Wer sich vom heimischen Kinoprogramm gelangweilt fühlt, dem bieten sich seit einiger Zeit ja wahrlich attraktive Alternativen auf der einst verpönten Mattscheibe. Ob “Lost“, “The Wire“, “The Sopranos“ oder “Mad Men“ - das US-Fernsehen produziert seit einigen Jahren Serienhighlights am Fließband. Nicht alles davon (siehe “The Wire“) findet aber leider den Weg ins deutsche Fernsehen, und so kann man ARTE schon dafür dankbar sein, dem grandiosen “Breaking Bad“ den Weg ins deutsche Free-TV ermöglicht zu haben. Denn die Wandlung des einst harmlosen Chemielehrers Walter White hin zum Meth-kochenden Drogenlord ist ein wundervolles Beispiel für die Vorteile des Serienformats (im Vergleich zum Kino) im Hinblick auf komplexere Charaktere und Handlungsstränge. Oder anders formuliert, “Breaking Bad“ ist dermaßen faszinierend und packend zugleich, dass man trotz Leinwandmangels hier ruhigen Gewissens den Begriff “ganz großes Kino“ benutzen darf.
Faszinierend ist alleine schon die Grundidee, nämlich gleich eine komplette Serie dem moralischen Verfall einer einzigen Person zu widmen. Auslöser ist hierbei eine Krebsdiagnose, die das Leben des unscheinbaren Chemielehrers Walter White (Bryan Cranston) komplett durcheinanderwirbelt. Mit dem drohenden Tod konfrontiert entscheidet sich White zu einem ungewöhnlichen Schritt, um seiner Familie die nötigen finanziellen Rücklagen nach seinem Ableben zurücklassen zu können: Er überredet seinen ehemaligen Schüler und Amateur-Drogendealer Jesse Pinkman (Aaron Paul) mit ihm zusammen die Droge Chrystal Meth zu produzieren und zu verkaufen. Was Walter und Jesse alsbald, unfreiwillig und immer mehr mit den düsteren Elementen des Drogengeschäfts in Verbindung bringt....
“Breaking Bad“ lässt sich inhaltlich ganz grob in zwei Hauptstränge unterteilen. Auf der einen Seite stehen die geschäftlichen Herausforderungen, mit denen Walter in seinem neuem “Beruf“ konfrontiert wird – von der Beschaffung der Rohstoffe bis hin zum nicht gerade ungefährlichen Vertrieb, inklusive allerlei unliebsamer Zeitgenossen. Auf der anderen Seite gibt es dann den nicht zu unterschätzenden Einfluss dieser kleinen Nebentätigkeit auf Walters Privatleben – irgendwie müssen die ungewöhnlichen Arbeitszeiten und der neue Geldregen ja erklärt werden. Vor allem Walters moralisch unerschütterlich erscheinende Ehefrau Skyler (Anna Gunn), die sich liebevoll um den seit der Geburt leicht behinderten Sohn Walter Jr. kümmert (gespielt von dem auch im echten Leben an infantiler Zebralparese leidenden RJ Mitte), wird schon bald misstrauisch. Ein mindestens ebenso großes Problem stellt auch Skylers Bruder und Walters Schwager Hank (Dean Norris) dar, der ausgerechnet für die ansässige Drogenbekämpfungsbehörde arbeitet und ziemlich motiviert auf die Jagd nach dem mysteriösen neuen Drogenkoch geht.
Man müsste ja eigentlich meinen, “Breaking Bad“ würde sich in Anbetracht eines langen Serienlebens viel Zeit für die ersten kriminellen Schritte Walters nehmen. Doch schon in der ersten Folge gibt es auch gleich den ersten Toten – und wenig später schon die nächste Leiche im Keller. Doch wohin damit? Keine Frage, Walter und Jesse steht schon nach kurzer Zeit das Wasser bis zum Hals. Was dann passiert ist typisch für die Serie und beschreibt dann auch sehr gut das Verhältnis unsere beiden Drogenköche. Der stets analytisch, aber gleichzeitig auch unglaublich naiv vorgehende Walter meint die perfekte Lösung für das Verschwinden der Leiche gefunden zu haben. Walters Anweisungen setzt der eher weniger kopflastig agierende Jesse dann allerdings nur widerwillig um. Das chaotische Endergebnis beschert dem Zuschauer in diesem Fall dann gleich drei Erkenntnisse. Erstens: Körperteile in Säure aufzulösen hat seine Tücken. Zweitens: für “Breaking Bad“ sollte man als Zuschauer eine gute Portion schwarzen Humor mitbringen. Drittens: mit jedem gelösten Problem haben Walter und Jesse immer gleich drei neue am Hals. Und viertens: Mann, macht das Spaß den beiden dabei zuzuschauen.
