Für Zuschauer, die "The Wild Bunch" nur ungenügende Aufmerksamkeit schenken, wird ihr Fazit ungefähr so lauten: Ultrabrutaler Western mit lauter unsympathischen Banditen. Dass dieser Film bei aller dargestellten Gewalt eine poetische, mit Herz und Gefühl ausgestattete Ballade über das Ende alter Mythen und das Ende alter Helden ist, trifft die Wahrheit schon eher.
Ja, Gewalt ist hier genügend vorhanden, sie strukturiert den Film. Es gibt zwei große Schießereien: Ein fehlgeschlagener Postraub, der zum Massaker wird, innerhalb der ersten Viertelstunde und das apokalyptische Finale, bekannt (oder auch: berühmt-berüchtigt) als "The Battle of Bloody Porch". Als wollte er seine Zuschauer gleich auf die richtige Spur bringen, was in diesem Film zu erwarten ist, zieht Regisseur Sam Peckinpah von Anfang an alle Register. Und was für Register das sind.
Schaut man sich "The Wild Bunch" von filmhistorischer Seite an, so lassen sich alle modernen Actionfilme - von den Hongkongklassikern eines John Woo bis zum Actiongeballer eines Arnold Schwarzenegger - unmittelbar auf diesen Film zurückführen, und auf Peckinpah selbst, den Urvater des Actionfilms, den Innovator of Violence. Wir Nachgeborenen können - abgestumpft und ermattet von unzähligen, nahezu immer auch schlechten Nachahmungen - kaum mehr erahnen, was das Publikum damals im Jahr 1969 empfand, als es zum ersten Mal ein Todesballett zu sehen bekam. Arthur Penn legte zwei Jahre vorher mit dem brutalen Ende seines "Bonnie und Clyde" den Grundstein, Peckinpah erhob ihn zum Grabhügel.
Dieser Film ist der erste, der Zeitlupe in Actionsequenzen nutzte sowie das Zusammenschneiden verschieden schnell laufender Zeiten und verschiedener Kameraperspektiven, und damit quasi im Alleingang den Look des modernen Actionkinos erfand. Wie gesagt, wir mögen ob des Schnittstakkatos im MTV-Stil ein wenig abgestumpfter sein als das Publikum damals, von dem die eine Hälfte entsetzt und dem Würgen nah das Kino verließ und die andere Hälfte inmitten des Vietnamkrieges von der karthatischen, exzessiven Gewalt angetörnt wurde. Aber die Gewalt hier ist immer noch wahrhaftiger, hat mehr Resonanz als so ziemlich alles was danach kam.
Über den Blutgehalt des Films sind schon unzählige Debatten geführt, unzählige Worte verloren worden. Peckinpah selbst war oft Opfer der Debatte. Machogehabe und Gewaltverherrlichung warf man ihm vor. Gewalt ist das Thema in all seinen Filmen, und in allen spricht Peckinpah mit einer Konsequenz und einem Ziel, die ihn vor derlei Beschuldigungen freisprechen. Gewalt ist schmutzig, sie ist blutig und sie trifft zumeist Unschuldige. Während dies alles keine neuen Wahrheiten sind, trauen sich doch die wenigsten Filmemacher, sie auch so zu behandeln. Gerade der Western der klassischen Ära bestand zum Großteil aus Platzpatronen und Statisten, die vom Pferd fallen. Die Opfer, in vielen Filmen Indianer und der verqueren Logik zufolge somit ohnehin wertlos, bleiben unbestimmt, der Zuschauer gleichgültig. Auch hier werden Statisten getötet, es ist die Art, die den Unterschied macht: Wer die Einschusslöcher vor sich sieht, auf wen das Blut und die Eingeweide nahezu herüberspritzen, der sieht sich gezwungen, seine zynische Indifferenz zu überdenken. Spielberg klaute diese Idee für den Anfang seines "Der Soldat James Ryan".
Bei all dem Chaos durch Mündungsfeuer, es sind die langsamen, lyrischen Momente, die diesen Film zu einem so außergewöhnlichen Klassiker machen. Man kann die Gewalt akzeptieren und sogar als essentiell für diesen Film erachten, weil die Charaktere nicht nur wie Pappkameraden aufgestellt werden, auf ihren Filmtod wartend. Aber vor allem auch, weil wir mit ihnen fühlen, obwohl sie eigentlich verachtenswert sind, der ganze wilde Haufen.
Im Zentrum des Films steht die Freundschaft zweier Männer: Pike (William Holden), der Anführer des Wild Bunch, und Thornton (Robert Ryan), sein ehemaliger Freund und nun darauf angesetzt, ihn zu jagen und zur Strecke zu bringen. Auch diese Konstellation ist alt und oft kopiert, aber gerade der restaurierte Director's Cut (eine andere Version des Films zu schauen wäre Frevel, es gibt zum Teil um über eine halbe Stunde gekürzte Versionen, Schnittmuster ohne Wert) verleiht dieser Konstellation Relevanz und Gewicht, vertieft diese beiden und alle anderen gut geschriebenen Figuren in ein Netz, aus dem man nur durch Bluttod entrinnt.
