Gillian Flynns Roman „Gone Girl“ war einer der großen Bestseller der letzten Jahre, und das aus gutem Grund. Denn der extrem clever konstruierte und mit einem genüsslich großzügigen Schuss köstlicher Boshaftigkeit geschriebene Thriller ist ein enormes Lesevergnügen. Seine durchschlagende Wirkung verdankt „Gone Girl“ allerdings vor allem einer zentralen Wendung seiner Geschichte, die den wahren Reiz des Buchs und somit nun auch der Verfilmung ausmacht. Dieser Twist stellt einen Rezensenten jedoch vor eine gewisse Herausforderung. Denn wie lobpreist man einen Film, über dessen größte Stärke man tunlichst kein Sterbenswort verraten sollte?
Im Zentrum von „Gone Girl“ steht Nick Dunne (Ben Affleck) und die Tatsache, dass seine Ehefrau Amy (Rosamund Pike) verschwunden ist. Nick ist ein gescheiterter Journalist, der aus familiären Gründen aus New York weggezogen ist, zurück in seine dröge, ländliche Heimat in Missouri. Dieser Umzug war zugleich der Beginn des Niedergangs der Ehe von Nick und Amy, deren Geschichte wir in Rückblicken durch Amys Tagebucheinträge kennenlernen. Was mit fast magischer Anziehung und symbiotischer Leidenschaft begann, verlor erst seinen Zauber und versank dann in Ernüchterung und passiver Aggression. Eine tote Beziehung, die zumindest zum Teil erklärt, warum Nick vom so plötzlichen wie spurlosen Verschwinden seiner Frau nicht sonderlich erschüttert zu sein scheint. Diese irritierende Gleichgültigkeit des Gatten ist es denn auch, die Nick ins Zentrum der Ermittlungen rückt, als die Polizei eindeutige Spuren auf ein Gewaltverbrechen entdeckt und sich der Verdacht immer mehr erhärtet, dass Amy umgebracht wurde. Es ist auch nicht gerade hilfreich für Nick als sich herausstellt, dass er zur Polizei nicht ganz ehrlich war und ein schmutziges Geheimnis hat. Je mehr Hinweise zu Tage treten, desto schuldiger wirkt Nick, auch wenn er noch so beständig seine Unschuld beteuert. Ist Nick Dunne ein skrupelloser Lügner und Mörder? Oder hat er nur das Pech, dass ihm niemand glauben schenkt, weil er ein gefühlloses Arschloch ist?
„Gone Girl“ hat großen Spaß daran, einen Unsympathen als Protagonisten aufzubauen, und man kann es nicht anders sagen: Ben Affleck ist für diese Rolle die absolut perfekte Besetzung, eben weil Nick Dunnes Doppelbödigkeit aus attraktiver Charmebolzigkeit und egoistischer Arroganz haargenau jene Mischung trifft, die Affleck während der ersten Hochphase seiner Karriere rund um „Armageddon“ und „Pearl Harbor“ (und vor allem seiner Beziehung mit Jennifer Lopez) zu einem der meistgehassten Filmstars der Welt gemacht hat. Keine Frage, dass der Mann seitdem sehr gereift ist – was sich auch dadurch zeigt, dass er besagte Doppelbödigkeit einzusetzen weiß für seine stärksten Leistungen als Schauspieler (wie schon in „Hollywoodland“). Affleck leistet ganz entscheidenden Beitrag, dass das anfängliche Ratespiel von „Gone Girl“ – ist Nick schuldig oder nicht? – auch in der Filmversion effektvoll ausgereizt wird.
Bis dann genau zur Halbzeit der bereits angesprochene zentrale Twist kommt, der dieses Ratespiel auflöst – und sozusagen mit einer neuen Geschichte anfängt, die noch viel besser ist als alles, was bis hierher geschehen ist. Und so sehr man auch in schierer Begeisterung darüber plaudern möchte, was im zweiten Teil dieser Geschichte passiert – es ist geboten, sich unbedingt auf die Zunge zu beißen, um niemandem das Vergnügen und die immense Überraschung der zentralen Wendung des Films zu versauen. Wenn man „Gone Girl“ bereits als Roman gelesen hat, verliert der Film natürlich dieses Element der Überraschung, der Rezensent konnte sich (in Kenntnis des Romans) indes anhand der Reaktionen seiner Sitznachbarn bei der Pressevorführung überzeugen, dass die Konstruktion der Geschichte und die Hinführung zur zentralen Wendung auf der Leinwand ebenso gut und effektvoll funktioniert wie auf dem Papier.
