Lieder können Gefühle beizeiten schöner ausdrücken als das schnöde gesprochene Wort. Nicht zuletzt deswegen gibt es sowohl das Musical-Genre als auch zahllose Filme, in denen Figuren selbst einen Song intonieren, um ihre Seelenlage widerzuspiegeln. Manche Filmemacher trieben dies noch weiter auf die Spitze: In Woody Allens bezauberndem "Alle sagen: I love you" verfielen Stars wie Julia Roberts und Drew Barrymore im Liebestaumel in spontanen Gesang. Baz Luhrman zitierte sich in "Moulin Rouge" kongenial durch den Kanon der Pop- und Rock-Geschichte und gab Klassikern wie "Roxanne", "Heroes" und "Diamonds are a girls best friend" eine völlig neue Seite. Alain Resnais wiederum streute 1997 in "Das Leben ist ein Chanson" immer wieder kurze Stellen aus alten französischen Schlagern in die Dialoge ein, die von den Figuren dann lippensynchron mitgesungen wurden und ihre Gefühlslage einfingen.
Genau dasselbe macht nun Martin Walz in "Märzmelodie", und gewinnt dafür schon mal keinen Innovationspreis. Im Pressematerial zum Film wird "Das Leben ist ein Chanson" natürlich mit keinem Wort erwähnt, stattdessen spricht man lieber von der Kreation eines "völlig neuen Filmgenres". Da ist jemand also entweder sehr dreist oder einfach nicht darüber informiert, dass jemand anders dieselbe Idee schon vor zehn Jahren hatte.
Auch keinen Preis gewinnt der Film für seine Handlung, denn die ist erstens dürftig und zweitens unspannend. Drei Paar-Geschichten werden hier erzählt: Der erfolglose Schauspieler Thilo (Jan Henrik Stahlberg, "Muxmäuschenstill") ist gerade von seiner Freundin Katja verlassen worden, jetzt trifft er die schüchterne Lehrerin Anna ("Lisa Plenske" Alexandra Neldel) und verliebt sich in sie. Verkuppelt wurden die beiden von Moritz (Gode Benedix) und Valerie (Inga Busch), die mit ihrem neuen Familienalltag kämpfen, als Valerie einen neuen Job antritt und sich nun Moritz um die gemeinsame Tochter kümmern muss. Thilos Ex Katja (Jana Pallaske) hat sich wegen seinem besten Freund Florian (Gedeon Burkhard) von ihm getrennt. Doch während Katja über beide Ohren verliebt ist, will Florian nur mit ihr ins Bett und nichts von einer Beziehung wissen.
Auf jedem dieser drei Handlungsstränge ereignet sich genau ein (!) relevanter Twist, Thilo und Anna müssen noch eine kleine Berufs- und Identitätskrise durchmachen, das war's dann aber auch schon an Konflikten und somit an Geschichte. Es stört Thilo noch nicht einmal, dass sein bester Freund der Grund dafür ist, dass Katja ihn verlassen hat.
Erschwerend hinzu kommt, dass sich der Film noch nicht einmal als sonderlich einfallsreich bei seinen Plotwendungen erweist, sondern sogar erschreckend platt bis dümmlich daher kommt. Zwei Beispiele: [SPOILER-WARNUNG: Es folgen einige verräterische Plot-Details. Wer den Film sehen und sich die Überraschung nicht verderben will, bitte beim nächsten Absatz weiterlesen] Thilo leidet unter plötzlichen Gedächtnislücken und vergisst manchmal, was er gerade macht oder gemacht hat. So kommt es, dass er Anna zu einem sehr ungünstigen Zeitpunkt in einer Kneipe sitzen lässt, weil er sie auf dem Weg zum Klo anscheinend komplett vergessen hat. Auf eine vernünftige Erklärung für diese Aussetzer wartet man vergebens. Sie sind halt da, weil sie für den Twist gebraucht werden, denn Anna lässt ihn natürlich wortlos abmarschieren und ist anschließend schwer sauer. Auch nicht besser: Der Grund für Florians Beziehungsangst. Er gesteht Thilo an einer Stelle, dass er sich trotz eigener Gefühle für Katja nicht auf eine Beziehung mit ihr einlassen will, weil er an "so einer Muskelkrankheit" leidet und Angst hat, ihr irgendwann als Pflegefall zur Last zu fallen. Das ist eine heftige dramatische Keule, die in diesem ansonsten sehr leichtgängigen Film so deplatziert wirkt wie ein Elefant im Porzellanladen. Müßig zu erwähnen, dass diese ominöse Krankheit weder näher definiert wird noch ein weiteres Mal Erwähnung findet. Für die Auflösung der Geschichte um Katja und Florian spielt sie jedenfalls keine Rolle.
