Schöne Bilder garantieren noch lange keinen überzeugenden Film – diese einfache Kinoweisheit wird mit dem Spielfilm-Debüt des Iren Mark Noonan mal wieder eindrucksvoll untermauert. Auch wenn „Familienbande“ die trostlose Welt seiner Hauptfiguren visuell überzeugend auf die Leinwand bringt, der Geschichte fehlt dann doch eine gehörige Portion Kreativität und Konsequenz um den schönen Bildern auch inhaltlich Taten folgen zu lassen. So kann auch die durchaus charmante Hauptdarstellerin nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Film letztendlich zu konstruiert und ziellos daherkommt, um den Zuschauer am Ende wirklich berühren zu können.
Dabei ist das Schicksal der 11jährigen Stacy (Lauren Kinsella) mehr als bemitleidenswert. Sie hat sowohl ihren Vater als auch ihre Mutter verloren und leidet dazu noch an Narkolepsie. Ausgerechnet ihr eigenbrötlerischer Onkel Will (Aidan Gillen, „Game of Thrones“, “Maze Runner“) wird nun unter strengen Auflagen vorzeitig aus der Haft entlassen, um die Vormundschaft für Stacy übernehmen zu können. Wirklich erfreut über diese Zweckgemeinschaft sind die beiden anfangs nicht, doch vielleicht schweißt die gemeinsame Zeit in einem abgelegenen Trailerpark im irischen Nirgendwo ja zusammen.
Mürrischer Onkel trifft auf vorlaute aber liebenswerte Nichte – in welche Richtung sich dies entwickelt dürfte nicht nur erfahrenen Kinogängern bereits jetzt schon dämmern. Interessant ist dabei, dass der Film die Beziehung der beiden durchaus ernst nimmt und die Unterschiede zwischen Stacy und ihrem Onkel nicht nur für ein paar Humoreinlagen ausschlachtet. Natürlich gibt es einige Momente zum Schmunzeln, insbesondere wenn Stacy ihren Onkel mit ihrer ziemlich direkten Art gleich mehrmals in die Schranken weist. Aber insgesamt dominieren eher die ernsteren Szenen, die sich mit der Narkolepsie-Erkrankung von Stacy oder dem nicht ganz gesetzeskonformen Leben ihres Onkels auseinandersetzen.
Zwei gebrochene Menschen, die unterschiedlicher nicht sein können und sich nun eine gemeinsame Zukunft erarbeiten müssen - keine leichten Vorraussetzungen für ein problemfreies Zusammenleben. Es ist dann auch diese pessimistische Grundstimmung, die im Film auf der visuellen Ebene noch einmal deutlich verstärkt wird. Der heruntergekommene Trailerpark mitten im ländlichen Irland, in Kombination mit dem dort vorherrschenden Schmuddelwetter, ist ja an sich schon eine ziemlich depressive Angelegenheit - doch die Farbgebung des Films steigert das Ganze noch einmal. Es ist ein farbloser, trister und geradezu dreckiger Look den die Macher ihrem Werk hier verpasst haben. Auch wenn es manchmal vielleicht fast ein bisschen zuviel des Guten ist, insgesamt ist es schon eine sehr eindrucksvolle Atmosphäre, die der Film dadurch entwickelt.
Aber Atmosphäre ist eine Sache, eine überzeugende Geschichte die andere. Das fängt schon bei der Figur der Stacy an, deren Schlagfertigkeit und Dialoge zwar Charme haben aber eben auch öfters eher konstruiert als natürlich daherkommen. In einer Szene regt sich Stacy darüber auf, dass Will Eis klaut, nur um ihn kurz später zu ermuntern eine Affäre mit einer verheirateten Frau zu beginnen. So ganz passt das nicht zusammen und eine wirklich glaubwürdige Figur ergibt deren Mischung aus kindlichen und dann wieder unglaublich reflektierten Aussagen nicht wirklich. Eher hat man das Gefühl, dass man sich ihren Charakter je nach Situation ein bisschen zurechtlegt.
Wirklich problematisch ist aber vor allem eine Nebenhandlung rund um die hübsche und poetisch veranlagte Belgierin Emilie (Erika Sainte), in die sich der gute Will im Trailerpark verliebt. Deren Auftauchen in der dortigen Siedlung ist nun wirklich komplett unglaubwürdig und an den Haaren herbeigezogen. Noch schlimmer, am Ende ist diese Rolle auch noch komplett sinnlos, da dieser Nebenstrang im Sand verläuft und nicht wirklich einen nachhaltigen Einfluss auf die Handlung oder die Figuren hat. Sie raubt Will sogar eher noch ein paar mühevoll erarbeitete Sympathiepunkte beim Publikum. Der Ehemann von Emilie entpuppt sich nämlich als gar nicht so schlechter Kerl und so lassen die Annäherungsversuche von Will diesen nicht gerade als Gentleman erscheinen.
So wirkt dann vieles am Ende nicht nur sehr konstruiert, sondern vor allem auch ziellos. Nichts gegen Filme, die Wert auf leise statt laute Töne legen, aber ein klein wenig mehr Emotion und Charakterentwicklung wäre dann doch wünschenswert. Am Besten lässt sich dies an der Geschichte rund um die Gefängnisstrafe von Will festmachen, deren Grund lange im Dunkeln bleibt um so ein wenig Spannung hochzuhalten. Die Hintergründe entpuppen sich am Ende zwar als eigentlich emotional aufwühlend, doch die Wirkung verpufft völlig da weder Will noch Stacy nach der Auflösung in irgendeiner Weise emotional mitgenommen wirken. Es ist eine gefühlte Gleichgültigkeit der Charaktere gegenüber der Geschichte und ihren Wendungen, die “Familienbande“ seiner möglichen emotionalen Wucht beraubt.
Den Schauspielern kann man dabei nicht wirklich einen Vorwurf machen, den insbesondere die junge Lauren Kinsella entwickelt durchaus Charme in ihrer Rolle als lebhafte und besserwisserische Nichte. Aidan Gillen, dem "Game of Thrones"-Fans erst einmal natürlich nicht über den Weg trauen, braucht dagegen durchaus seine Zeit um gegen sein manipulatives Bösewicht-Image anzukämpfen. Mit laufender Dauer kann er diesen Ballast zwar durchaus abwerfen, doch es ist eben nicht so leicht gegen ein Drehbuch anzukämpfen, dass ihm am Ende nicht wirklich erlaubt seiner Rolle eines gebrochenen Mannes zu entkommen oder irgendeine signifikante Veränderung durchzumachen.
Trotzdem ist es die Chemie zwischen den beiden Hauptdarstellern, die den Film sehr lange über Wasser hält. Dank den beiden hat der Film durchaus seine charmanten Momente, aber eben nur Momente. Ein bleibender Eindruck bleibt nicht haften, stattdessen treffen wir auf Figuren, die nicht wirklich eine Katharsis durchlaufen, auch wenn das Ende dies vielleicht suggerieren mag. “Familienbande“ ist ein Drama ohne wirkliches Drama, dessen Bilder eine inhaltliche Tiefe vorgaukeln, die leider dann einfach nicht vorhanden ist.
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