Nick of Time - Gegen die Zeit

Originaltitel
Nick of time
Land
Jahr
1995
Laufzeit
90 min
Genre
Regie
Bewertung
von Frank-Michael Helmke / 14. November 2010

Filme entsprechen nicht der Realität. Dies ist eine der grundlegendsten Wahrheiten dieses Mediums, die man manchmal gerne verdrängen möchte, aber nie wirklich vergißt. Einer der Gründe dafür ist, daß den Leuten im Film viel zu viele interessante Dinge passieren, ohne daß der Zuschauer tatsächlich glauben würde, daß sich dies alles in Wirklichkeit so zutragen könnte. Eine der wenigen Möglichkeiten, dem Zuschauer etwas mehr Realitätsnähe vorzugaukeln, ist daher die direkte und pausenlose Verknüpfung der Ereignisse. Keine Hüpfer in der Handlung, es passiert nichts, ohne daß der Zuschauer es sieht. Inszenierung in Echtzeit.
Dies scheint jedoch eine Herausforderung zu sein, vor der die meisten Filmemacher kapitulieren. Zumindest haben es bis jetzt nur sehr wenige ausprobiert. Das Problem: Der Zuschauer muß die ganze Zeit über gefesselt sein, und dennoch müssen „normale“ Handlungen gezeigt werden. Das Von-da-nach-dort-Gehen, was normalerweise aus naheliegenden Gründen weggelassen wird, muß in den Plot integriert werden. Dieses und andere Probleme bewegen die meisten Regisseure wohl dazu, ein solches Projekt erst gar nicht anzugehen.
Es gibt kaum berühmte Beispiele für Filme in Echtzeit. Da wäre der ewige Western-Klassiker „Zwölf Uhr mittags“ von Fred Zinnemann, in dem Gary Cooper etwa eine Stunde vor Tagesmitte die Nachricht erhält, daß sein Erzfeind aus dem Knast raus ist und mit dem Mittagszug eintreffen wird, um mit ihm abzurechnen. Oder Alfred Hitchcock’s „Cocktail für eine Leiche“, ohne sichtbare Schnitte gedreht und daher zwingend in Echtzeit. Dann wäre da noch die Verfilmung des Dramas „Die zwölf Geschworenen“ von Sidney Lumet, das seinen besonderen Reiz dadurch gewinnt, daß man keinen Moment der spannenden Entscheidungsfindung versäumt. Und dann ... war’s das.

Es ist eindeutig: Für einen erinnerungswürdigen Film in Echtzeit braucht man eine Prämisse, die geradezu nach einer Echtzeit-Inszenierung schreit. Eine Handlung, von der der Zuschauer entweder keine einzige Sekunde verpassen will, oder die so sehr auf einen bestimmten Zeitrahmen konzentriert ist, daß man fühlen möchte, wie die Minuten langsam verstreichen. Nun, wie wäre es mit dieser Handlung:
Ein völlig normaler, alleinerziehender Vater kommt mit seiner kleinen Tochter auf dem Bahnhof von Los Angeles an. Zwei Menschen kommen auf ihn zu, halten ihm Polizeimarken unter die Nase, bringen ihn und seine Tochter in einen Kleinbus, drücken ihm eine Waffe ihn die Hand und unterbreiten die Aufgabe: Er hat 75 Minuten Zeit, die Gouverneurin von Kalifornien zu erschießen. Ist sie dann nicht tot, stirbt seine Tochter.
Das funktioniert. Von so einem Plot ist man sofort in den Bann gezogen, und man will ganz genau wissen, wie der Arme da jetzt rauszukommen versucht.

