
Entschlossen steht
Elling vor einem Bahnhofsbeamten, um ein Ticket zu kaufen.
Dieser
unscheinbare, schmächtige Mann hat es geschafft! Aufgeregt
erzählt
er dem Herrn hinter dem Schalter, er wolle mit seinem Freund
Kjell Bjarne nach Oslo, dort träfen sie den Sozialarbeiter
Frank
Åsli. Der Fahrkartenverkäufer sei doch auch beim Staat
angestellt; arbeiten dort nette Menschen? Doch Ellings Frage
bleibt
unbeantwortet. Nach einem längeren Aufenthalt in der
Psychiatrie
‚Kurzentrum Brøynes' ist die Reintegration in die
norwegische
Gesellschaft eben nicht so einfach.
Um den Beiden die Eingliederung in das Leben zu erleichtern,
hat der
Staat ihnen eine hübsche Drei-Zimmer-Wohnung zur Verfügung
gestellt. Und eben Sozialarbeiter Frank (Jørgen Langhelle).
Wie ein Alltags-Animateur taucht er in regelmäßigen
Abständen
bei ihnen auf und fordert etwas mehr Selbständigkeit oder
Leidenschaft
für Freizeitbetätigungen. Also versuchen Elling und sein
Zimmergenosse Kjell Bjarne die ‚Normalität' zu erlernen.
Und die beiden arbeiten wirklich eisern und hart an sich.
Aber die
gestellten Forderungen, mögen sie uns noch so banal
erscheinen,
stürzen Elling und Kjell in einen täglichen Kampf mit sich
selbst: Einkaufen, unter Menschen gehen oder allein und ohne
Angst
telefonieren. Das ist eben für die einen ganz normal, aber
für
die anderen schieres "Grenzensprengen". Für diese einen
ist eine Expedition zum Südpol etwas fast Alltägliches und
für die anderen, für die ist schon der Gang quer durchs
Restaurant aufs Klo ein großes Abenteuer ...
Der
eher grobschlächtige, aber gutmütige Kjell Bjarne (Sven
Nordin) hat es beim erreichen seiner Ziele etwas leichter,
da sich
seine Interessen mit eindeutiger Konsequenz auf das Fressen
und Ficken
beschränken. Kompliziert wird es für ihn, als er nicht mehr
nur von Ellings ‚reichhaltigem', wüsten, Erfahrungsschatz
zehren muss, sondern tatsächlich eine Frau kennen lernt. Als
er im Treppenhaus über die hochschwangere und sehr
betrunkene
Reidun (Marit Pia Jacobsen) stolpert, erhält Kjell die
Chance
seines Lebens: Vielleicht schafft er es eine Frau kennen zu
lernen,
die ihn nicht nur endlich, endlich entjungfern würde,
sondern
auch noch lieben könnte. Elling (Per Christian Ellefsen) hat
es da schon schwerer. Er ist nicht nur tiefgründiger,
sondern
auch weitaus psychotischer veranlagt als sein Kumpel.
Selbstkritisch
betitelt er sich als "Muttersöhnchen" und versucht
in kleinen Schritten, seiner heimlichen Verehrung für die
Ministerpräsidentin/Über-Mutter
Gro Harlem Bruntland zu entwachsen. Als Elling plötzlich,
und
ganz "ohne die Hilfe des norwegischen Staates", einen
intellektuell
gleichgesinnten Freund findet, entdeckt er unverhofft seine
Berufung
zur Poesie.
Mit
einem Mal ist das Leben kein unüberwindbarer Hindernislauf
mehr,
sondern möglich. Es ist eben ein gewaltiges Abenteuer. Und
die
beiden müssen alles geben, was sie können ...
Die Figuren Elling und Kjell Bjarne, nach den vier
‚Elling'-Romanen
von Ingvar Ambjørnsen, sind in Norwegen mittlerweile schon
so etwas wie Volkshelden. Nicht minder sind es ihre realen
Darsteller
Per Christian Ellefsen und Sven Nordin, die die beiden
liebenswerten
Sonderlinge bereits in einer Theaterversion spielten. Denn
wer es
auf so sensible und komische Art schafft, die kauzigen
Außenseiter
ins Rampenlicht der Gesellschaft zu stellen, den muss man
einfach
mögen. Wem es gelingt, Humor und Ernsthaftigkeit,
Skurrilität
und Normalität so unbeschwert zu vereinen und ungekünstelt
darzustellen, der verdient es einfach von über 800.000
Norwegern
gesehen und gefeiert zu werden.
Daran
ist Regisseur Petter Næss natürlich nicht ganz unschuldig.
Niemals blickt er zu tragisch auf den zu bewältigenden
Alltag
der "zwei umtriebigen Junggesellen" und niemals lässt
er ihre Schwächen im Umgang mit dem Leben lächerlich
erscheinen.
Ohne Frage ist es in besonderem Maße sein Verdienst, dass
"Elling" kein weinerlich-analysierender Film über
Männer mit psychologischen und gesellschaftlichen
Eingliederungsproblemen
geworden ist. Von der ersten bis zu letzten Sekunde ist er
wie eine
Erlebnisreise durch recht wunderliche, aber wunderbare
poetische
Momente. Obwohl Petter Næss, anders als Ambjørnsen,
sich nicht auf Ellings Innenleben konzentriert, sondern
das Augenmerk
auf die Bewältigung des tückischen Alltags lenkt, gelingt
es ihm ebenso wie dem Autor, das sensible Gleichgewicht
der Geschichte
zwischen Drama und Komödie zu wahren.
"Ich wollte einen unprätentiösen Film drehen",
erklärt Næss. Aber was so schlicht aussieht, ist eben
doch ein höchst anspruchsvolles und vielschichtiges und
dabei
absolut kurzweiliges Stück norwegische Filmgeschichte
geworden.