Manchmal ergeht es dem Kritiker wie jedem anderen Kinogänger und es ist ganz gut, wenn man über einen Film gar nicht so viel weiß in diesen Spoiler-affinen Zeiten. So erging es dem Rezensenten mit „Demolition – Liebenund Leben“, über den er nur einen überflogenen Rezensionstitel à la „Jake Gyllenhaal bekommt seinen eigenen 'American Beauty'“ erinnerte und dann freudig überrascht war, was er zu sehen bekam. Gleich vorweg: Mit „American Beauty“ hat „Demolition“ wenig bis gar nichts zu tun, einzig das sehr weitläufige Konzept von „gutsituierter Mann in Lebenskrise“ könnte man als den Filmen unterliegende Blaupause zum Vergleich heranziehen. Aber dieses Thema teilen sich ja nun auch Dutzende Filme.
Worin aber die Sinnkrise der Gyllenhaal'schen Figur genau liegt und begründet ist und vor allem wie er diese überwindet, das ist auf den ersten Blick nicht offensichtlich. Lesern, die sich also ebenfalls zumindest ein bisschen überraschen lassen wollen, sollten daher die trotzdem obligate und folgende Inhaltsangabe überspringen und auch im Resttext nur vorsichtig kiebitzen. Wer nicht mehr wissen muss: „Demolition“ ist ein sehr feines Drama mit einigen herzlichen und einigen ungläubigen Lachern und einer subtilen emotionalen Wirkung. So, und nun ab ins Kino.
Ach, man möchte doch noch ein wenig mehr wissen? Na gut: Travis (Jake Gyllenhaal) ist ein Mann, der eigentlich alles hat: ein Traum von einem Haus, eine hübsche Frau (Heather Lind), einen gut bezahlten Job in der Finanz unter der Ägide von Schwiegerpapa Phil (Chris Cooper). Bis ein Schicksalsschlag sein komplett durchstrukturiertes Leben völlig aus der Bahn wirft. Als Verdrängungstaktik konzentriert Travis sich auf das Reklamieren eines nicht funktionierenden Süßigkeitenautomaten, welches ihn schließlich in Kontakt mit der für die verantwortliche Firma arbeitenden Karen (Naomi Watts) und dann auch ihrem rebellischen Sohn Chris (Judah Lewis) bringt. Zudem entwickelt Travis eine Obsession dafür, wie Dinge funktionieren oder nicht, und er beginnt, diesen Dingen auf den Grund zu gehen, indem er sie in detaillierter Kleinarbeit auseinandernimmt.
Auch diese immer noch etwas schwammige Inhaltsangabe hat eher neugierig gemacht? Also dann im Klartext: Im Zentrum von „Demolition“ liegt eine so simple wie geniale weil zutreffende Metapher: Travis, der vorher wie ein Roboter durch sein komplett bis auf die Minute durchgeplantes Leben wanderte, hat eine Fehlfunktion, und er will dieser Fehlfunktion auf den Grund gehen, in dem er Dinge in ihre Einzelteile zerlegt, um den Fehler im System zu finden. Einzig: die Fehlfunktion ist die Unwägbarkeit zwischenmenschlicher Gefühle, und die lassen sich weder mit dem Schraubenzieher, noch dem Vorschlaghammer finden oder beheben.
Lange Zeit lässt „Demolition“ offen, ob die von Travis gesuchte Fehlfunktion seine Trauer oder eben die Abwesenheit von Trauer ist und zeichnet dabei ein bisweilen erschütterndes Bild davon, wenn jemand nicht nur nicht so funktioniert, wie er das vorher tat, sondern wenn er auf für sein Umfeld falsche Weise nicht funktioniert. Da Travis seine Trauer komplett verdrängt bis hin zur Verneinung von Liebe für seine Frau, da lässt es sich nachvollziehen, dass sowohl Schwiegereltern als auch Kollegen nicht wissen, was sie davon halten sollen und im Falle der Schwiegereltern geschockt, verletzt und erzürnt sind.
