Es ist Zeit für einen neuen Spike Lee Joint. Und mit "25 Stunden" legt der streitbare Anführer des New Black Cinema einen seiner besten Filme vor. Ohne den manchmal arg störenden didaktischen Zeigefinger oder den metaphorischen Vorschlaghammer, mit denen er Filme wie "It's Showtime" entscheidend schwächte, inszeniert Lee "25 Stunden" als einen Film, der auf vielerlei Ebenen funktioniert: Charakterporträt, Ensemblefilm, New York-Reminiszenz. Im Grunde genommen also nichts atemberaubend Neues in seinem 14. Streifen, aber Lee schafft hier eine ausgewogenere Mischung als in vielen der Vorgängerfilme und mit dieser "Mische" schmeckt auch der Joint dann ganz fantastisch.
Beim Titel "25 Stunden" war der Übersetzer leider wieder mal nicht genau genug, denn eigentlich müsste der Film wie im Original "Die 25te Stunde" heißen. In eben dieser 25. Stunde beginnt für Monty Brogan (Edward Norton) ein neues Leben. Ein Leben hinter Gittern. Sieben Jahre wird der ehemalige Drogendealer in den Knast gehen müssen, und nun bleiben ihm 24 Stunden Zeit, sich von Freunden und Familie zu verabschieden. Seine Freunde, da ist zum einen Francis Xavier Slaugherty (Barry Pepper), ein Finanzbroker der Marke jung, dynamisch und erfolgreich. Und da ist Jacob Trumbell (Philip Seymour Hoffman), ein schüchterner, beruflich und privat zutiefst verunsicherter Lehrer.
Die drei eint eigentlich nichts außer ihrer Freundschaft seit Kindertagen. Dann wäre da noch Naturelle (Rosario Dawson), Montys atemberaubend hübsche Freundin und schließlich sein Vater (Brian Cox), der sich die Schuld am Schicksal des Sohnes gibt. Mit all diesen Leuten gilt es für Monty, in der letzten Nacht in Freiheit reinen Tisch zu machen. Und noch eine zusätzliche Komponente sorgt für Zündstoff: Monty will in den verbleibenden Stunden noch herausfinden, wer ihn bei der Polizei verraten hat. Und dass diese Person aus seinem engen Umfeld kommen muss, steht eigentlich außer Frage...
David Benioffs Skript mag so stark sein, weil er sein eigenes Werk adaptiert hat. Oder aber, weil er ein Gespür für feine Dialoge hat. Wahrscheinlich beides. Fakt ist, dass "25 Stunden" ein Film ist, der nicht von größerer Action lebt, sondern eigentlich nur von Worten und Gesten. Benioffs geschliffene Dialoge - ob nun Nortons lässiges Angraben von Naturelle im Flashback oder das unnachahmliche Gespräch zwischen Pepper und Hoffman über Francis' Junggesellen-Rating - wirken echt und glaubwürdig, hinterlassen Wirkung beim Zuschauer. Noch deutlicher, wenn seine Figuren kaum etwas zu sagen haben, wenn sie angesichts von Montys Situation herumdrucksen oder leere Parolen hervorbringen. Denn "25 Stunden" ist nicht nur ein Film der Worte, sondern auch der Gesten, genauer: einer einzigen Geste. Die Leute umarmen Monty, als wollen sie ihn nicht gehen lassen, als sei dies das letzte Mal, dass sie ihn greifen, dass sie ihn spüren können. Und Lee trägt dieser so wichtigen Geste, die mehr kommuniziert als es die Figuren verbal können, Rechnung. Umarmungen werden mehrmals gefilmt, von anderen Blickwinkeln, werden schnell hintereinandergeschnitten. Der Augenblick ist so schnell vorbei wie die eigentliche Umarmung. Aber die Botschaft ist klar und filmisch hinreißend, trotzdem simpel und unsentimental präsentiert.
