Eine kurze Geschichte der Romantic Comedy

von Sandra Hertel / 16. Juli 2011
Wenn man heute nach einem Filmgenre gefragt wird, das in einer Krise stecken könnte, fällt die Antwort nicht schwer: Romantic Comedy, das rosa-klebrige Sülzspektakel für ein vornehmlich weibliches Publikum ohne Sinn für Realität oder Kenntnissen von ernsthaften Beziehungen. Das zwangsläufige Happy End und die Vorhersehbarkeit der künstlich verschlungenen Handlungsfäden sind die Charakteristika, auf die der Hammerschlag eines jeden halbwegs niveauvollen Filmkritikers zuerst niederdonnert, bevor sich der Verriss den üblichen Klischees und schlechten Schauspielleistungen zuwendet. Auch auf dieser Seite sahnen die typischen "Frauenfilme" durchschnittlich genauso wenig Augen ab wie testosterongespritzte Actionfilme mit ähnlich wenig Hirn. Selbst die Filmwissenschaft findet für das verschmähte Genre nur wenig Worte, und die lauten: Transparent, oberflächlich, flach und konsumorientiert. Aha.

Doch wer in der Filmwissenschaft erstmal tiefer gräbt, merkt schnell, dass das nicht immer so war. Zahlreiche Romantic Comedies waren nicht nur außerordentliche Publikumserfolge, sondern kamen auch bei den Kritikern gut an. Einer ihrer Klassiker, "Es geschah in einer Nacht", gewann 1934 sogar die fünf wichtigsten Oscars. Deshalb blickt dieses Spotlight einmal zurück in die Zeit der Screwball und Sex Comedies und schreit nach Veränderung.

USA 1934: Das Land steckt in der wirtschaftlichen Depression und braucht mal wieder was zum Lachen. Deshalb sollen Komödien mit unverfänglichen Themen von Arbeitslosigkeit und Armut ablenken. Die Gegensätze, die das Land bestimmen, übertragen sich auf den Film, und was kann unverfänglicher und charmanter sein als die Liebe?
In den Screwball Comedies, der Urform der Romantic Comedy, werden Protagonisten aufeinander losgelassen, die auf den ersten Blick wenig Liebes- und dafür umso mehr Konfliktpotential mit sich bringen. Sie streiten, sie zicken sich an, sie hassen sich und am Ende verlieben sie sich doch. Der Weg dazwischen ist eine Odyssee mit skurrilen Situationen, blitzgescheiten Dialogen, exzentrischen Gebärden und natürlich von moralischen Institutionen vorab zensierten Verstößen gegen den guten Anstand. Viele der erotischen Gesten dieser Filme haben im vom Sex überschwemmten 21. Jahrhundert zwar mehr niedlichen Charakter, aber am Ende geht es nur um das Eine.
Bis sie endlich ein Paar werden können, tritt einer der Protagonisten als Lehrer für seinen Partner auf. Das muss nicht immer der Mann sein: In "Leoparden küsst man nicht" zeigt Katherine Hepburn als Susan dem verstaubten Archäologen David (Cary Grant) auf unkonventionelle Weise wie schön das Leben sein kann, indem sie an einem einzigen Tag seine anstehende Ehe, seine Arbeit und seinen guten Ruf zerstört. In "Es geschah in einer Nacht" muss Ellie (Claudette Colbert) auf der Flucht vor ihrem strengen Vater an der Seite des abgebrannten Reporters Peter (Clark Gable) das Leben in Armut lernen und genießt die ungewohnte Freiheit völlig.
Auch wenn die Screwball Comedies heutzutage nur noch Liebhaber des alten Hollywood begeistern und ansonsten ein wenig in Vergessenheit geraten sind, gehören die Highlights des Genres unbestreitbar zu den goldenen Schätzen der Filmgeschichte, und sie als olle Liebeskamellen zu verschmähen ist genauso ungerecht wie kurzsichtig.

