Die Welle der Marvel Comic-Verfilmungen erreicht in der ersten Jahreshälfte 2014 quantitativ einen neuen Höhepunkt, denn innerhalb weniger Wochen rollt gleich von allen drei derzeit aktiven Reihen ein neuer Beitrag ins Kino. Kurz nachdem der „First Avenger“ das „Marvel Cinematic Universe“ um einen starken Film ergänzt hat und noch bevor sich die verschiedenen „X-Men“-Generationen in „Zukunft ist Vergangenheit“ vereinen, schleicht sich nämlich auch noch das einzige kleine „Problemkind“ dieser so erfolgreichen Marke in die Filmtheater. Denn mit dem kompletten Neustart der „Spider-Man“-Reihe taten nicht nur wir uns vor gut zwei Jahren etwas schwer. Durchaus gut gemacht und besetzt, aber auch mit Schwächen und halt irgendwo etwas unnötig, so fiel vielerorts das Urteil aus und nicht wenige taten sich schwer mit diesem neuen, deutlich finstereren Wandkrabbler warm zu werden. Aber Sony möchte diese Version natürlich etablieren und nach Möglichkeit ebenfalls zu einem eigenen Universum inklusive diverser Ableger ausbauen. Also geht es nun in die zweite Runde und „The Rise of Electro“ ist zumindest schon mal ein kleiner Schritt nach vorne, vor allem was den spürbar hochgeschraubten Action-Anteil betrifft.
Obwohl er es dem sterbenden Vater seiner Freundin versprochen hatte, schafft es Peter Parker (Andrew Garfield) nicht, sich tatsächlich von Gwen Stacy (Emma Stone) fern zu halten. Die weiß um seine zweite Identität als Spider-Man und scheint sich damit abzufinden, doch aufgrund Peters innerer Zerrissenheit bleibt die Beziehung schwierig. Da dient das Bekämpfen der Bösewichte, die durch New York streifen, schon fast als angenehme Abwechslung, auch wenn sich der mächtige Electro (Jamie Foxx) als echte Bedrohung erweist. Der verdankt seine Kräfte einem Unfall im Gebäude der Firma Oscorp, wo schließlich alle Fäden zusammenlaufen. Denn auch Peters alter Kumpel, der an einer unheilbaren Krankheit leidende Harry Osborn ist vor kurzem ins Unternehmen zurückgekehrt und auch der Schlüssel zum immer noch ungeklärten Verschwinden von Peters Eltern scheint sich dort zu finden.
Beginnen wir mit dem, was gut gelungen ist beim zweiten Abenteuer des „neuen“ Spider-Man. Tricktechnisch haben wir uns mittlerweile ein ganzes Stück von der Videospiel-Ästhetik des ersten Raimi-Films von 2002 entfernt, so gut sah es noch nie aus wenn sich der Netzschwinger durch die Häuserschluchten bewegt. Auch die elektromagnetischen Kräfte des Hauptschurken sind so hervorragend für eine visuelle Umsetzung geeignet, dass sich da dann auch mal die 3D-Version lohnt. Insgesamt gibt es diesmal deutlich mehr von Peter Parker im Kostüm und damit in Aktion zu sehen, was vor allem deshalb erfreulich ist, weil die „private“ Background-Story nach wie vor nicht vollständig zu überzeugen weiß. Zwar gelingt es Andrew Garfield und Emma Stone der Peter/Gwen- Liebesgeschichte glaubhafte und starke Momente zu verleihen, doch andernorts wird es problematisch.
