Montana Sacra - Der Heilige Berg

Originaltitel
La Montaña sagrada
Land
Jahr
1973
Laufzeit
114 min
Genre
Bewertung
von Moritz Hoppe / 4. Dezember 2020

Der chilenische Regisseur und Schauspieler Alejandro Jodorowsky dürfte hierzulande wohl nur eingefleischten Filmfans ein Begriff sein. Das Werk des mittlerweile 91-jährigen avantgardistischen und surrealistischen Filmschaffenden fand spannenderweise seinen Höhepunkt in einem Projekt, das nie die Leinwand erreichte: Mit der geplanten Adaption des umfangreichen Science-Fiction-Romans „Dune“ von Frank Herbert stieß Jodorowsky Mitte der 1970er Jahre ein Vorhaben an, das die damaligen Grenzen visueller (und vor allem produktionstechnischer) Standards sprengen sollte. Jodorowsky hatte bereits bedeutende Künstler:innen der Film- und Musikbranche wie beispielsweise Orson Welles, Salvador Dalí, Amanda Lear und Pink Floyd von seiner Idee überzeugen können, jedoch wurde das Mega-Projekt von den großen Produktionsstudios abgelehnt. Die Konzeptideen von Jodorowskys „Dune“ hatten wiederum maßgeblichen Einfluss auf Meisterwerke des Science-Fiction-Kinos wie „Star Wars“ oder „Terminator“. Heutzutage besitzt die Geschichte um den nie realisierten Film Mythenstatus, was in der (Achtung: Filmtipp!) großartigen ARTE-Dokumentation „Jodorowsky’s Dune - Der beste nie gedrehte Film aller Zeiten“ ungemein persönlich und charmant festgehalten wurde.

Also Grund genug, um an dieser Stelle das künstlerische Schaffen des chilenischen Regisseurs genauer zu betrachten.

Ein paar Jahre vor dem „Dune“-Projekt veröffentlichte Alejandro Jodorowskys einen seiner bekanntesten Filme. „Montana Sacra – Der heilige Berg“ aus dem Jahr 1973 vereint so ziemlich alles, was Jodorowsky als Filmschaffenden auszeichnet: ekstatische, groteske, surrealistische Bilder, die das Medium Film als Kunstform in seiner sinnlichen Erfahrbarkeit zelebrieren und ausreizen.

 

Eine kohärente Geschichte lässt sich dem bildgewaltigen Meisterwerk nur schwer entnehmen. Zusammenfassen könnte man die wenigen erzählerischen Häppchen jedoch folgendermaßen: Ein namenloser Dieb (Horacio Salinas) trifft nach einem Vorfall in einer Kirche auf einen Alchemisten (Alejandro Jodorowsky) mit dem er sich auf eine mythische Reise zum sogenannten „Heiligen Berg“ begibt. An diesem Ort soll das Geheimnis der Unsterblichkeit liegen. Begleitet werden die beiden von sieben Gefährten des Alchemisten, welche selbst ehemalige Diebe sind und von unterschiedlichen Planeten stammen. Um an das Geheimnis der Unsterblichkeit zu gelangen, muss sich die Gruppe zu einem gemeinsamen Bewusstsein zusammenschließen.

Bereits in den ersten Filmminuten wird Jodorowskys Liebe für das surrealistische Kino erkennbar: In Anlehnung an Luis Buñuel und dessen surrealistischen Meilenstein „Un chien andalou“ aus dem Jahre 1929 inszeniert Jodorowsky seine Anfangssequenz in einer Traum-Ästhetik, die einen narrativen Zugang in jeglicher Hinsicht unmöglich macht. Stattdessen darf das Publikum beobachten, wie zunächst zwei Frauen ihrer Kleidung, Make-Up und Haare entledigt werden, ehe eine Montagesequenz mit unterschiedlichen, scheinbar alchemistischen Symbolen und Objekten einsetzt, welche wiederum von einem mit Schlamm bedeckten und Kindern umgebenen Mann unterbrochen wird… wirkliche Handlungselemente sucht man dabei vergebens.

