The Sixth Sense

Originaltitel
The Sixth Sense
Land
Jahr
1999
Laufzeit
106 min
Release Date
Bewertung
8
8/10
von Frank-Michael Helmke / 30. Januar 2011

 

Zwei Genres haben das Filmjahr 1999 in den USA geprägt: Zum einen die Teenie-Komödie, zum anderen eine Reihe von Filmen, die man unter dem Begriff Horror-Psycho-Thriller zusammenfassen könnte. Da wären z.B. die vom Milleniumwahn inspirierten (wenn nicht infizierten) Apokalypse-Geschichten wie „End of days“ oder „Stigmata“, aber den eigentlichen Aufruhr verursachten kleinere, wesentlich innovativere Filme. Da war als erstes natürlich „The Blair Witch Project“, erfolgreichste Low-Budget-Produktion überhaupt und somit auch der Film mit der größten prozentualen Gewinnspanne aller Zeiten. Und in dessen Fahrwasser schwang sich ein paar Wochen später ein weiterer, eher unauffälliger Film zu ungeahnten Höhen auf: „The sixth sense“. Ähnlich wie bei „Blair Witch“ setzte hier eine außergewöhnliche Mundpropaganda ein, die immer wieder neue Menschenmassen die Kinos stürmen ließ. Dank eines recht gesunden Starts brachte es „The sixth sense“ so fertig, an sechs aufeinander folgenden Wochenenden an der Spitze der amerikanischen Box-office-Charts zu stehen. Das hatte vorher noch niemand geschafft. Inzwischen ist „The sixth sense“ einer der zwölf erfolgreichsten Filme aller Zeiten in den USA und belegt auf der IMDb-Hitliste der besten Filme momentan Platz 20. Wir haben es hier also ganz offensichtlich mit einem recht eindrucksvollen Streifen zu tun. Eindrucksvoll, auf jeden Fall, wenn auch geringfügig überbewertet.

Am Anfang von „The sixth sense“ lernen wir den Kinderpsychologen Malcolm Crowe kennen, soeben vom Bürgermeister Philadelphias für seine besonderen Leistungen geehrt. Gerade will er mit seiner Ehefrau Anna den freudigen Abend im Ehebett beschließen, als er im Badezimmer einen Eindringling vorfindet. Hierbei handelt es sich um einen ehemaligen Patienten, dem Crowe nicht helfen konnte. Sichtlich völlig am Ende, schießt der Mann auf Crowe, bevor er sich selbst tötet.
Ein paar Monate später übernimmt Crowe den Fall des kleinen Cole Sear. Der zeigt die selben Symptome, die besagter Selbstmörder damals aufwies, und Crowe ist fest entschlossen, diesmal das richtige zu tun. Das stellt sich allerdings als nicht sehr leicht heraus, denn der kleine Cole ist sehr introvertiert, scheint seine gesamte Umgebung zu fürchten und hat in seinem Leben offensichtlich noch nicht einmal gelächelt. Um dem Jungen sein Geheimnis zu entlocken, bedarf es ein wenig mehr als der üblichen Psychiater-Tricks.
Als Autor dieses Artikels stoße ich jetzt bereits auf ein Problem. Wer den Trailer zu „The sixth sense“ nur einmal gesehen hat, weiß bereits, was das Geheimnis des kleinen Cole ist, und wird daher auch bis zur fünfzigsten Minute warten müssen, bevor die Handlung beginnt, etwas neues zu verraten. Da es aber durchaus Leute geben dürfte, die noch nichts über diesen Film wissen, möchte ich jetzt lieber still sein und keine weiteren Hinweise verteilen, denn dann bleibt wenigstens ein kleines Überraschungsmoment. Denjenigen, die schon Bescheid wissen, sei gesagt, daß der Film trotzdem von Anfang an durchaus zu fesseln weiß, auch wenn man, zumindest für eine Stunde, genau weiß, was einen erwartet.

Einen ganz großen Beitrag zu dieser überraschend starken Wirkung des Films leistet interessanterweise Haley Joel Osment, der Cole spielt. Er ist nicht nur die offensichtliche Hauptfigur des Films, sondern hat auch bei weitem die meisten Dialogzeilen. Das erstaunliche ist, daß der Junge dies absolut zu bewältigen weiß. Ich kann mich ganz ehrlich nicht daran erinnern, schon einmal ein Kind so gut schauspielern gesehen zu haben. Da kann selbst Anna Paquin einpacken, und die hat für „Das Piano“ im zarten Alter von 11 Jahren immerhin einen Oscar bekommen.
Bruce Willis zeigt sich durchaus in der Lage, mit so einem fähigen Kind richtig umzugehen. Er behandelt seinen Gegenüber wie einen ausgereiften Schauspieler, und so kann man streckenweise tatsächlich vergessen, daß hier ein alter Hase mit einem kleinen Bengel zusammen spielt. Allein dafür ist dieser Film bereits absolut sehenswert.