Auf dieser simplen und doch so effektiven Idee basiert John Badham’s „Nick of time“, ein Film, der bei seiner Veröffentlichung 1995 so gnadenlos in den USA floppte, daß er es hierzulande nicht mal mehr ins Kino schaffte. Stattdessen erfuhr der Film das unwürdige Schicksal einer Videopremiere, die Streifen, die sich nur Leute angucken, die jede andere Cassette im Sortiment schon durch haben. Das ist wirklich schade, denn „Nick of time“, mit dem deutschen Titel „Gegen die Zeit“ versehen, ist der neueste ernstzunehmende Versuch einer Echtzeit-Inszenierung und trotz einiger Schwächen sehr gelungen.
Der Clou liegt tatsächlich in der Alltäglichkeit der Situation. Das Opfer der Banditen, Gene Watson (Johnny Depp), ist ein Jedermann. Ein Typ, der niemandem sonderlich auffallen würde. Es sei denn, man sucht nach einem, der niemandem auffällt. Dadurch gewinnt die Handlung gleich ihren besonderen Reiz. Der Zuschauer hat nicht das Gefühl, daß dieser ungewollte Held ihm selbst irgendwie überlegen wäre, sei es was Grips, Kraft oder Charakter betrifft. Gene Watson ist genauso ratlos wie der Zuschauer, was die Lösung dieser plötzlichen und tödlichen Bredouille betrifft. Nur eins ist klar: In 75 Minuten muß er eine Möglichkeit finden, sowohl seine Tochter als auch die Gouverneurin zu retten. Denn eins steht sehr bald fest: Selbst wenn er es wollte, er würde es nicht fertig bringen, den Abzug zu betätigen.
Und so begibt sich Watson in dem Hotelkomplex, wo sich die Gouverneurin aufhält, auf die Suche nach Hilfe, ständig beobachtet von seinem bösen Auftraggeber (Christopher Walken). Daher kann er sich mit kaum jemandem ungestört unterhalten, abgesehen von einem humpelnden Schuhputzer (Charles S. Dutton), der anfangs zurecht glaubt, dieser kleine weiße Knilch wolle ihn verarschen. Und als es ihm doch gelingt, seine Informationen an wichtige Personen weiterzugeben, muß er feststellen, daß er noch einen weiteren Gegner hat, mit jeder Menge Einfluß.
Regisseur John Badham (Saturday Night Fever, Wargames) hat sicherlich keinen perfekten Film gemacht. Obwohl jeder weiß, daß „Nick of time“ in Echtzeit inszeniert ist, werden überflüssig oft Uhren eingeblendet. So wird man zwar konstant up-to-date gehalten, bei dieser Häufigkeit hätte er aber fast schon ein LCD-Display mit Countdown über den ganzen Film einblenden können. So wirken die Zeiger schnell eher nervig als aufregend. Weiterhin wird die Handlung, trotz der Jedermann-Charaktere und dem hohen Realitätsanspruch, gegen Ende ein wenig abstrus und fadenscheinig. Außerdem muß noch eine komplette politische Intrige eingeführt und erklärt werden, denn aus irgendeinem Grund muß ja jemand den Tod der Gouverneurin wollen. Dies führt leider zu einem unbefriedigenden Ende, das in letzter Sekunde noch einen bitteren Ton setzen will, der einfach nicht paßt.
Trotz alledem ist der Film immer noch sehr gut gemacht und in einem Wahnsinnstempo erzählt, was die knapp bemessene Zeit natürlich mit sich bringt. Die Prämisse hält die Spannung, die sie verspricht, und die Story ist schon von daher interessant, da die Idee so verdammt einfach und genial ist, daß es tatsächlich mal jemand ausprobieren könnte. Und dann sollte man schon wissen, wie man wieder rauskommt. In jedem Falle ist „Nick of time“ eine geglückte Umsetzung einer schwierigen initiatorischen Aufgabe und daher das Ansehen allemal wert. Daß der Film mehr Zuschauer verdient hat, als er bisher hatte, steht außer Frage.
Das größte Manko ist und bleibt die ständige Einblendung von Uhren. Der panische Watson sieht oft genug von alleine auf die Uhr. Hätte man einfach jedesmal mit ihm zusammen einen Blick auf seine Armbanduhr geworfen, wäre die aufsteigende Hektik, das Gefühl von Dringlichkeit vielleicht besser rüber gekommen. Durch das Verharren auf jedem noch so entlegenen Zifferblatt wird der Zuschauer jedoch wieder daran erinnert, daß er nur einen Film sieht. Und dieser Gedanke ist der Sargnagel für jeden Spannungsbogen.


6
6/10

"Nick of Time" ist für mich ein solider, spannender Film. Ich fand den einfach spannend.

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7
7/10

sehenswert,ohne grossen eindruck zu hinterlassen!

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