Nicht, dass wir uns hier missverstehen, “Breaking Bad“ ist insbesondere in den späteren Staffeln weit davon entfernt eine Komödie zu sein. Aber die Serie versteht es immer wieder gut ein kleines Lächeln auf die Lippen des Zuschauers zu zaubern. Ein typisches Beispiel dafür ist eine Szene zu Beginn der ersten Staffel, in der sich Walter mit dem Gedanken beschäftigen muss, einen im Keller eingesperrten Drogendealer zu töten. Versonnen greift er nach einigem Nachdenken zum Küchenmesser, doch anstatt den Mord durchzuführen, benutzt er das Messer lieber erstmal um sorgfältig einen kleinen Snack für seine Geisel zuzubereiten. Die unglaubliche Naivität, mit der Walter all das angeht, macht sicherlich einen großen Teil des Charmes der ersten Staffel aus. Doch viel faszinierender ist, wie die charmanten und humorvollen Momente der Serie in nur wenigen Minuten komplett kippen können. Eine der besten Szenen der ersten Staffel, bei der Skyler Walters Bekanntenkreis zu einer großen “Wir unterstützen Walter“-Runde einlädt, ist ein tolles Beispiel dafür. Die Runde beginnt auf humorvolle Art und Weise, nur um dann in wenigen Minuten vollkommen zu eskalieren – gefolgt von einer fesselnden und tief ins Mark gehenden Ansprache Walters über den Sinn des Weiterlebens und der Selbstbestimmung. Das ist schlichtweg grandios geschrieben, inszeniert und gespielt.
Ob Dean Norris als cooler aber doch verletzlicher Drogenfahnder oder Anna Gunn als scheinbar einziger moralischer Fels in der Brandung – die Darstellerleistungen des Ensembles in “Breaking Bad“ sind durch die Bank weg überzeugend. Aber auch wenn es angesichts dieser guten Leistungen etwas unfair erscheint, kommt man natürlich nicht drumherum aus der Schauspielriege am Ende vor allem einen Namen hervorzuheben. Was der “Malcolm mittendrin“-Veteran Bryan Cranston in “Breaking Bad“ macht, ist nichts anderes als Fernsehgeschichte zu schreiben. Eine derart komplexe Figur in all Ihren Facetten darzustellen, das ist wahrlich eine Meisterleistung – und dafür gab es dann auch gleich drei Mal hintereinander den Emmy als bester Serien-Hauptdarsteller. Das Tolle an Cranston ist, dass er alleine schon durch seiner Gesten und Mimik eine wirklich einzigartige Figur erschafft, deren Mischung aus Fachidiot, liebevollem Familienvater und innerlich brodelndem Vulkan einfach eine unglaubliche Faszination ausübt.
Doch es ist vor allem die inhaltliche Tiefe der Serie, die sich als ihre größte Stärke erweist. “Breaking Bad“ wird nämlich schon bald zu einer cleveren Karikatur des amerikanischen Traums und der amerikanischen Gesellschaft, bei der vor allem die scheinbare Idylle der Mittelschicht attackiert wird. Auf der einen Seite haben wir hier Walter, der “dank“ der Krebsdiagnose nichts mehr zu verlieren hat und so den inneren Trieben und Wünschen immer weiter freien Lauf lassen kann – mit Vollgas raus aus dem langweiligen Durchschnittsleben der Vorstädte. Auf der anderen Seite zeigt “Breaking Bad“ aber wundervoll auf, dass es eben auch bei den scheinbar moralisch sauberen anderen Figuren der Serie um die Moral nicht so weit bestellt ist. Die Ladendiebstähle von Skylers Schwester Marie (Betsy Brandt) oder der Steuerbetrug von Skylers Chef Ted (Christopher Cousins) sind da schöne Beispiele. Auch der Staat kommt nicht gut weg, allen voran das amerikanische Gesundheitssystem, das die Bürger nur allzu leicht in den Ruin treiben kann. Es gibt eben keine klar gezogene Linie, mit welcher man die Menschen in gut und moralisch korrupt unterteilen könnte, und “Breaking Bad“ versteht es ziemlich gut hier immer wieder den Finger in die Wunde zu legen.
Es wäre aber nun zu einfach, die Schuld für Walters moralischen Niedergang auf rein externe Faktoren zu reduzieren – denn trotz allem zwingt ihn ja nun keiner in das Drogengeschäft einzusteigen. Das Interessante an der zweiten Staffel ist dann auch, wie die Krebserkrankung von Walter immer weiter in den Hintergrund tritt. Ihre “dramaturgische Funktion“ hat sie ja nun auch erfüllt – sie hat Walters Leben eine komplett neue Richtung gegeben. Nun wird sie kaum noch benötigt, da es gleich mehrere Gründe gibt, warum Walter nicht mehr zu seinem alten Leben zurückfinden wird. Der eine ist das immer komplexer werdende Lügengeflecht, das Walter um sich herum aufgebaut hat. Das zieht ihn nämlich schon automatisch weiter auf die dunkle Seite, denn jede Lüge muss wenig später gleich mit der nächsten großen Lüge gedeckt werden. Gleichzeitig steigert sich aber auch die Zahl der Mitwisser und schon bald braucht Walter sogar einen reichlich dubiosen und noch viel schleimigeren Anwalt (gespielt von dem phantastischen Bob Odenkirk) um über den ganzen Schlamassel den Überblick zu behalten. Der ist übrigens eine wirklich grandiose Nebenfigur, welche für die immer düsterer werdenden Folgen schon bald die Rolle des bitter nötigen Comic relief übernimmt. Ganz und gar nicht zu spaßen ist dagegen mit dem Drogenboss “Gus“, mit dessen Hilfe Walter seinen Markt weiter ausbaut.