Sobald es allerdings richtig losgeht, ist das alles schnell vergessen. Wenn nach fünfzig Minuten das erste erschreckte Kollektiv-Zucken durch den Kinosaal geht, kann sich Regisseur Shyamalan rühmen, sein Publikum kalt erwischt zu haben. Denn wenn die Schockeffekte bis hierhin lediglich in ängstlichem Geschrei bestanden, dann wird es von nun an vornehmlich visuell schaurig, und das enorm effektiv. Shyamalan erlaubt sich dabei auch den einen oder anderen initiatorischen Scherz mit dem Zuschauer. Wenn z.B. die spannungsgeladene Musik bis zum Höhepunkt ausgereizt wird, ohne daß etwas passiert, dann fühlt man sich sekundenlang wieder in Sicherheit. Bis der Schockeffekt dann um so heftiger zuschlägt. Auf ziemlich heftige Art und Weise werden auch noch einige andere Pseudo-Konventionen ad absurdum geführt, aber um die Spannung zu erhalten, bin ich jetzt lieber still.

„The sixth sense“ ist ein sehr subtil vorgehender und extrem packender Horror-Thriller, der trotz wenig Aufwand und der starken Konzentration auf einen Kind-Charakter absolut überzeugt. Wenn man allerdings das Kino verläßt, dann haben die ersten 100 Minuten einen völlig neuen Wert angenommen, denn am Ende erwartet den Zuschauer der berühmte „Keyser Soze“-Effekt: Durch einen einzigen, völlig überraschenden Plot-Twist wird alles bisher gesehene in seine Bestandteile zerlegt und muß vom Zuschauer neu zusammengesetzt werden, nachdem der Film schon längst vorbei ist. Einige Filme haben sich in letzter Zeit an so etwas versucht, manche völlig vergeblich („Wehrlos – die Tochter des Generals“), andere sehr erfolgreich („Fight Club“). Allerdings ist es keinem dieser zahlreichen Nachahmer bisher gelungen, so nah an das große Vorbild, Bryan Singer’s „Die üblichen Verdächtigen“, heranzukommen wie „The sixth sense“. Das Erstaunliche dieses finalen Twists ist, daß die Hinweise den ganzen Film über ganz offen da lagen, und so ergibt alles mit einem plötzlichen Aha-Erlebnis zwar einen ganz neuen, aber auch sofort logischen Sinn. Die Meisterleistung Shyamalans besteht darin, seinen Zuschauer über eineinhalb Stunden mit einer Geschichte zu fesseln, ihn ganz elegant an allen Hinweisen und Andeutungen vorbei zu führen, und ihm so am Ende richtig einen zu verpassen.

Man tendiert dazu, Filme mit so einer grandiosen Schlußüberraschung schnell überzubewerten, da sie sich gerade durch ihr Ende so sehr von der breiten Masse abheben und sofort das Bedürfnis auslösen, den Film noch einmal zu sehen. So wird man leicht über vorher sehr prägnante Schwachpunkte hinweg getäuscht, die hier eindeutig vorhanden sind. Trotz des dicken Endes muß „The sixth sense“ den Vorwurf über sich ergehen lassen, daß manche Dinge ein wenig ins Leere laufen oder gar nicht richtig in Schwung kommen. So scheint der Nebenplot über das sehr abgekühlte Verhältnis von Crowe und seiner Ehefrau etwas deplaziert und überflüssig, und man fragt sich des öfteren, was das eigentlich soll. Hinzu kommen einige Längen, die das Tempo und somit die Dichte aus der Erzählung nehmen. Das sorgt zwar für einige Momente der Entspannung, aber gerade das sollte bei einem Horror-Thriller um jeden Preis vermieden werden.
Dennoch ist „The sixth sense“ auf jeden Fall ein lohnendes Filmerlebnis, allein schon für den Schluß. Der Erfolg in den USA ist vielleicht etwas übertrieben (auch wenn sich Bruce Willis sicherlich darüber gefreut hat, da er angeblich mit zehn Prozent Gewinnbeteiligung drinhängen soll), aber so hat „The sixth sense“ wenigstens einen entscheidenden Beitrag dazu geleistet, daß der meistüberschätzte Film des Jahres wesentlich kürzer Gesprächsstoff Nummer Eins war, als alle Leute dachten.
 
Bilder: Copyright

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