Man kann es sich fast bildlich vorstellen: Da saß er nun, Superproduzent Jerry Bruckheimer, und betrachtete versonnen seine Kontoauszüge mit den Einnahmen aus der "Pirates of the Caribbean"-Reihe, mit denen er sich einen Geldspeicher von Dagobert Duck'schen Ausmaßen bauen könnte. Aber man will ja auch noch eine schöne Auffahrt davor mit einem hübschen Springbrunnen, also könnte man nicht vielleicht doch noch einen Film…. Zugegeben, die Sache war eigentlich ausgereizt. Nach dem grandiosen ersten Teil hatten Bruckheimer und seine Crew mit den Fortsetzungen die Schraube weiter angezogen und mehr Stars, mehr Verwicklungen, mehr Action, mehr alles aufgefahren. Das machte Teil Zwei und Drei aber nicht nur zusehends überladen (und damit schwächer), sondern die Produktion auch zusehends teurer. Noch ein Grund, es jetzt gut sein zu lassen. Aber es marterte weiter in des Produzenten Kopf: Ein vierter Teil wäre soooo einfach zu vermarkten, ein Riesenpublikum garantiert. Und wenn man die Sache einfach etwas billiger herstellt als die Vorgänger, dann wird das doch noch was mit der schönen Auffahrt zum Geldspeicher….
Und so ist er hier nun also, der vierte Teil, der nur noch das hat, was man unbedingt braucht um noch als Teil der Franchise durchzugehen: Johnny Depp als Jack Sparrow. Außer ihm sieht man lediglich Geoffrey Rush als Sparrows ewigen Gegenspieler Barbossa und Kevin McNally als Sparrows ersten Maat Gibbs wieder, andere bekannte Gesichter sucht man vergeblich. Auch nicht mehr dabei sind Gore Verbinski, der auf dem Regiestuhl für Rob Marshall ("Chicago", "Die Geisha") Platz machte, sowie die titelgebende Karibik - billiger war's, diesmal auf Hawaii zu drehen, weshalb der Urwald in diesem Teil aussieht wie bei "Lost", aber nicht wie bei den Vorgängern. Gespart hat man außerdem bei den Action-Sequenzen und liefert hier einen Piratenfilm ohne eine einzige Schiffsschlacht ab. Und gespart haben auch die Stamm-Drehbuchautoren der Reihe Ted Elliott und Terry Rossio, und zwar an der Aufwendung von Hirnschmalz für diesen Teil. Tatsächlich investierten sie so wenig davon in ihr lust- und geistlos zusammengeschustertes Skript, dass sie es sogar schafften, die wenigen guten Ideen darin auch noch selbst zu übersehen.
Bestes Beispiel: Die erste Begegnung von Jack Sparrow mit der neuen weiblichen Hauptfigur. Zu Beginn der Handlung befindet sich Jack in London und ist genervt, da ein anderer Pirat sich als er ausgibt und mit Jacks gutem Namen eine Crew anheuert. Jack stellt seinen vermeintlichen Doppelgänger, und sieht sich auf einmal tatsächlich einer Person gegenüber, die zumindest im Halbdunkel genauso aussieht wie er - selbe Kleidung, selber Bart, exakt selber Bewegungshabitus. Als der künstliche Bart erstmal ab ist, entpuppt sich dies als Angelica (Penelope Cruz), die als brave junge Beinahe-Nonne einst von Jack verführt und so ins ruchlose Piratenleben hineingezogen wurde. Was hier bereit gelegt wird, ist reinstes Comedy-Gold: Man stelle sich eine Szene vor, in der die Gegenspieler durch das verwirrende Auftauchen eines zweiten Jack an der Nase herum geführt werden. Penelope Cruz, wie sie ausgiebig die unverkennbare Körpersprache von Johnny Depp als Jack Sparrow imitiert. Man kann es kaum erwarten…. Einzig, solch eine Szene kommt nie, und aus der Doppelgänger-Idee wird nichts mehr gemacht.
