zu sparen, das ist verständlich. Bei einem Kinofilm mit einer individuellen Laufzeit von für gewöhnlich um die zwei Stunden sollte diese eingesparten ein bis zwei Minuten aber eigentlich keine wirkliche Rolle spielen. Auch der Befürchtung, der Zuschauer könne ja bei einem zu langen Vorspann doch noch auf die unerfreuliche Idee kommen, lieber woanders hin zu zappen, können die Betreiber eines abgedunkelten Kinosaals doch eigentlich recht entspannt entgegensehen. Zu aufwändig und kostenintensiv, dieses kleine Extrafilmchen zur Eröffnung? Wohl kaum, denn dann würde man es ja nicht immer öfter als Abspann doch noch präsentieren, wie etwa in "Iron Man" oder "G.I. Joe". Was also könnte der Grund sein für die plötzliche Abkehr vom lange doch als unverzichtbar und einfach dazugehörig geltenden?
Der einzig halbwegs plausible Grund, der sich diesem Schreiber erschließen mag, ist die Befürchtung der Filmemacher, der Zuschauer könne durch einen ausführlichen Vorspann vielleicht aus der Illusion der Geschichte "herausgerissen" werden und sich zu sehr bewusst werden, dass es sich ja nur um eine von bestimmten Leuten ausgedachte und gespielte Geschichte handelt.
Aber bitte: Das ist doch nun wirklich jedem bewusst, der nicht gerade 20 Jahre im Wald von einer Wölfin großgezogen wurde und gerade erst in die Zivilisation vorgedrungen ist. Und diese nicht besonders schwere Aufgabe der Abstraktion hat schließlich die letzten knapp hundert Jahre auch funktioniert, wenn da irgendwann mal in großen Lettern stand "Cary Grant IN einem Film VON Alfred Hitchcock". Nein, es will einem partout kein überzeugendes Argument einfallen, warum uns plötzlich der Vorspann vorenthalten wird, und so scheut sich Filmszene auch nicht, diese bedenkliche Tendenz endlich mal zum Thema zu machen und hiermit öffentlich anzuprangern!
Als Trost bleibt da nur, dass eben doch noch nicht alle diesen Trend mitmachen (gerade kleinere Independent-Produktionen verhalten sich in diesem Punkt erfreulich konservativ) und dass es einfach noch ein paar Hemmschwellen und Grenzen gibt, an die sich doch wohl keiner rantrauen wird. Denn erst wenn also die letzte Bastion gefallen ist und auch ein James Bond auf seinen klassischen Vorspann und das Titellied verzichtet, ist wirklich alles vorbei. Möge es nie so weit kommen!
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