Mit den Sex Comedies in den späten 50er und 60er Jahren wurde die Zensur-Schraube nicht lockerer, die Doppelbödigkeiten und sexuellen Anspielungen allerdings fanden kein Halten mehr. Das Playboy-Magazin und Alfred Kinseys schockierende Offenbarungen über das weibliche Sexualverhalten hatten die Vorstellungen des prüden Amerikas aufgeweicht, ohne dass es deshalb bereits gestattet wäre, im Film Sex vor der Ehe zu erlauben. Das wurde - wen wundert's - natürlich nur den Männern verziehen.
Trotzdem ging es in dieser Phase des Genres, wie der Name schon sagt, nur um Sex. Männer wollen es ohne, Frauen wollen es mit Eheschließung. Daraus machten die Produzenten der Sex Comedies einen Kampf der Geschlechter um Klischees, Lügen und Intrigen. Denn der männliche Protagonist, meist ein Playboy-Macho gesegnet mit gleich mehreren sexuellen Beziehungen, versucht die wohl erzogene weibliche Protagonistin mit allen Mitteln ins Bett zu kriegen und schreckt dabei vor keiner Täuschung zurück. Doch auch die Sex Comedies glauben an die wahre Liebe, und der Großstadtplayboy findet über seine Verstellung zum wahrhaften Glück.
Was zählt ist der Weg, und der ist in keiner anderen Sex Comedy so genial gepflastert wie bei "Bettgeflüster" mit Rock Hudson und Doris Day. Die Story spielt zu einer Zeit, als es in New York noch nicht genügend Telefonleitungen für jede Wohnung gibt, und sich der leichtlebige Liedermacher Brad Allen und die selbstbewusste Innenarchitektin Jan Morrow einen Anschluss teilen müssen. Jedes Mal, wenn sie den Hörer abhebt, trällert Brad an der anderen Seite einem seiner Betthäschen ein sülziges Liebeslied vor. Ihr Urteil über diesen "Sexualprotz" ist vernichtend, und als Brad Allen plötzlich ihren Namen in einem Tanzcafé hört und den dazu gehörenden attraktiven Rücken erspäht, ist ihm klar: Da hat er als er selbst keine Chance. Kurz entschlossen gibt er sich als texanischer Farmbesitzer aus und umschwärmt Jan wie der edelste Gentlemen der Welt. Am Telefon jedoch macht er ihr als Brad Allen die neue Liebe wieder madig. Die dreiste Verführungstaktik, die offensichtlichen sexuellen Anspielungen in den Gesprächen und Kameraeinstellungen und die überzogenen Klischees der Geschlechterkoketterie haben auch heute noch nichts von ihrem Tempo und Witz verloren.
Reich an Zweideutigkeiten ist auch die wohl bekannteste Komödie von Billy Wilder. In "Manche mögen's heiß" mit Marilyn Monroe, Jack Lemmon und Tony Curtis sind Maskerade und Rollenspiele im Kampf der Geschlechterklischees perfektioniert. Die Story über zwei Musiker, die in Frauenkostümen als Mitglieder einer Frauenkapelle vor der Mafia fliehen, nachdem sie ein Attentat bezeugt haben, ist nicht nur ein Frauenliebling. Die betörende sexuelle Ausstrahlung einer Marilyn Monroe mit der lächerlich-komischen Travestie von Lemmon und Curtis zu kombinieren, war ein so geniales wie erfolgreiches Konzept. Letztendlich ist in kaum einer anderen Romantic Comedy das Happy End derart unwichtig, wo doch der Schlusssatz "Nobody's perfect" auch noch andere Möglichkeiten offenbart. Sich diesen Film noch einmal selbstkritisch gegenüber dem eigenen Geschlecht anzusehen, ist so lehrreich wie amüsant.

