Mr. Shi und der Gesang der Zikaden

Originaltitel
A thousand years of good prayers
Land
Jahr
2007
Laufzeit
85 min
Genre
Regie
Release Date
Bewertung
7
7/10
von Patrick Wellinski / 5. März 2011
 

 

Es waren einst Filme wie "Smoke", "Slam Dance" oder auch "The Joy Luck Club", die den in Hong Kong geborenen Regisseur Wayne Wang berühmt und international bekannt machten. Nach seinen Independent-Erfolgen zog es Wang nach Hollywood und dort büßte er (so schien es zumindest) seine Kunstfertigkeit langsam ein. Mainstream-taugliche Massenware wie die RomCom "Manhattan Love Story" oder auch "Noch einmal Ferien" waren manchmal hübsch und nett, wurden seinem künstlerischen Potenzial aber nicht annähernd gerecht. Doch mit seinem neusten Film "Mr Shi und der Gesang der Zikaden" begibt sich Wayne Wang endlich wieder zurück zu den Wurzeln seines Schaffens.

Wang adaptiert hier eine Kurzgeschichte der chinesisch-stämmigen Schriftstellerin Yiyun Li, die seit vielen Jahren in den USA lebt und auch auf Englisch schreibt. Ähnlich wie Wang in seinen frühen Werken beschäftigt sich auch Li mit den Schwierigkeiten und Hoffnungen chinesischer Immigranten in den USA. So ist auch der Plot des Films in diesem Milieu angesiedelt. Der Witwer Mr. Shi (Henry O) reist zu seiner Tochter Yilan (Feihong Yu) in die Vereinigten Staaten. Er ist der Meinung ihr beistehen zu müssen, da Yilan sich gerade hat scheiden lassen. Doch schnell wird klar, dass die junge Yilan nichts mit der Hilfe ihres Vaters anfangen kann. Kommunikationslosigkeit ist noch ein nettes Wort für die Distanz der beiden zu einander. Mr. Shis Ausflüge in der Kleinstadt enden in der Begegnung mit einer Iranerin. Obwohl sich beide nicht unterhalten können, verstehen sie einander besser als Mr. Shi und seine Tochter. Als die Beziehung zu der Fremden plötzlich abbricht und Yilan sich immer weiter von ihm zurückzieht, muss Mr. Shi eine Entscheidung treffen, vor der er sich immer verstecken wollte.

Eigentlich ist "Mr. Shi und der Gesang der Zikaden" die Hälfte eines filmischen Doppelpacks, denn gleichzeitig realisierte Wang auch "The Princess of Nebraska", der den Weg eines schwangeren chinesischen Teenagers in den USA verfolgt und ebenfalls auf einer Kurzgeschichte von Yiyun Li beruht. Leider hat letzterer noch keinen deutschen Verleih gefunden. Wangs enge Zusammenarbeit mit Li steht dabei in der Tradition seiner Kooperationen mit dem amerikanischen Autor Paul Auster, mit dem zusammen er seine episodischen Rauchladen-Filme "Smoke" und "Blue in the Face" verwirklichte.
Auch im Fall von "Mr. Shi" ist die literarische Handschrift unübersehbar, was allerdings dazu führt, dass die Story den ganzen Film dominiert. Dementsprechend findet Wang leider nur sehr selten akkurate filmische Bilder, die über das geschriebene Wort des Drehbuchs hinausgehen. Zum Glück ist Lis Erzählung sehr ausgeklügelt und oft gespickt mit ironischen Einschüben, die sehr liebevoll die Begegnung der Kulturen schildern und so über die inszenatorischen Schwächen hinwegtrösten können.
Wenn Mr. Shi zum Beispiel Mormonen begegnet, die versuchen ihm die Lehre ihres geistigen Führers John Smith näher zu bringen, antwortet dieser plötzlich: "Proletarier aller Länder vereinigt euch!" Die Antwort überrascht die Mormonen sichtlich und lässt sie verdutzt fragen, ob es sich hierbei um die Parole eines chinesischen Gottes handelt. "Ja", antwortet Mr Shi, "Marx und Engels". Auch die Begegnung mit der Iranerin offenbart Skurriles, doch verliert der Film durch diese Beobachtungen immer wieder seine Grundkonstellation aus den Augen. Ein Makel, den der Film bis zu seinem Ende nicht wirklich los wird.
Trotzdem ist die Leistung des Hauptdarstellers Henry O (der - wie auch der Film selber - bei dem Internationalen Filmfestival in San Sebastian mit der Goldenen Muschel ausgezeichnet worden ist) sehr berührend. Wenn er allein auf einer Parkbank sitzt und dabei ein Gesicht macht, als würde er angestrengt nach etwas Bestimmten suchen, dann wirkt dieser kleine chinesische Mann wie heraus gefallen aus einem Edward Hopper-Bild.

Wang versucht der in den USA ständig aktuellen Immigrationsdebatte weitere Argumente und Sichtweisen hinzuzufügen. "Mr Shi und der Gesang der Zikaden" bildet zusammen mit "The Princess of Nebraska" ein äußerst anregendes Mosaik des US-amerikanischen Multikulti-Schmelztiegels. Beide sind aber auch filmische Kommentare über die Starre der Kommunikation in unserer globalisierten Welt und über die Rolle, die Werte wie Tradition und Familie in dieser Welt noch haben.

 

Bilder: Copyright

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