Hier geht es um Begriffe wie Freundschaft, Ehre (bis zum mittlerweile der Rezession verfallenen Begriff des Ehrenworts), Sehnsucht und Sinnsuche. Lauter altmodische Dinge, Relikte des alten Westens und einer alten Ordnung, die in Zeiten der Freien Liebe und des Hippiedaseins rapide in Vergessenheit gerieten. "The Wild Bunch" ist auch und gerade ein Film seiner Zeit. Frappierend ist die Tatsache, dass "The Wild Bunch" nahezu zeitgleich mit "Butch Cassidy and the Sundance Kid" gedreht wurde und auch nahezu synchron mit diesem in die Kinos kam. Auf den ersten Blick findet man Parallelen - alternde Helden, die in modernen Zeiten nicht mehr zurecht kommen und das Exil suchen, nur um dort ihr Ende zu finden - aber die Filme könnten nicht unterschiedlicher sein. Auf der einen Seite "Butch Cassidy and the Sundance Kid", ein Starvehikel mit Slapstick, Popschlagern ("Raindrops keep falling on my Head") und einem finalen freeze frame, der den blutigen Tod der Helden vorenthält, um das Publikum nicht zu verstören. Auf der anderen "The Wild Bunch" in seiner dreckigen, blutigen Atmosphäre voller Antihelden, die sich nur ihrem eigenen Ehrenkodex unterwerfen. "If you side with a man, you stay with a man. If you can't do that you're just some kinda animal" sagt Pike in einem Streit zwischen seinen Kameraden, und dieses Festhalten an Idealen lässt den wilden Haufen zusammen reiten und zusammen sterben.
Ein elegischer Abgesang auf den Cowboy und den Western selbst ist "The Wild Bunch". Was aber nur halb soviel wert wäre, wenn nicht nahezu alles an diesem Film von erhabener Klasse wäre. Vom Schnitt über den Soundtrack und das Drehbuch bis hin zu den Schauspielerleistungen: alles ist gut und arbeitet perfekt zusammen. Allein die Actionsequenz in der Mitte des Films, in der der Wild Bunch erst eine Eisenbahn ausraubt und dann eine Brücke in die Luft jagt, ist episches Kino und jegliches Eintrittsgeld wert. Und die Schauspieler: William Holden, der als Anführer Pike in Mimik und Gestik eine perfekte Imitation von Peckinpah selbst ist und sein Spiel nach dem Vorbild des Regisseurs formte. Auf der anderen Seite Robert Ryan in einer subtilen, fast zurückhaltenden Verkörperung eines Ehrenmanns, der eben dadurch zur Jagd auf seinen ehemaligen Freund gezwungen ist und eigentlich nichts lieber täte, als an dessen Seite zu reiten. Und wir Nachgeborenen können uns ein hämisches Grinsen im Gesicht kaum verkneifen, wenn wir an Ernest Borgnine denken, der uns nur als "Airwolf"-Pilot aus Gnadensbrotzeiten in Erinnerung ist. Darüber kann man vergessen, was für ein guter Schauspieler Borgnine sein kann, und hier als Pikes getreuer Leutenant Dutch wird er von Peckinpah zu einer seiner besten Leistungen überhaupt geführt. Dazu dann die alten Haudegen Warren Oates und John Wayne-Sidekick Ben Johnson als die infamosen Lyle und Tector Gorch. Und schon haben wir die Männer, die in fast mythischer Überhöhung ihren letzten Ritt machen, bevor sie von Autos, Flugzeugen, kurz: der Moderne verdrängt werden.
Die Männer des Wild Bunch sind Dinosaurier, eine aussterbende Spezies, und sie wissen es. Pikes lakonisches "Let's go", bevor die Männer in ihren sicheren Tod marschieren, ist Geschichte. Der Wild Bunch ist von den Zeichen der Zeit zur Ineffektivität und Bedeutungslosigkeit verdammt worden, das einzige was ihnen bleibt, ist wenigstens für eine Sache zu sterben. Und so stellen sie sich der halben mexikanischen Armee, um ihren Freund Angel zu befreien, ein sinnloses Unterfangen und doch die letzte Tat aus Ehre. "Let's go", fürwahr. Und dann, in einem genialen Impuls improvisierte Peckinpah, er wollte "a walk thing" und dirigierte seine Schauspieler in eine der größten Szenen der Filmgeschichte: Die Männer satteln ab, die vier Reiter der Apokalypse ohne ihre Pferde, aber mit ihren Todbringern fest im Griff, fast zärtlich halten sie ihre Gewehre, die ihnen ein letztes Mal dienen müssen. Danach begehen Pike, Dutch, Tector und Lyle den letzten, langen, gemeinsamen Marsch zusammen und jagen schließlich alles zur Hölle.
Der Wild Bunch trat in einem Gewitter aus Blut, Kugeln und Schreien ab; übrig blieb von den Outlaws nur einer: Peckinpah selbst. Ein Relikt wie seine Banditenbande, sollte es für ihn kein Ende in a blaze of glory geben. "Das Ende eines Films ist wie ein kleiner Tod" sagte Peckinpah nach Drehschluss, und auf keinen Film traf dies mehr zu als auf diesen. Wie lange die Reihe kleiner Tode seien würde konnte er damals nicht absehen. Sein langsamer Selbstmord durch Alkohol und Drogen sollte noch 15 Jahre dauern und 10 weitere Filme umfassen - darunter mindere Klassiker wie "The Getaway" und "Pat Garrett jagt Billy the Kid" (eine Variation des zentralen Wild Bunch-Motivs) - aber besser oder intensiver ist Peckinpah nie gewesen. Vielleicht weil er wusste, dass dieser Abgesang auf den Alten Westen und seine Mythen, seine Männer voller Gewalt und Ehre auch der Abgesang auf Menschen wie ihn selbst war, die in der modernen Welt keinen Platz mehr hatten, und die statt dem Heldentod nur Zuflucht in Selbstzerstörung fanden.
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