Angelica entführt Sparrow auf das Schiff ihres vermeintlichen Vaters, dem berühmt-berüchtigten Piraten Blackbeard (Ian McShane). Angeblich ist dieser der meistgefürchtete Freibeuter der Weltmeere, wirkt im Vergleich zu den Genossen, die man in den früheren Filmen getroffen hat, allerdings ziemlich harmlos. Was auch daran liegt, dass Blackbeard nie richtig zeigen darf, was er kann: In einer Szene wird ausgiebig etabliert, dass Blackbeards Schiff über zwei mächtige Flammenwerfer am Bug verfügt. Man stelle sich ein Schiffgefecht mit solch einer Waffe im Arsenal vor! Aber wiederum: Idee gesetzt, Idee nicht genutzt. Doppelt schade, weil Blackbeard über die Superkraft verfügt, einem Schiff Kraft seiner Gedanken seinen Willen aufzuzwingen - Seile verwandeln sich in willfährige Schlangenwesen, Segel und Ruder gehorchen ihm blind. Mehrmals im Film wird furchteinflößend erzählt, wie Blackbeard dank dieser Kraft eine ganze Armada an Schiffen bezwang - gezeigt wird solch eine Schlacht indes nicht. Ein großes Seegefecht gibt es hier wie gesagt ohnehin nicht zu bewundern.
Warum Sparrow entführt wird, ist der eigentliche Aufhänger der fürchterlich dürren Geschichte. Laut einer Prophezeiung soll Blackbeard nur noch zwei Wochen zu Leben haben und ist darum jetzt (erst) auf Teufel komm raus darauf erpicht, den sagenumwobenen Jungbrunnen im Dschungel des heutigen Florida zu finden. Und Jack weiß, wo dieser zu finden ist. Also wird er entführt und von Blackbeard erpresst, ihm zu helfen. Und zwar, indem Blackbeard droht, sonst Angelica zu erschießen. Das setzt natürlich voraus, dass Jack in Angelica verliebt ist. Und dass Blackbeard bereit ist, seine eigene Tochter zu erschießen. Beide Dinge werden von den Beteiligten standhaft geleugnet. Und so geht die nächste Runde des Franchise-eigenen "Wer ist eigentlich wirklich auf wessen Seite?"-Spiels los.
Das ist hier allerdings nicht nur weitaus weniger kompliziert als in den letzten zwei Teilen, sondern auch weitaus egaler. Wie so vieles von dem, was zwischen der Abreise aus London und der Ankunft in Florida passiert, schrecklich egal ist. Eine Reihe von Episoden, die für die eigentliche Handlung nicht mehr leisten, als ein paar Schachfiguren für den Showdown ins Spiel zu bringen, und ansonsten mit eingestreuten Action-Sequenzen ohne echte Konsequenz ihre Leere zu übertünchen versuchen. Zeugnis eines Skripts, in dem jedes Element lieblos auf seine notwendigste Plot-Funktion reduziert ist. Das geht los bei den vermeintlichen neuen Gegenspielern, den Spaniern: Der Film eröffnet mit einer Sequenz, in der die spanische Krone von einem Schiffbrüchigen einen Hinweis auf den Weg zum Jungbrunnen erhält und sofort ein Schiff losschickt. Bis kurz vor Ende (als man sie für den Showdown dann wieder gebrauchen kann) tauchen die Spanier dann quasi nicht mehr auf. Und es setzt sich fort mit einem der größten Schwachpunkte des Films: Angelica.
Die Figur von Jacks Gegenspielerin/Geliebten bleibt über den ganzen Film eine komplette Konstruktion, erbaut aus ihrer Plot-Funktion als weiblicher Part im Loyalitätskonflikt zwischen den beiden männlichen Kontrahenten. Sie entwickelt keine prägnanten Eigenschaften, keinen Charakter, und bleibt ein willenloses Spielzeug der Handlung, da kann man sie noch so sehr als toughe Kämpferin hinstellen. Dass ihre Figur so kolossal scheitert, ist indes am wenigsten Penelope Cruz anzulasten: Die wird hier einfach völlig allein gelassen, sowohl vom schwachen Drehbuch, als auch von ihrem Co-Star.
Die Chemie zwischen Cruz und Depp ist gleich Null, und das wundert wenig, agiert Depp doch im gesamten Film wie auf Autopilot. Was soll er sich auch groß anstrengen: Er hat diese Rolle inzwischen so verinnerlicht, dass er wahrscheinlich tagelang im Sparrow-Modus durch die Welt laufen könnte; es ist egal, was er macht, denn ohne ihn gäbe es diesen ganzen Film nicht; und da die Macher (und wohl auch das Publikum) nicht wollen, dass Jack sich verändert, gibt es auch keine Variationen im Spiel zu bewältigen. Für einen Schauspieler mit gewissem Anspruch ist das sterbenslangweilig, und so darf man sich kaum wundern (allerdings mit vollem Recht ärgern), dass Depp mit dem fetten Gehaltsscheck in der Tasche diese Nummer einfach auf einer Arschbacke absitzt, im sicheren Wissen, dass man ihn im Falle des Falles auch für einen fünften Teil verpflichten wird. Jack Sparrow war jedenfalls noch nie so unlustig und so unoriginell wie hier.