Mit der Öffnung der Gesellschaft durch die Hippie-Bewegung und die Lockerung der Zensur durfte in den 70er Jahren plötzlich all das gezeigt werden, worüber zuvor nur geredet wurde. Damit verloren die Romantic Comedies jeglichen Witz und Esprit. Denn was ist interessant am Geschlechterkrieg, wenn die Protagonisten nach dem ersten Date sofort zum Sex übergehen, nicht mehr kokettieren und sich auch nicht mehr belügen?
Die Identitätskrise des Genres wurde durch einen radikalen Bruch mit den bisherigen Charakteristika aufgefangen. Einzelne Filme der 70er Jahre, die auf ein Happy End verzichteten, eine unchronologische Erzählweise und neue Stilmittel benutzten, werden heute Radical Romantic Comedies genannt. Paradebeispiel und beliebtester Film dieser Genre-Ära ist Woody Allens "Der Stadtneurotiker", der 1977 vier Oscars gewann. Anstatt das Zueinanderfinden eines Paares zu verfolgen, stehen die Beziehung und ihre Probleme im Mittelpunkt. Annie Hall (Diane Keaton) und Alvy Singer (Allen), beide in psychologischer Behandlung, denken und sprechen permanent über ihr Umfeld, ihre problematische Herkunft und ihr Neurosen. Anstatt in einer Ehe ihren Platz zu finden, streben beide nach Selbstverwirklichung, intellektueller Reifung und individuellem Lebensglück. Alvy tritt als Kommentator seines eigenen Lebens auf, bricht mitten in einer Szene mit der Gegenwart und redet mit den Zuschauern oder vorbeigehenden Passanten.
Die Introvertiertheit und der zynische Apathismus der Personen machen eine gut funktionierende Beziehung fast unmöglich. Erstmals auch werden die unterschiedlichen Vorstellungen von sexueller Befriedigung innerhalb einer Beziehung thematisiert und in einer treffenden Split-Screen-Szene realistisch dargestellt. Alvy und Annie sitzen bei ihrem jeweiligen Psychologen in der Praxis und werden gefragt, wie oft sie mit ihrem Partner Sex hätten. Alvy sagt: "Eigentlich kaum, nur dreimal in der Woche!", während Annie "Ständig, dreimal in der Woche!" antwortet. In den Gegensätzen und Widersprüchen zwischen den Partnern aber auch zwischen ihrem Denken und ihrem Tun erkennt sich fast jeder wieder.
Dennoch wird auch in diesen Filmen die Möglichkeit der wahren Liebe und einer perfekten Partnerschaft nie bestritten. Und wenn Annie als Nachtsängerin ein leidenschaftliches "It had to be you" in das Mikro haucht, dann stehen die alten Bedürfnisse von Doris Day und Marilyn Monroe wieder im Raum.

Mit "Harry und Sally" kommt 1989 das Happy End und somit auch die Glorifizierung der Romantik zurück. Statt einer guten Partnerschaft mit individueller und sexueller Selbstverwirklichung ist die Institution Ehe wieder Ziel aller Träume. Doch nach wie vor sind Ehe und Sex im Film lange nicht so interessant wie der steinige Weg dorthin. Da aber ein spannender Filmplot auch gewisse Schwierigkeiten für das erwartete Happy End braucht, werden langatmig und selten glaubwürdig Probleme und Widerstände für das Filmpaar aufgebaut. Bei "Harry und Sally", der Mutter der modernen Romantic Comedies, ist das noch sehr geschickt gelöst, weil die beiden zunächst einmal Freunde sind, und nach anderen Partnern suchen. Durch die klug arrangierten Dialoge, in denen der Geschlechterkampf weitaus friedlicher fortgesetzt wird, ist "Harry und Sally" mit Fug und Recht ein Klassiker und Vorbild des Genres geworden. Und dass die Nachahmer auch fast 20 Jahre später noch so stümperhaft versuchen, den einmaligen Erfolg zu kopieren und nichts Neues mehr finden, kann dem Film ja schlecht vorgeworfen werden.
Die modernen Liebeskomödien sind voller verbrauchter Ideen, die bewusst wieder aufgegriffen werden. Es werden die ewig gleichen romantischen Situationen mit Kerzenlicht, Pferdekutschen und den obligatorischen Kussszenen im Regen inszeniert, die selbst Fans des Genres mittlerweile als zu platt empfinden. Die Liebespaare kehren zu denselben, bereits von alten Filmen mit romantischer Symbolik aufgeladenen Orten zurück, die größtenteils in New York liegen - ein Zitieren der Vorbilder, das bisweilen sogar offen eingestanden wird: So trifft sich Annie (Meg Ryan) in "Schlaflos in Seattle" auf dem Empire State Building mit Sam (Tom Hanks), weil das Paar aus ihrem Lieblingsliebesfilm dies auch tut.
Filme wie "E-Mail für Dich", "Pretty Woman" oder "Harry und Sally" sind von einer unbestimmten Nostalgie nach alten Familienwerten, romantischer Eroberung und edler Liebesschwüre geprägt. Die Heldinnen beschwören alte Liebesfilme herauf und eifern ihrem Ideal nach, um in der Gegenwart Romantik aufzubauen. Dieses filmische Mittel hilft bei der Identifikation mit den Heldinnen, denn auch die Zuschauerinnen wünschen sich den romantischen Zauber alter Filme in ihrem Leben.

