Als ich nach der Pressevorführung des nun siebten "Mission: Impossible"-Teils das Kino verließ, fing ich im Kopf an, meine Rezension zu verfassen. Als ich zuhause dann nochmal las, was ich vor fünf Jahren zu "Fallout" geschrieben hatte, fiel mir auf, dass ich in weiten Teilen eigentlich einfach auf den anderen Text verweisen kann. Denn beinahe alles, was ich dort gesagt habe, trifft auch auf "Dead Reckoning" zu. Meine damals am Ende geäußerte Befürchtung, dass es nach diesem ganz großen Wurf und nahezu perfekt ausgeführten Actionthriller-Spektakel eigentlich nur noch abwärts gehen kann, hat sich jedenfalls nicht bewahrheitet. "Dead Reckoning" hält mit allerhöchstens minimalen Abstrichen das absurd hohe Niveau seines direkten Vorgängers und beweist endgültig, dass sich nach dem Regisseur-wechsel-dich-Spielchen der ersten fünf M:I-Filme mit Christopher McQuarrie definitiv die perfekte Besetzung für diesen Job gefunden hat.
McQuarrie und seine Co-Autoren sind Story-technisch auch ganz auf Höhe der Zeit, denn als hätten sie geahnt, dass die Faszination/Angst rund um das Thema KI dieses Jahr seinen vorläufigen Höhepunkt erlangen würde, zentrierten sie diesen neuesten Streich um Ethan Hunt und seine Gefährten genau darauf. Denn der nominelle Bösewicht dieses Films (und des unweigerlich noch folgenden zweiten Teils) ist eine nur als "die Entität" bezeichnete Super-KI, die kurz gesagt bereits alle relevanten Systeme der Welt infiltriert hat und drauf und dran ist, auch alle globalen Geheimdienste zu endgültiger Machtlosigkeit zu verdammen. Doch weil solch ein KI-Gegner natürlich sehr gesichtslos daherkommt, gibt man ihr zum einen einen menschlichen Handlanger in Gestalt von Gabriel (schön diabolisch: Esai Morales) und bricht den an sich eher diffus-virtuellen Kampf gegen eine allmächtige Software geschickt so herunter, dass sich der gesamte Plot in klassischer M:I-Manier eigentlich nur um eines dreht: Alle wollen den "MacGuffin". Der "MacGuffin" ist in diesem Fall ein zweiteiliger Schlüssel, der essentiell ist, um besagte Super-KI entweder kontrollieren oder zerstören zu können. Wenn man denn im Folgenden auch weiß, wo genau eigentlich das passende Loch zu diesem Schlüssel ist...
Passend zu solch einem sehr leicht entwendbaren Gegenstand wie einem (halben) Schlüssel etabliert "Dead Reckoning" denn auch die Meister-(Taschen-)Diebin Grace (Hayley Atwell) als neue Gegenspielerin/Zweckgemeinschafts-Partnerin von Ethan Hunt - wie es sich für einen anständigen M:I-Film gehört, ändern sich die Konstellationen, in denen die Figuren gemeinsame Sache machen oder gegeneinander agieren, auch hier bisweilen im Minutentakt. Und das geht von Anfang an auch wieder mit solch einer Rasanz vonstatten, dass man kaum zum Luftholen, geschweige denn zum Nachdenken kommt, zum Beispiel über die Frage: Moment mal - die ganze Welt will diesen Schlüssel, aber eigentlich weiß (fast) keiner, wozu der eigentlich da ist?
Eine Bauernregel unter Drehbuchautoren lautet "Wirkung vor Logik". Also: Wenn ein kleines Logikloch einer eigentlich sehr geilen Szene oder Plotwendung im Weg steht, macht man die einfach trotzdem in der Hoffnung, dass das Publikum genug davon geflasht ist, um das Logikloch gar nicht zu bemerken. "Wirkung vor Logik" ist quasi das Grundprinzip der gesamten M:I-Franchise, und McQuarrie hat das besser verinnerlicht als sonst jemand (in einem selbstironischen Seitenhieb kommentiert der Film auch die absurde Tatsache, dass Ethan Hunt eigentlich in jedem Film irgendwann die Anweisungen seiner Mission verlässt und sein eigenes Ding macht, aber trotzdem immer noch als total zuverlässiger IMF-Agent gilt). Es passt auf keine Kuhhaut, wie oft hier nur diffus angedeutet wird, dass die diversen Parteien, die in die Jagd auf die ominösen Schlüsselhälften involviert sind, irgendwie an Informationen gekommen sind, die eigentlich fast unmöglich zu erlangen sind (z.B. den Aufenthaltsort von Personen, die supergut darin sind, spurlos zu verschwinden). Aber sei's drum, sie müssen es halt wissen, damit das nächste Szenen-Setup funktioniert, was in der nächsten megageilen Action-Sequenz kulminiert. Und Alter, megageil heißt hier wirklich megageil.