So ist vor allem die Motivation der beiden Herren, die sich hier im Verlauf zu Gegnern entwickeln, äußerst schwach, um nicht zu sagen kaum nachvollziehbar. Denn obwohl er vormals dessen größter Fan war und Spider-Man sogar einmal sein Leben rettete, ist Max Dillon alias „Electro“ irgendwann beleidigt, weil das Idol sich nicht mehr an seinen Namen erinnern kann. Die Figur von Jamie Foxx ist dabei mit ihrer „Ich bin ein Loser und keiner interessiert sich für mich“-Jammerei doch sehr klischeehaft geraten. Auch Konzernerbe Harry Osborn (Dane DeHaan) ist in der neuen Version zwar interessant und zwiespältig, doch sein plötzlicher Zorn auf Peter Parker bleibt ebenfalls etwas unverständlich. Zudem strapaziert man die Glaubwürdigkeit innerhalb der Reihe etwas, wenn der zuvor nie erwähnte superreiche Harry also angeblich jahrelang der dickste Kumpel des armen Peter war. Als dieser sich im ersten Teil ins Oscorp-Gebäude schlich, wirkte es jedenfalls nicht unbedingt so, als hätte er zum Konzern und dessen Familie irgendwelche Verbindungen.
Überhaupt „Oscorp“. Als befänden wir uns nicht in New York sondern in Wolfsburg oder Ingolstadt scheint die gesamte Stadt auf diese eine Firma fixiert zu sein, sämtliche bedeutenden Entwicklungen spielen sich dort ab und jeder steht offensichtlich dort in Lohn und Brot. Wo wurde Peter Parker von der besonderen Spinne gebissen? Wo jobbt Freundin Gwen? Welches Unternehmen erbt Jugendfreund Harry? Wo arbeitet Max Dillon und erlangt dort die Kräfte die ihn zu „Electro“ machen? Für welchen Konzern forschte Peters urplötzlich verschwundener Vater? Viele Fragen und stets die gleiche Antwort: Oscorp“. Auch mit dem Handlungsstrang um Peters Eltern ist es so eine Sache. Da eröffnet der Film mit der exakt gleichen Szene wie sein Vorgänger, spinnt diese aber weiter und zeigt uns was anschließend geschah, um so ein riesengroßes Mysterium aufzubauen. Doch was es dann letztlich an neuen Enthüllungen gibt ist wenig spektakulär und für die eigentliche Geschichte (bisher) immer noch nicht von zentraler Bedeutung.
Die Art wie man mit dieser Verschwörungs-Episode umgeht ist insofern symptomatisch für die neue Spider-Man- Reihe als das sie wie Vieles etwas angestrengt wirkt. Man bemüht sich einen mysteriösen Hintergrund aufzubauen, der aber im Grunde nur wenig Substanz birgt. Man versucht sich unbedingt von der Vorgänger-Trilogie zu unterscheiden, indem man nach wie vor einen sehr ernsthaften Grundton beibehält, der aber nicht wirklich der Figur „Spider-Man“ gerecht wird. Denn der war – trotz aller privaten Probleme – auch immer die eher heitere Figur des Marvel-Universums, die stets mit lockeren und frechen Sprüchen ihren Job versah. So kommt es, dass die wenigen Momente in denen man das hier ebenfalls versucht und einbaut (wie in der im Prinzip sehr gelungenen großen Verfolgungsjagd zu Beginn des Films), fast wie ein unpassender Fremdkörper innerhalb des sonstigen Geschehens wirken, obwohl es doch eigentlich noch am Ehesten dem Geist der Vorlage entspricht. Den Kennern eben dieser Comics erweist man aber immerhin die Freude, einen der ganz prägenden Episoden der Spider-Man-Serie (bzw. der US-Superhelden-Comics überhaupt) dieses Mal sehr werkgetreu und wirkungsvoll umzusetzen.
Das Fazit fällt also erneut gemischt aus: Tricktechnisch und schauspielerisch top, von der Tonart und Atmosphäre her Geschmackssache, die Story mitunter arg holperig. Am besten dürfte dieser „Spider-Man“ wohl denjenigen gefallen, die relativ unbefleckt von Comics und früheren Filmen sind. Und für die Macher gilt zumindest: Sie haben sich sehr bemüht.
Neuen Kommentar hinzufügen