Das ist zum einen Gillian Flynn selbst zu verdanken, die die Adaption ihres Romans zum Drehbuch selbst übernommen und dabei exzellente Arbeit geleistet hat. Wer den Roman kennt wird erkennen können, dass Flynn an genau den richtigen Stellen gekürzt hat und gut einschätzen konnte, welche Stücke ihres Krimi-Puzzlespiels sie weglassen kann, ohne das Gesamtbild zu stören. Zum anderen ist „Gone Girl“ auch als Film ein kleiner Geniestreich dank des Mannes auf dem Regiestuhl, und der soll nun wenn auch als letztes, dann wenigstens am meisten gelobt werden.
David Fincher ist einer der besten aktiven Regisseure in Hollywood, und mit seiner handwerklichen Meisterschaft bei der Erzeugung von Atmosphäre spielt er fast in einer eigenen Liga. Die Sicherheit, mit der Fincher alle Ebenen seiner Inszenierung – von Schauspielführung über Farb- und Bildgestaltung bis hin zum Schnitt und der subtil irritierenden musikalischen Untermalung (erneut von den für Finchers „The Social Network“ mit dem Oscar ausgezeichneten Trent Reznor und Atticus Ross) – zu einem absolut stimmigen, rhythmischen und wirkungsvollen Gesamtbild zusammenführt, sucht ihresgleichen. Und ist der Grund dafür, warum es kaum einen besseren Regisseur für die elegante Umsetzung solcher Genre-Ware wie dieser gibt. Auch wenn man dafür leider keine Oscars gewinnt (wie Fincher es spätestens für „The Social Network“ hätte tun sollen).
Mit spielerischer Leichtigkeit komponieren Fincher und Flynn den Film als Wechselspiel zwischen verwinkelter Krimigeschichte, menschlichen Abgründen (vor allem dank Amys altem, obsessiven Verehrer Desi Collings – in einem Paradebeispiel für Gegen-den-Strich-Casting gespielt von „Barney Stinson“ Neil Patrick Harris) und stetig aufblitzenden Funken trockenen, bitterbösen Humors. Hierfür sorgen vor allem die Seitenhiebe auf die Sensationsmedien, die sich von Anfang an auf die Story stürzen, da die verschwundene Amy so etwas wie ein kleiner Star war – das reale Vorbild einer von ihren Eltern verfassten Kinderbuch-Serie über „Amazing Amy“. Dass der Film trotz gut zweieinhalb Stunden Laufzeit zu keinem Zeitpunkt durchhängt, sondern durchweg unterhaltsam bleibt, ist auch der Tatsache zu verdanken, dass es Flynn gelingt, selbst die Funktionsträger ihrer Geschichte zu lebendigen, teils schillernden Figuren zu machen. Bestes Beispiel ist die ermittelnde Polizistin Rhonda Boney (Kim Dickens), die als eigenständiges Individuum in Erinnerung bleibt, ohne dass dafür allzu plakative Schrulligkeiten zum Einsatz kommen müssen.
„Gone Girl“ ist ein handwerklich perfekt ausgeführter, in allen Rollen optimal besetzter Thriller mit einer grandios konstruierten und zu höchstem Effekt erzählten Geschichte. Die Freude an diesem Film kann einzig dadurch geschmälert werden, dass man die Auflösung bereits kennt – wer also schon den Roman gelesen hat, kann sich „nur noch“ über eine makellose Leinwandadaption freuen, aber eben nicht mehr die zentrale Überraschung genießen. Wer indes gänzlich ahnungslos ins Kino geht, hat einen der besten Filmabende dieses Jahres vor sich.
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