Spike Lee wäre nicht Spike Lee würde er nicht gerade in diesem Film - seinem ersten nach den Ereignissen des 11. Septembers - wieder einmal seiner Heimatstadt New York eine Liebeserklärung auf den Leib schreiben. Darum gibt es hier Blicke auf Ground Zero, und die Kneipe von Montys Vater wird von New Yorker Feuerwehrmännern frequentiert. Das mag im Rahmen der eigentlichen Geschichte von "25 Stunden" eigentlich überflüssig sein und für manchen Betrachter sogar aufgesetzt wirken, besser als peinlich berührte Retuschen der Twin Towers ist es allemal. Zudem gelingen Lee hier einige der stimmungsvollsten Aufnahmen, die er passend ambivalent mit pakistanischer qwwali-Musik unterlegt. Und wer von Lee einen Film erwartet, der diesen Ereignissen nicht irgendwie Rechnung trägt, der ist sowieso schief gewickelt. Zumal die Idee Sinn macht, den elegischen Abschied Montys auch von New York als traurig-aufbauende Hommage, als zwischen Andenken und Weitermachen schwankende New York City Serenade zu verstehen. Die Stadt spiegelt ihren bald verlorenen Sohn wieder.
Man mag nur Edward Norton auf dem Filmplakat abgebildet sehen, aber dies ist alles andere als eine eitle Edward Norton Show. Ganz im Gegenteil, nach Betrachten des Films ist man fast enttäuscht, wie wenig Norton sich eigentlich auf den Präsentierteller gestellt hat. Aber sein Charakter Monty ist eben kaum aktiver Held der Geschichte, eher ein passiver, kontemplativer Pol, um den die Dinge kreisen. Und Norton, wirklich mal gänzlich ohne ein Gimmick, das ihn auch durch den ansonsten drögen "The Score" noch durchrettete, geht in seinem Charakter auf und lässt angenehm zurückhaltend anderen Raum zum Glänzen.
Als da wären: Barry Pepper und Philip Seymour Hoffman. Von Hoffman ist man nichts anderes als grandiose Leistungen gewöhnt und bekommt sie auch, Pepper bleibt aber die eigentliche positive Überraschung des Films. Sein Charakter des eben nicht stereotypen Yuppies ist wesentlich dreidimensionaler als man nach der knappen Exposition denkt, und als die Anzahl der Opfer steigt, die er für seinen Freund Monty bringt, bröckelt auch seine selbstsichere Fassade auf. Pepper spielt dies ambitioniert und äußerst überzeugend. Dazu dann noch Hoffman, der als unglücklich in eine Schülerin (Anna Paquin in einem netten Edelcameo) verliebter Lehrer wieder mal beweist, dass er und Kumpel William H. Macy Hollywoods beste Wahl für das Darstellen von vermeintlichen Loser-Typen sind. Rosario Dawson ist als Montys Freundin überzeugend genug (und wirklich supersexy), aber besondere Erwähnung verdient dann noch Brian Cox. Der sieht mittlerweile dem Brando aus den frühen bis mittleren Siebzigern ähnlich wie aus dem Gesicht geschnitten und spielt auch so gut. Ein ebenso beeindruckender Kurzauftritt, wie er ihn kürzlich in "The Ring" hatte. Dieses Ensemble spielt auf höchstem Niveau, aber es sind Pepper und Hoffman, deren Leistungen im Gedächtnis bleiben werden.
Visuell dynamisch, stilvoll und trotz betulichem Erzähltempo äußerst packend nähert sich der Film der titelgebenden 25. Stunde. Und dann - Überraschung - erlaubt sich Lee, der alte Pessimist, am Ende sogar noch eine positive Note. Nicht unbedingt ein Happy End, aber zumindest die Möglichkeit dazu, eine Utopie. Auch das gab es bei ihm bisher eigentlich nicht zu sehen. Und auch, wenn er sich dann eine halbe Minute zu lang in dieser erträumten Idylle aufhält, es passt. Lee vollzieht den umgekehrten Radikalismus, ausnahmsweise muss auch Träumen noch erlaubt sein. Radikal war Spike Lee und das bleibt er, so oder so, for better or worse. Diesmal ganz eindeutig zum Besseren. Ein Film, dessen Dialoge, Bilder und Darstellerleistungen bei einem bleiben.
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