Sei es die nächste Maßstäbe setzende Verfolgungsjagd durch eine pittoreske europäische Hauptstadt (in "Fallout" war's Paris, diesmal ist es Rom), sei es die nächste "Tom Cruise rennt wie der Teufel hinter dem Bösewicht hinterher"-Sequenz, sei es der phänomenale Showdown auf/in/um einen Zug (eine nette selbstreflexive Referenz an den allerersten Film von 1996 und seinen Showdown in einem Eurotunnel-Zug) - jede einzelne der zahllosen Suspense- und Action-Passagen ist handwerklich so grandios gekonnt umgesetzt, dass der Adrenalin-Spiegel niemals signifikant absinkt. Ich habe es schon bei "Fallout" gesagt und es stimmt auch hier: Selten bis nie zuvor haben sich (diesmal sogar mehr als) zweieinhalb Stunden Laufzeit im Kino so dermaßen kurz angefühlt.
Dass das alles immer noch so frisch, einfallsreich und aufregend wirkt ist eigentlich kaum zu fassen, wenn man bedenkt, dass die altbekannten Elemente der Franchise hier im Prinzip einfach nur eine weitere Runde drehen. Das markante Musik-Thema; das Spiel mit den Masken; das Karussell diverser MacGuffin-jagender Parteien, die sich permanent gegenseitig überlisten und austricksen; der immer wieder als Plotmotor dienende Grundkonflikt der Figur Ethan Hunt, dessen tiefverwurzelte Menschlichkeit es ihm unmöglich macht, das Leben einer ihm nahestehenden Person zu opfern, um dem Kalkül der übergeordneten Mission zu dienen - alles schon diverse Male gesehen, alles nicht mehr neu. Und trotzdem verstehen es McQuarrie, Cruise und Konsorten daraus in jeder Sequenz immer wieder Thrillerkino-Gold vom Allerfeinsten zu spinnen.
Dass dies - wie schon der Titel klar verrät - die erste Hälfte eines großen Zweiteilers ist, trägt indes zum Gefühl bei, dass hier eventuell etwas sehr Grandioses zu Ende geht (wie beim Avengers-Doppelschlag "Infinity War"/"Endgame"). Immer wieder durchwehen den Film Momente und Andeutungen in diese Richtung. Ein Monolog rund um das Thema, dass die Welt, in der Ethan Hunt bisher gelebt und agiert hat, nicht mehr existiert. Oder die Tatsache, dass hier auf einmal in Ansätzen eine Backstory des Franchise-Helden etabliert wird, von der man noch nie etwas gehört hat, und die nicht nur erklärt, wie er überhaupt zum IMF-Agenten wurde, sondern auch eine mögliche Katharsis offenbart, in deren Folge diese Karriere ein Ende finden könnte.
Tom Cruise ist mittlerweile 61 Jahre alt, und selbst für eine perfekt trainierte Superstar-Maschine wie ihn kommt irgendwann der Punkt, an dem der Körper all das, was er in dieser Franchise Film für Film leistet, nicht mehr mitmacht. Es würde also nicht wirklich überraschen, sollte "Dead Reckoning Teil Zwei" der letzte M:I-Film sein (zumindest der letzte mit Cruise in der tragenden Hauptrolle). Aber was nach diesem ersten Teil definitiv feststeht: Es wäre extrem schade, wenn es wirklich so kommt. Denn "Dead Reckoning Teil Eins" beweist, dass diese Reihe mittlerweile auf einem völlig eigenen Level operiert, und die wohl letzte Bastion eines Mega-Event-Kinos darstellt, das keine Superhelden und keine CGI-getränkten Materialschlachten braucht, um restlos begeisternde, Adrenalin-durchtränkte, "Scheiße, ich will mehr davon!"-Kinounterhaltung der allerersten Güteklasse zu bieten.
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