
Junges
chinesisches Kino ist aufregend. Das erkennt man nicht zuletzt an
den vielen Festivalerfolgen, die Filmemacher, wie Jia Zhang-ke ("Still
Life") oder Lou Ye ("Summer Palace") auch in
unseren Kreisen etwas bekannter machen. Seit kurzem darf sich die
junge Schriftstellerin und Filmemacherin Xiaolu Guo ebenfalls zu
den interessanten und begabten Regisseuren der Volksrepublik zählen.
Nicht zuletzt weil ihr berauschender Film "Sie, eine Chinesin"
letztes Jahr ohne mit der Wimper zu zucken den Goldenen Leoparden
beim Internationalen Filmfestival von Locarno gewann.
Guo erzählt in ihrem Film keine klassische Geschichte. Es gibt keinen geschlossenen Handlungsverlauf. Vielmehr wirft uns die Regisseurin in das Leben der jungen Mei (Lu Huang), die in einem Dorf in der chinesischen Provinz lebt, kleine Jobs bewältigt, mit der Mutter streitet und von der großen Stadt und der großen Liebe träumt - ein ganz normaler Teenager halt. Doch dann beginnt Mei sich zu bewegen und die Kamera folgt ihr. Sie zieht in die Stadt (natürlich einem Jungen hinterher), begegnet dort dubiosen Gestalten, gerät schnell in die kriminelle Szene und rutscht auch ins Rotlichtmilieu ab. Doch dann geht es schon wieder weiter. Aus der chinesischen Stadt nach London. Mei sucht nach dem Glück, lässt sich dabei von ihren Gefühlen treiben und landet schließlich in einer Ehe, die niemand so richtig will.
Die
junge Regisseurin lässt sich nicht beirren und demonstriert
in ihrem zweiten Spielfilm nach "How Is Your Fish Today",
dass sie die realen Umstände und Umbrüche der aktuellen
chinesischen Gesellschaft fest im Auge hat. Das äußert
sich im Film in erster Linie durch seine Machart. Guo kommt, wie
so viele junge chinesische Filmemacher, aus dem Bereich des Dokumentarischen.
Die Regisseure wissen um die Macht der Digitalkamera. Mit ihr können
sie relativ günstig und flexibel ihre Projekte umsetzen. Zudem
gelingen dadurch auch immer wieder Einblicke in die abgründigen
und schmutzigen Seiten dieses Landes, was die offizielle Staatszensur
natürlich zu vermeiden versucht.
Ganz so riskant ist "Sie, eine Chinesin" nicht, dennoch
spart Guo die kriminellen Seiten nicht aus. Sie zeigt außerdem
die schreiende Arbeitslosigkeit und die oftmals sehr trostlosen
Lebensumstände der Menschen. Das alles fängt sie in flüchtigen,
grobkörnigen Bildern ein. Der eigentliche Clou an "Sie,
eine Chinesin" sind seine aufmerksamen Beobachtungen gegenüber
dem Verhalten seiner Hauptdarstellerin. So ist Mei teenagertypisch
dem Konsum ergeben. Statt mit dem jungen Draufgänger zu knutschen,
will sie lieber seinen iPod haben und Musik hören, sie will
ins Kino (es läuft gerade Peter Jacksons "King Kong"),
teure Schuhe und Perücken kaufen. Damit erzählt die Regisseurin
nicht nur Episoden aus dem Leben eines chinesischen Teenagers. Guo
lässt Mei auch in den Westen, nach London fahren. Das ist konsequent,
schließlich ist der Westen das Ursprungsland von Meis Sehnsüchten.
Hier ist alles viel cooler und besser als zu Hause, viel weltoffener
und moderner. Doch "Sie, eine Chinesin" zeigt, dass diese
Sehnsüchte nichts weiter als bloße Wunschvorstellungen
sind. Im Westen ist nicht alles so prickelnd, wie es sich Mei vorgestellt
hat. Doch das Wunderbare an dieser Figur ist, dass sie auch nach
vielen heftigen Rückschlägen unbeirrt weiter läuft.
Fast so, als würden sie all diese Skandale und Gefahren nicht
weiter interessieren, marschiert sie schnurstracks geradeaus in
ihre Zukunft.
Dieses
Konzept überzeugt allein schon wegen seiner emotional hochaufgeladenen
Bilder, die jeden Moment zu platzen drohen. Diese Spannung ist es,
die "Sie, eine Chinesin" an die Filme der Nouvelle Vague
erinnern lassen, genauer an die frühen Filme von Jean-Luc Godard,
dem die Regisseurin nicht nur den Titel ihres Films verdankt (angelehnt
an Godards "La chinoise"), sondern sich des öfteren
in ihrem Werk vorm französischen Altmeister verneigt. An dieser
Stelle sei der Schnitt des Films erwähnt. Cutter Andrew Bird
hat eine wahnsinnig gute Arbeit geleistet. Dank seines Talents verbinden
sich die losen Episoden aus Meis Leben zu einem doch kontinuierlichen
Erzählverlauf. Bird ist im deutschen Kino kein Unbekannter.
Er hat bisher alle Filme von Fatih Akin geschnitten und für
"Auf der anderen Seite" gab es dann auch den lang verdienten
Deutschen Filmpreis.
Xiaolu Guo ist ein lautes, hippes und freches Werk gelungen, das
nicht unbedingt subtil sein will, sondern viel lieber mit dem Kopf
gegen die Wand rennt und die Extreme und das Unvereinbare sucht.
Natürlich ist diese rockige Comig-Of-Age-Geschichte auch ein
kritischer Blick auf die realen Umstände im heutigen China.
Doch es ist nicht die Allegorie, die hier überzeugt, sondern
der Rhythmus der Bilder, der sich nicht im Geringsten dafür
schämt auch mal gehörig über die Stränge zu
schlagen. "Sie, eine Chinesin" ist unverschämt, dreist
und unnahbar zugleich. Es ist die bildgewordene Gefühlswelt
eines faszinierenden Teenagers.
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