Auch die Eskalation von Travis' immer merkwürdigerem Verhalten zeichnet geschickt und ohne Zeigefinger seine emotionale Reise: Das fängt mit dem von seiner Frau angemahnten tropfenden Kühlschrank an und geht dann über die quietschenden Toilettentüren bis hin zum (Teil-)Abriss seines Traumhauses, das eben nie das seine war – weder der Traum, noch das einhergehende Haus. Das alte, falsche Leben muss zerschlagen werden. Die Zuspitzung vom säuberlichen Auseinandernehmen zum wilden Kaputtschlagen macht auch für den Geisteszustand des Protagonisten Sinn: Trotz der Suche nach dem Verstehen, wie die Dinge funktionieren, ober warum sie nicht funktionieren, wie sie sollen, bleibt Travis zunächst eine Auflösung seines emotionalen Verdrängungszustands verwehrt und es gibt nur das „Dampf ablassen“, bis er Trauer und Verstehen zulässt.
Regisseur Jean-Marc Vallée („Dallas Buyers Club“, „Wild“) hat einen simplen, aber effektiven visuellen Weg gefunden zu zeigen, wie Travis Trauer sich trotz seiner scheinbar kompletten Emotionslosigkeit ihren Weg nimmt: Immer wieder schneidet er für ein oder zwei Sekunden ein Bild seiner Frau Julia in die Szenen, als Erinnerungsfetzen von Travis. Die Trauer, die er verdrängt, sie kommt in Wellen und sie manifestiert sich in kurzen Bildern vor dem geistigen Auge.
Wenn man wollte, könnte man „Demolition“ vorwerfen, dass einige seiner Elemente wie aus dem Baukasten des Studio-Autorenfilms scheinen, in diesem Fall dem „Fox Searchlight“-Set: Die Außenseiter, die sich gegenseitig helfen; ein bisschen buddy comedy zwischen dem zunehmend kindlicher agierenden Erwachsenen und dem zu erwachsen agieren wollenden Kind, der Schuss an quirky comedy. Aber man will es ihm gar nicht vorwerfen, weil „Demolition“ erstens nicht den Eindruck eines zynisch-gezielten Einsatzes dieser Elemente macht, und zweitens, weil er sich im Umgang mit diesen Elementen als ausgesprochen souverän erweist. Vor allem, da der Film die Suche nach großen emotionalen Momenten von sich weist. Es gibt sie hier nicht, die Szene, in der Travis irgendwann weinend in den Armen von jemandem zusammenklappt, weil ihn letztendlich die Trauer doch übermannt hat. Der Film bleibt sich und seinem Protagonisten treu, und so ist auch die emotionale Auflösung von Travis' emotionaler Fehlfunktion genau so zurückgenommen, wie es für die Figur logisch und nachvollziehbar ist. Ein paar feuchte Augen – mehr muss es und darf es hier gar nicht sein, und gerade deshalb ist es so effektiv. Gnadenloses Drücken auf die Tränendrüse gibt es hier eben so wenig wie das vorhersehbare große Finale, stattdessen ein perfekt gesetztes Schlussbild. „Demolition“ überzeugt mit seiner zurückgenommenen Art, die Manier und Weg des Protagonisten spiegelt.
Apropos Protagonist: Es ist aus diesem Text schon klargeworden, dass der Film hundertprozent auf seinen Hauptdarsteller zugeschnitten ist. Um „Demolition“ vollends zu lieben, muss man freilich auch dem in nahezu jeder Szene spielenden Jake Gyllenhaal wohlgesonnen sein. Es ist kein hundertprozentiges Kompliment, aber für diesen Film ist Gyllenhaal perfekt: Das immer schon leicht Entrückte, das ihn schon bei seinem Durchbruch in „Donnie Darko“ auszeichnete; die immer etwas manischen Manierismen, die etwa „Prisoners“ für sich nutzte: Gyllenhaal zeigt hier nochmals nachhaltig, warum er nie hundertprozent als romantischer Held besetzt werden könnte – und warum das eine gute Sache ist. Naomi Watts macht das Meiste aus ihrer Nebenrolle und der junge Judah Lewis bleibt als rabiater Teenager im Gedächtnis, nicht zuletzt durch das Gespräch unter Männern im Baumarkt mit amüsanter Pointe.
Sollten die obrigen Überlegungen zum Film jetzt dem einen oder anderen Leser das Gefühl gegeben haben, bei „Demolition“ handle es sich um ein potenziell langweiliges Suhlen in Gefühlen, so sei gesagt: Das ist es nicht, vielmehr ein erfreulich und erfrischend unvorhersehbares und mit ausreichend leichten Momenten angereichertes Drama, dessen emotionale Komplexität niemals der Unterhaltung und Unterhaltsamkeit in den Weg kommt. Wie oben gesagt: eine Überraschung für den Rezensenten, aber eine, die er nicht missen möchte. Sehr sehr feiner Film.
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