Da heutzutage weder durch die amerikanische Zensur noch durch gesellschaftliche Regeln irgendein echtes Problem dafür besteht, sofort ein glückliches Paar zu werden und zusammen in die Kiste zu hüpfen, müssen sich Liebesfilme andere Hindernisse suchen, die das Zusammenkommen für 90 Minuten verhindern. Da bedient man sich gern mal emotionaler Barrieren, wenn einer der Partner bereits verheiratet oder gebunden ist ("Die Hochzeit meines besten Freundes", "Sweet Home Alabama"), bemüht die wenigen gesellschaftlich-sozialen "Klassenunterschiede", die in der heutigen Welt noch als echtes Liebeshindernis glaubwürdig sind ("Notting Hill", "Manhattan Love Story"), schafft große geographische Distanz zwischen den Liebenden ("Schlaflos in Seattle") oder - ganz einfallsreich - sogar chronologische, wie in "Kate und Leopold", wo die Traumpartner aus zwei verschiedenen Zeiten stammen. Und wenn alle Stricke reißen, kann man immer noch eine dominante Nebenfigur als Konfliktherd ins Spiel bringen, wobei das nicht nur gehörnte (Ex-)Partner sein können, sondern neuerdings auch Mütter und Schwiegermütter ("Von Frau zu Frau", "Das Schwiegermonster"). Auch wenn sie in immer neuer Verpackung daher kommen: Der Inhalt ist seit 20 Jahren nahezu derselbe geblieben.

Da die weiblichen Protagonisten meist konservativen Wertevorstellungen von Treue und Loyalität anhängen und Hollywood für das wertebewusste amerikanische Mainstream-Publikum dies auch gern so predigt, ist die Sexualität aus den Romantic Comedies fast völlig verschwunden. Familien und Monogamie werden idealisiert, Single-Frauen wie in den "Bridget Jones"-Filmen bezeichnen sich selbst als Schandfleck der Gesellschaft. Mit dem Sex soll man auf den richtigen Partner warten, heißt die Message - eine Biederkeit, die gut ins Post-Aids-Zeitalter passt.
Sally beschreibt in "Harry und Sally" das Ende ihrer langjährigen Beziehung mit der nüchternen Feststellung, dass ihr Ex keine Kinder wollte, weil man so jederzeit ungestört Sex auf dem Küchenfußboden haben konnte, dieser Fußboden für Sex aber viel zu unbequem gewesen sei und sie deshalb nicht mehr mit einer Familie warten will. Eine Erkenntnis, die der Enttäuschung moderner Großstädterinnen über ihre gescheiterten Beziehungen und Ehen entspringt.

Der Tadel am Genre "Romantic Comedy" wiederholt sich so oft, wie neue Filme in die Kinos kommen. Der Stillstand dieser Sparte ist angesichts der Schnelllebigkeit der Medienwelt und der permanenten Fortentwicklung anderer Genres beispiellos. Die Vermischung der RomComs mit Slapstick hat zuletzt keine Erfolge gebracht. Was also tun? Wir fordern: Statt zurück zu Scarlett O'Hara, zurück zu Annie Hall! Beziehungen und ihre realistischen Probleme müssen wieder in den Vordergrund treten. Statt nur weibliche Sehnsüchte zu befriedigen, sollten auch die Meinungen der Männer und deren Bedürfnisse wieder Eingang in das Genre finden. Der Geschlechtsunterschied ("Männer wollen Sex, Frauen kaufen Schuhe") verdient eine tiefgründigere Behandlung, als wir sie momentan im Kino erleben. Und bitte keine unausweichliche Happy End-Pflicht mehr, das ist bei heutigen Scheidungsraten nur noch weltfremd und außerdem sind wir nicht mehr fünf Jahre alt. In Zeiten von Homo-Ehen, Internet-Pornographie und "Friends with Benefits"-Freundschaften dürfte es den Filmproduzenten eigentlich nicht an Konfliktstoffen und Ideen mangeln. Wagt etwas Neues und traut eurem Publikum mehr zu! Es ist Zeit, dass Dornröschen aufwacht.


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