All diese neuen Mitwisser und Verpflichtungen machen den Ausstieg für Walter natürlich immer schwieriger. Doch diese neuen Verpflichtungen und das Aufrechterhalten des Lügengebildes sind nicht der einzige Grund, warum Walter immer tiefer in die Sumpf der Kriminalität eintaucht. Da ist noch etwas anderes, und spätestens hier muss man sich dann einfach nur vor der Serie verneigen. Die große Stärke von “Breaking Bad“ ist es nämlich, auf brillante Weise die verführerische Wirkung der “dunklen Seite“ zu zeigen. Denn mit der Zeit wird immer deutlicher, dass Walter sein neues Leben doch in vielerlei Hinsicht genießt – nicht nur wegen dem Geldregen, sondern vor allem auch durch das gestiegene Selbstwertgefühl. Dieser neue Stolz wird auf wunderbare Weise in einer Szene deutlich, als Walter mit leuchtenden Augen seinem neugeborenen Kind das im Haus versteckte Vermögen aus seinen Drogengeschäften zeigt.
Doch so klasse die zweite Staffel auch ist, gegen Ende droht sie ein wenig auf der Stelle zu treten. Das Verhältnis zwischen Walter und Jesse entwickelt sich nicht wirklich weiter und Walters Lügengeschichten daheim werden zwar immer etwas größer aber bekommen auch nicht wirklich eine neue Dynamik in den letzten Folgen. Und genau wegen dieser Gefahr, und da merkt man eben was für brillante Köpfe hinter dieser Serie stecken, schreiten die Autoren ein und lassen die zweite Staffel mit einem großen Knalleffekt enden, der ganz neue Vorraussetzungen für die nächste Staffel schafft. Eine dritte Staffel, die klipp und klar gesagt einfach nur eines ist: ein Meisterwerk. Was hier vor allem in den ersten fünf Folgen geschieht ist Fernsehunterhaltung auf allerhöchstem Niveau - phantastisch gespielt und einfach unglaublich gut geschrieben. Walters immer abstruser werdende Versuche, sich trotz allem was passiert immer noch als guten Menschen zu sehen und innerlich zu rechtfertigen, sind schlichtweg brillant dargestellt – allen voran in einer Szene in seiner alten Schule, die so intensiv ist, dass sie als Zuschauer kaum zu ertragen ist. Gleichzeitig brechen daheim auch alle Dämme und Gespräche am Küchentisch wirken nun teilweise brutaler als all die Gewalttaten des Drogengeschäfts.
Bei der unglaublichen Intensität, welche die Serie in der dritten Staffel entwickelt, kann man oft gar nicht anders als nach dem Abspann geplättet vor dem Fernseher zu verharren. Das Extrembeispiel wären in dieser Hinsicht dann aber die letzten beiden Folgen dieser Staffel, die beide mit ziemlichen Paukenschlägen enden. Wenn man sich an die ersten Folgen der Serie zurückerinnert, und die naiven ersten Schritte, mit denen Walter an sein neues “Hobby“ herangegangen ist, dann kann einem angesichts der letzten fünf Minuten der dritten Staffel nur ein Schauer über den Rücken herunterlaufen. Der eiskalte Blick von Walter White, der hier nun den endgültigen Verlust der Unschuld bedeutet, ist eindrucksvoller Beleg davon, auf welch grandiose Weise hier eine Figur komplett umgekrempelt wurde. Das Beste daran ist aber, dass Walter gerade erst Blut geleckt hat. Diese Figur wird uns für die noch ausstehenden nächsten beiden Staffeln noch jede Menge Freude bereiten – wer es also noch nicht geschafft hat, sollte schleunigst mit auf den “Breaking Bad“-Zug aufspringen. Denn wer möchte schon gerne TV-Geschichte verpassen?
Die vierte Staffel von "Breaking Bad" erscheint ab dem 22. März als Verleih-DVD, kaufen kann man sie dann ab dem 26. April 2012.
Bei Amazon gibt es jedoch eine Exklusiv-Edition, die bereits ab dem 22. März ausgeliefert wird:
Breaking Bad - die komplette vierte Season bei Amazon bestellen >>>
Neuen Kommentar hinzufügen