Im vergangenen Winter lieferten sich zwei Vampir-Filme ein Duell, wie es ungleicher nicht hätte sein können. Auf der einen Seite "Twilight", der Zielgruppengerechte Hollywood-Blockbuster mit gigantischer Werbe-Kampagne, auf der anderen Seite "So finster die Nacht", das kleine, zurückgenommene Drama aus Skandinavien. Am Ende gab es zwei Sieger, jeder auf die Art und Weise, wie er es wollte. "Twilight" beglückte zahlreiche Teenie-Herzen, spülte allein in den USA knapp 200 Millionen Dollar in die Kassen und besitzt jetzt schon einen (dem Ursprungs-Plan um zwei Jahre vorgezogenen) Starttermin für einen zweiten und dritten Teil. "So finster die Nacht" fand ebenfalls sein (Nischen-)Publikum (knapp 31.000 Besucher in Deutschland) und wurde mit zahlreichen Preisen, Bestenlisten-Platzierungen und einem anstehenden US-Remake geadelt.
Verjüngen wir den Vampir um fünf Jahre, wandeln das Geschlecht und versetzen ihn in einen Vorort von Stockholm, so manifestieren sich die Unterschiede zum großen, fetten US-Kollegen in der Person der untoten Protagonistin von "So finster die Nacht".
Der zwölfjährige Oskar (Kare Hedebrant) ist schüchtern, ein Einzelgänger und leidet unter den Hänseleien dreier besonders fieser Mitschüler. Seine Mutter, die ihn allein erzieht, bekommt davon nicht viel mit. Oskar flüchtet sich in Rache-Phantasien, sticht mit einem Messer in Luft und Bäume. Eines Abends zieht merkwürdige neue Nachbarschaft zu, augenscheinlich ein Vater (Per Ragnar) mit einer Tochter (Lina Leandersson) im gleichen Alter wie Oskar. Der Mann vernagelt gleich nach seiner Ankunft sämtliche Fenster mit Brettern, bleibt zu den anderen Einwohnern später auf Distanz. Das Mädchen, das sich als Eli vorstellt, ist nur nach Anbruch der Dunkelheit draußen anzutreffen, seltsam blass und nur mit einem dünnen weißen Hemd bekleidet. Oskar und Eli sind zwei einsame Seelen, die sich miteinander anfreunden. Doch zwischen ihnen steht ein Geheimnis, welches einer längerfristigen Freundschaft im Wege stehen könnte.
Ein wirkliches Geheimnis ist das - zumindest für den Zuschauer - natürlich nicht. Schon sehr früh wird klar, dass es sich bei Eli um einen Vampir handelt. Doch obwohl dem Vampir-Mythos hier mitunter einige interessante Facetten abgewonnen werden (was geschieht, wenn ein Vampir uneingeladen eine Wohnung betritt oder gewöhnliche Menschen-Nahrung zu sich nimmt?), ist das Vampir-Sein eigentlich vollkommen zweitrangig. Was vielmehr von Interesse ist, das sind die Probleme, die sich daraus für alle Beteiligten ergeben.
Elis erwachsener Begleiter, dessen Verhältnis zu dem Mädchen nie richtig klar wird, begeht Morde, um den jungen Vampir mit frischem Blut zu versorgen, ordnet ihm alle persönlichen Belange unter, weit über die Schmerzensgrenze hinaus. Über die friedliche Kleinstadt bricht damit unvermittelt eine Serie von Bluttaten herein, die einige Bewohner unerwartet und hart trifft. Und Eli selbst ist dazu verdammt, immer und immer wieder anderen Personen das Leben zu nehmen, um ihr eigenes aufrecht zu erhalten. Universelle Themen wie Einsamkeit und Freundschaft, Leben und Tod, Opfer- und Hilfsbereitschaft werden hier angepackt. Dass es sich um eine Vampir-Story handelt, interessiert dabei nur am Rande.
Erzählt wird diese über weite Strecken komplett unspektakulär. Wenn man nicht wüsste, dass hier jemand Regie führt - man würde es kaum merken. So kühl, zurückhaltend und manchmal fast schon dokumentarisch mutet der Inszenierungs-Stil von Tomas Alfredson an. Lediglich in den raren "Action"-reicheren Momenten fällt beispielsweise das Vorhandensein von Musik mal wirklich auf. Etwas offensichtlicher sind da schon die nicht zu leugnenden Schwächen wie die gewisse Eingewöhnungsphase, die es braucht, um mit diesem Film wirklich warm zu werden, oder das mitunter doch etwas zähe Voranschreiten der Handlung. Und ob es die Szene mit wilden Katzen aus dem Computer, die in krassem Gegensatz zum sonstigen Geschehen steht, wirklich gebraucht hat, ist auch fraglich.
Eine weitere Schwäche, der man aber zumindest auf DVD aus dem Weg gehen kann und sollte, ist die deutsche Synchronisation, die besonders bei den beiden im Mittelpunkt stehenden Jungdarstellern grausam versagt. Was umso bedauerlicher ist, da es gerade diese Beiden sind, die von einem insgesamt sehr überzeugenden Cast am stärksten und eindrucksvollsten in Erinnerung bleiben.
Ganz Zartbesaiteten ist dieser Film nicht zu empfehlen, insbesondere, da immer wieder Kinder (wenn auch manchmal nur rein äußerlich) im Zentrum gewalttätiger Handlungen stehen. Was zunächst über den gesamten Film verteilt immer mal wieder auftritt, erreicht im Finale ein Niveau, welches einen schon erstmal schlucken lässt. Gerade in diesem Punkt wird es sehr interessant zu sehen sein, wie viel Intensität und wie viele diskutierbare Szenen dann im US-Remake noch übrig bleiben. Und ob die beiden jungen Protagonisten mal eben ein halbes Jahrzehnt älter gemacht werden, um die Zielgruppe deutlich zu erweitern.
Der Winter ist zwar mittlerweile vorbei, weshalb die Besichtigung von "So finster die Nacht" vielleicht nicht mehr ganz so stimmungsvoll ausfällt wie noch zum Jahreswechsel, doch verpassen sollte man diese kleine Perle mit verzeihbaren Schwächen nicht. "So finster die Nacht" überzeugt als erfrischender Beitrag zum Horror-Genre, erzählt eine ungewöhnlich-faszinierende Geschichte mit lebendigen Figuren angenehm und passend reduziert in seiner Inszenierung und bietet nach Filmschluss Raum für Diskussion und Interpretation. Komme, was wolle aus den USA - dieses schöne Erlebnis können sie uns nicht mehr nehmen.
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