Auf der Handlungsebene hat "Märzmelodie" also wenig bis gar nichts zu bieten, und die nicht so neue Idee mit den eingeworfenen Songzitaten funktioniert leider auch nicht besser. Das hat verschiedene Gründe, zuallererst die Tatsache, dass die Darsteller an diesen Stellen nur die Lippen synchron mitbewegen, jedoch der Original-Interpret des Songs zu hören ist. So wird die Illusion, dass die Figur selbst dieses Lied singt und damit ihre eigenen Emotionen ausdrückt, sofort zerstört, der Trick macht nur auf sich selbst aufmerksam - auch wenn die anderen Figuren auf die Song-Schnipsel wie auf tatsächlich gesprochenen Dialog reagieren.
Außerdem wirkt die Sache nicht konsequent durchgezogen: So alle fünf Minuten intoniert jemand ein paar Zeilen, nach wenigen Sekunden ist alles vorbei und es geht normal weiter. Natürlich kann man nicht für jede Situation ein passendes Songzitat finden, die Ausbeute der Macher von "Märzmelodie" fällt jedoch zu bescheiden aus, um wirklich einen eigenständigen Charme entwickeln zu können.
Und das letzte (wenn auch vielleicht subjektive) Manko: Die zitierten Songs sind durch die Bank eher unbekannt, so dass der Spaß des Wiedererkennens sehr oft ausbleibt. Und weil man sich in das Gefühl eines Songs, den man kennt, viel besser und schneller einfinden kann als in das eines unbekannten, bleibt auch die beabsichtigte emotionale Resonanz dieser kurzen Schnipsel wesentlich geringer, als es zum Beispiel "Moulin Rouge" mit zwei Zeilen Elton John geschafft hat.
Der bekannteste hier zitierte Song ist wohl noch Rio Reisers "Halt dich an deiner Liebe fest". Andere Interpreten wie Westernhagen, Zarah Leander, Gitte Haenning oder Annett Louisan erkennt man immerhin noch an der Stimme, die Titel werden aber schon nur noch echten Fans geläufig sein. Und bei Künstlern wie Willi Fritsch, Petra Pascal, Bernd Apitz oder Bettina Wegner hört es bei den meisten wohl endgültig auf.
Das einzige wirklich Tolle an dem ganzen Film ist Alexandra Neldel, die hier eindrucksvoll beweist, dass sie auch ohne Fatsuit, Zahnspange und Brille sehr überzeugend verhuscht und verletzlich spielen kann und dabei trotzdem stets ein unschuldiges, lebensfrohes Mädchen durchscheint, das noch auf sein Glück wartet. Die anderen Darsteller machen ihre Sache ebenfalls gut, allerdings schafft es Jan Henrik Stahlberg nicht ganz, die nominell tragende Hauptrolle ausreichend mit Leben zu füllen, was jedoch auch dem Drehbuch anzulasten ist.
Vom Konzept her ja noch ganz nett, erweist sich "Märzmelodie" in der Ausführung als erstaunlich schwach, vor allem in dramaturgischer Hinsicht. Wo keine fesselnde Geschichte ist, helfen auch keine noch so guten Darsteller (selbst Neldels Anna bleibt einem relativ egal). Der Witz mit den Songzitaten zündet nicht richtig, zu selten und verpufft viel zu schnell, um wirklich Wirkung zu zeigen. Ziel verfehlt. Film langweilig. Sorry.
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