Die Jahreszeit des Glücks

Originaltitel
Stesti
Land
Jahr
2005
Laufzeit
102 min
Genre
Regie
Release Date
Bewertung
8
8/10
von Patrick Wellinski / 1. Januar 2010

Letztes Jahr trat ein tschechischer Spielfilm seinen Siegeszug durch die Filmfestivals dieser Welt an. Die Goldene Muschel von San Sebastian, Goldene Athena von Athen und der Publikumspreis des Osteuropäischen Filmfestivals in Cottbus sind nur einige der Auszeichnungen, die Bohdan Slamas ("Wilde Bienen") neuer Film "Die Jahreszeit des Glücks" gewonnen hat. Ein großartiger Erfolg, der zeigt, dass es für das neue tschechische Kino auch ein Leben nach Milos Forman gibt.

Am Ende von "Die Jahreszeit des Glücks" hat sich äußerlich nichts geändert. Wir sind immer noch irgendwo in der Tristesse der tschechischen Provinz. Die Sonne ist fast immer mit Wolken behangen und die grauen Plattenbauten quälen die öde Landschaft zusätzlich. Doch auch hier leben Menschen. Und wie alle Menschen haben auch diese hier Hoffnungen, Wünsche und Träume. Eine, die Träume hat, ist Monika (Tatiana Vilhelmova). Sie will ihrem Freund in die USA nachreisen, um dort mit ihm ein neues Leben anzufangen. Tonik (Pavel Liska) will das kleine Haus, das seine Familie besitzt aber nicht bewohnt, renovieren und vor dem Abriss bewahren. Insgeheim hofft er darauf mit Monika einzuziehen, die er schon immer heimlich geliebt hat. Dasa (Anna Geislerova) hat zwei kleine Kinder und leidet an Depressionen, die sie auch bald in die Klinik bringen. Als Monika ihre Kinder aufnimmt, kommen sie und ihr bester Freund Tonik sich (un)freiwillig näher...

Regisseur und Autor Slama ist ein Glücksgriff für das tschechische und überhaupt für das ganze europäische Kino. Er zeigt sensible zwischenmenschliche Beziehungen ohne den geringsten Hauch von Pathos oder Kitsch. Obwohl er in Cinemascope und auf 35 mm gedreht hat, bleiben seine Bilder grob, körnig und fast dokumentarisch. Damit bringt er uns nah ran an die Menschen, die immer im Mittelpunkt seiner Geschichten stehen. Der Film entwickelt seine unheimliche Stärke aus der Konfrontation der Protagonisten. Sie sind höchst unterschiedlich und nicht immer können sie sagen was sie denken. Zum Beispiel kann Tonik seine Liebe zu Monika ihr gegenüber nie wirklich aussprechen. Er macht es dann trotzdem, nur halt nicht verbal, sondern durch seine liebevollen Gesten und sein zartes, verständnisvolles Handeln.
Und genau so ist sehr vieles in diesem meisterhaft erzählten Film non-verbal. Erschreckend, die Beiläufigkeit, die Slama benutzt, um die gesellschaftlichen und sozialen Probleme seines Landes zu zeigen. Aufnahmen von Plattenbauten, von einsamen Obdachlosen oder Szenen aus dem Supermarkt. Das reicht, um ein aktuelles politisches und gesellschaftliches Panorama Tschechiens darzustellen. Das macht die Brillanz Slamas aus, der ein wunderbares Gespür hat, um mit menschlichen Schicksalen umzugehen. Er stellt seine Charaktere nie aus oder seziert sie. Er behandelt sie mit Respekt, und das spürt man durch und durch.
So unterschiedlich die dargestellten Individuen sind, sie alle müssen sich gleichermaßen mit der Armut und der Arbeitslosigkeit im Brachland Tschechiens auseinandersetzen. Wenn Tonik mit seiner Tante für das kleine Haus abseits der Stadt kämpft, damit es nicht zugunsten von noch einer Fabrik abgerissen wird, dann ist das tapfer und bewundernswert, aber hilf- und zwecklos eben auch.

Die drei tschechischen Jungstars Vilhelmova, Liska und Geislerova spielten schon öfter gemeinsam in Filmprojekten. Doch nie waren sie reifer und ernster als hier. Es ist schwer, einem im Thema streckenweise sehr deprimierenden Film zu folgen, denn man muss sich einlassen auf das Leid und den Schmerz, den man als Zuschauer vielleicht aus dem eigenen Alltag kennt. Das große Kunststück des Films ist es, dann doch immer wieder die kraftvollen und vor allem kraftschöpfenden Lebenssituationen zu finden und zu zeigen. Wenn die beiden Kinder mit Tonik und Monika ihren Geburtstag feiern und das noch vor dem fast fertig gebauten Haus, dann ist man tatsächlich in der titelgebenden Jahreszeit des Glücks.
Doch im Gegensatz zu unseren herkömmlichen Jahreszeiten dauert die des Glücks leider nicht lange. Die ist, um ehrlich zu sein, viel zu kurz. Und dann ist man am Ende des Films genau da, wo man am Anfang war. In der grauen Kleinstadt in Tschechien. Man steht vorm Scherbenhaufen aus falschen Hoffnungen und zu großen Träumen. Genau dann versteht man, dass es sich lohnt, für jede Jahreszeit des Glücks zu leben - und sei sie auch noch so kurz.


10
10/10

einer der schönsten filme über glück und menschlichkeit, die mir jemals untergekommen sind. wer eine hollywoodschnulze sucht, und wem die sensibilität für das kleine glück abgeht, ist hier allerdings an der falschen adresse.

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