So ideen- und konzeptlos wie die neuen Figuren kommen auch die Action- und Effekte-Elemente des Films daher. In einer Geschichte um die Suche nach dem Jungbrunnen (nur wirklich interessant für Sterbliche) braucht man nicht wirklich übernatürliche "Monster"-Elemente. Die gehören zur "Pirates"-Reihe aber nun mal dazu. Und so sind die Offiziere auf Blackbeards Schiff eben "zombifiziert". Ist das irgendwie relevant? Nö. Wenigstens ein wenig von Bedeutung für die Handlung sind die auftretenden Meerjungfrauen, die man hier befremdlicher Weise mit einem Attribut einer anderen Fantasy-Rasse ausgestattet hat. Das soll wohl originell sein. Wirklich nötig ist es auch nicht.
Bei soviel Flickschusterei ist es wenig verwunderlich, dass "Pirates of the Caribbean: Fremde Gezeiten" es auch nicht hinbekommt, wenigstens eine nachhaltig in Erinnerung bleibende Action-Sequenz abzuliefern. Zumindest das haben die Vorgänger noch beeindruckend geschafft, man denke an Jacks Flucht als wandelnder Fruchtspieß oder das Klingenkreuzen auf einem rollenden Mühlrad aus Teil Zwei oder den Seeschlacht-Showdown von Teil Drei, in dem die mächtige Fregatte des englischen Bösewichts komplett zu Klump geschossen wurde. Ein grandioses Stück gigantomanischen Actionkinos, das hier leider nur eine neblige Erinnerung bleibt. Ohne Seeschlacht und mit einem Showdown, den man bequem in einem Studioset drehen konnte, bleibt der echte Spektakel-Faktor dieses vermeintlichen Feuerwerks auf dem Thrill-Faktor eines Chinaböllers hängen.
Ein Jack Sparrow auf Autopilot, eine Aneinanderreihung von Action-Episoden ohne großen Zusammenhang: "Pirates of the Caribbean: Fremde Gezeiten" fühlt sich wirklich ein wenig an wie ein Freizeitpark-Fahrgeschäft: Man fährt entlang einer Serie von Attraktionen, die automatisiert ihr Programm abspulen und dann in die Ausgangsposition zurückkehren. Das ist seelenlos und vor allem sehr schnell ziemlich langweilig. Und die einzige vermeintliche Neuerung beim Spektakel-Faktor - auch die "Pirates" gibt's jetzt in 3D - verpufft wirkungslos: Abgesehen von ein paar wenigen Bildern mit gelungener Tiefenwirkung tut der (einmal mehr aufgesetzt und nachbearbeitet wirkende) 3D-Effekt für den Film so wenig, dass man die meiste Zeit vergisst, überhaupt eine Brille auf der Nase zu haben.
Die drei Euro extra für die 3D-Fassung kann man sich also getrost schenken, wenn man sich schon trotz gut gemeinter Warnung in diesen Film setzt. Jerry Bruckheimer würde man damit jedenfalls einen großen Gefallen tun. Der kann sich dann vielleicht seine Geldspeicher-Auffahrt bauen, und wenn genug Leute ins Kino laufen, kann er sich auch noch zu einem fünften Teil erdreisten. Das Ende vom vierten Streich ist jedenfalls bewusst offen genug gehalten, um eine weitere Folge aus den Abenteuern des Captain Jack Sparrow zu ermöglichen, wenn nicht gar aufzudrängen. Auch wenn solch ein Quetschen am wunden Euter der cash cow nur einen ebenso unnötigen Film wie diesen hervorbringen kann. Aber was interessiert das Jerry Bruckheimer. Es muss doch schließlich noch ein Springbrunnen auf die Geldspeicher-Auffahrt.
P.S. - Notiz an Jerry Bruckheimer: Nächstes Mal bitte ein paar Euro mehr für den deutschen Titelübersetzer ausgeben. Wer die Steigerungsform übersieht und zudem nicht mal checkt, dass "strange" hier nicht "fremd", sondern "seltsam" bedeutet, raubt dem ohnehin schon nichtssagenden Untertitel auch noch den letzten Sinn.
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