 

Diese Symbiose aus Visualität, Abstrusität und Gewalt spitzt sich im Verlauf des Films immer weiter zu. Jodorowsky strebt immer wieder eine Ästhetisierung des Grotesken und Abstoßenden an und negiert dabei jegliche Sehgewohnheiten des Mainstreamkinos. Er entwirft einen psychedelischen Trip an Farben, Bildern und Geschichten, wodurch die vermeintlichen Grenzen des Kinos in nahezu jeder Hinsicht ausgetestet werden. So darf sich das Publikum mit vielen nackten Körpern, herausfallenden Augäpfeln, gehäuteten Echsen, abgeschnittenen Genitalien und Exkrementen vergnügen – ja, „Der Heilige Berg“ ist nichts für seichte Gemüter. Menschliche und tierische Körper werden deformiert und zweckentfremdet – die dienen hier vielmehr der reinen Ästhetik und Bildhaftigkeit.

Jodorowsky spielt mit unterschiedlichen Erzählperspektiven, indem die Gefährt:innen des Alchemisten episodenhaft präsentiert und beleuchtet werden. Dabei ändert sich nicht nur das lose, narrative Gerüst des Films – auch die Szenenbilder sowie das Kostümdesign werden bunt durchgewürfelt. So wechselt die Location binnen Sekunden zwischen aufwendig inszenierten Straßenumzügen, eigenartigen Fabrikgebäuden und künstlerischen Innenräumen. Dadurch entsteht nicht nur Orientierungslosigkeit, auch widerspricht „Montana Sacra“ jeglicher (Genre-)Kategorisierung. Die zum Teil schamlosen und ungefilterten Bilder besitzen eine überwältigende Wirkung, was erneut den Begriff der Ekstase in den Mittelpunkt rückt.

 

Auch wenn „Montana Sacra“ hauptsächlich als Sinneserfahrung und kreativer audiovisueller Drogentrip verstanden werden kann – eine subtile gesellschaftspolitische Ebene lässt sich Jodorowskys Werk nicht absprechen: So wird nicht nur jede Form der Religion als kommerzielles, kapitalistisches Produkt inszeniert, auch findet eine Pervertierung des Gaffer-artigen "touristischen Blicks" statt, indem eine Gruppe Tourist:innen gezeigt wird, welche die Exekution einer Gruppe Jugendlicher freudig mit ihren Kameras begleitet. Und ganz nebenbei wird auch noch die Kolonisationsgeschichte Mexikos in Form explodierender Kröten dargestellt – Geschichtsstunde und Gesellschaftsdiskurs im Jodorowsky-Stil. Die Mischung solcher gesellschaftspolitischen Inhalte und den absurd-kreativen visuellen Ausuferungen machen „Montana Sacra“ zu einem schillernden Werk des surrealistischen Kinos, das allen Filmliebhaber:innen wärmstens ans Herz gelegt werden kann.

„Montana Sacra – Der Heilige Berg“ war – trotz des avantgardistischen und stilistisch-subversiven Charakters des Films – in Europa ein großer finanzieller Erfolg, was Jodorowsky die anschließende Arbeit an „Dune“ ermöglichte. Auch wenn Jodorowsky heutzutage vor allem mit seinem gescheiterten „Dune“-Projekt assoziiert wird, zeigt „Der Heilige Berg“ eindrucksvoll, welche künstlerische und kreative Vielfalt in dem chilenischen Ausnahmeregisseur steckt. So stillt das surrealistische Meisterwerk auch heute noch – fast 40 Jahre nach Veröffentlichung – die Sehnsucht nach anderen, neuen und eigenwilligen (cineastischen) Bildern.

 

Daher ist es umso erfreulicher, dass dem Werk von Jodorowsky auch hierzulande immer mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird. So hat das deutsche Label Bildstörung bereits 2014 „Montana Sacra – Der Heilige Berg“ ungeschnitten in die Läden gebracht. Das zugehörige Booklet des Filmkritikers Claus Lösers gewehrt interessante Einblicke in Jodorowskys filmischen Werdegang und behandelt mit „Fando y Lis“ (1968) und „El Topo“ (1970) seine wichtigsten Werke. 


Ich fand die Bild- und Fantasiesprache auch fantastisch und abenteuerlich - nur die Sache mit den Kröten kann ich diesem Film und Jodorowski nicht verziehen.
"Keine Tiere kamen zu Schaden" leider Fehlanzeige - sorry, aber das geht einfach nicht!

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