Ein klein wenig haben sie einem ja doch leidgetan. Nach dem umstrittenen Finale von “Game of Thrones“ im Jahr 2019 prasselte jede Menge Hass auf die beiden Showrunner David Benioff und D. B. Weiss ein. Und so sehr die Enttäuschung der Fans über das vor allem viel zu überhastet wirkende Ende der Serie auch verständlich war, es bleibt doch festzuhalten, dass Benioff und Weiss über weite Strecken eine der beeindruckendsten Buchadaptionen der Seriengeschichte gelang. Grund genug, durchaus mit Vorfreude auf ihr neuestes Projekt zu blicken, auch da die beiden angesichts ihrer Stoffauswahl eine ordentliche Portion Mut beweisen.
Mit der Adaption der chinesischen Trisolaris-Trilogie steht man nämlich vor der selbst auferlegten Herausforderung, für Netflix genauso komplexe wie abgedrehte Sci-Fi-Ideen überzeugend auf den Bildschirm zu bringen. Nicht nur das, massentauglich sollte das Ergebnis angesichts eines Budgets von 20 Millionen Dollar pro Folge natürlich auch noch sein. Der Erfolg von beidem ist aber nach dem Anschauen aller acht Folgen der ersten Staffel von “3 Body Problem“ mehr als fraglich. Beim Versuch, den Spagat zwischen Hard Science Fiction und einfachem Entertainment zu schaffen, verhebt man sich hier nämlich deutlich und produziert ein frustrierendes “Weder Fisch noch Fleisch“-Produkt.

Wie auch bei “Game of Thrones“ nehmen sich Benioff und Weiss, die in ihrer Funktion als Showrunner noch von Alexander Woo unterstützt werden, für ihre Adaption ein paar kreative Freiheiten heraus. So werden, um den Zugang des westlichen Publikums zu der Story zu erleichtern, einige der asiatischen Figuren des Buches durch “westliche Protagonisten“ ersetzt. Und um die mehrere Jahrhunderte umspannende Geschichte leichter verdaulich zu machen, werden chronologisch am Beginn angesiedelte aber eigentlich erst im dritten Buch auftauchende Handlungsstränge nun schon in der ersten Staffel etabliert.
Ausgangspunkt der Story bleibt aber China und die chinesische Kulturrevolution in den 1960er Jahren. Nach der brutalen Ermordung ihres Vaters wird die Astrophysikerin Ye Wenjie auf eine mysteriöse Radarbasis versetzt, die von den chinesischen Behörden dazu genutzt wird, um einen möglichen Kontakt mit außerirdischen Wesen herzustellen. Genau das gelingt Ye Wenjie auch, die in ihrem Hilferuf ins All die einzige Chance sieht, die Menschen auf der Erde vor sich selbst zu retten. Jahrzehnte später sorgt in der Gegenwart das mysteriöse Ableben einiger der besten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Welt für Beunruhigung bei deren Kollegen – unter anderem den vielversprechenden Nachwuchstalenten Jin (Jess Hong), Auggie (Eiza González) und Saul (Jovan Adepo). Mindestens genauso rätselhaft ist die Sache für den ermittelnden Polizisten Shi Qiang (Benedict Wong, "Dr. Strange"). Doch keiner von ihnen ahnt die unglaublichen Ausmaße hinter den Geschehnissen und welche Rolle dabei der noch immer lebenden Ye Wenjie zufällt.

Im Wesentlichen kann man das Erleben der ersten Staffel von “3 Body Problem“ in zwei Abschnitte unterteilen. In den ersten vier Folgen wird eine relative zähe Figurenentwicklung durch das Einstreuen durchaus interessanter Sci-Fi-Ideen zumindest zu gewissen Teilen abgefedert. In der zweiten Hälfte stellt sich die Hoffnung auf einen ordentlichen Payoff dieser kreativen Einfälle dann aber als frustrierender Trugschluss heraus. Dabei ist schon von Anfang an zu erahnen, dass der Versuch von “3 Body Problem“, Hard-Science-Fiction und einfaches Entertainment miteinander zu kombinieren (man will es ja allen recht machen), so seine Tücken haben könnte. Vor allem, wenn man seinem Publikum kaum Zeit gibt die durchaus komplexen Ideen auch mal sacken zu lassen.
Die mysteriösen Selbstmorde, rätselhafte Erscheinungen, ein scheinbar aus der Zukunft stammendes und philosophische Fragen aufwerfendes VR-Spiel – die ersten Folgen von “3 Body Problem“ bieten gefühlt Stoff für gleich mehrere Serien. Das Publikum hält man dabei über die genauen Hintergründe und Zusammenhänge dieser Vorkommnisse fast komplett im Dunkeln, so dass einige Zuschauerinnen und Zuschauer in den ersten Folgen erst mal verzweifelt nach Orientierung suchen dürften (es wäre interessant die Absprungquote nach den ersten beiden Folgen zu erfahren, die dürfte ziemlich hoch liegen). Sein Publikum derart zu fordern ist schon sehr mutig und spannend, funktioniert aber am Ende nur, wenn man auf zwei anderen Ebenen punkten kann. So braucht es interessante Figuren, mit denen man gerne durch diesen inhaltlichen Wildwuchs irrt, und natürlich das Vertrauen in einen durchdachten und cleveren Plan dahinter (“Lost“ hat in dieser Hinsicht ja einst verbrannte Erde hinterlassen).

Angesichts einer preisgekrönten Romanvorlage sollte man hier ja eigentlich positiv gestimmt sein. Doch schon nach den ersten beiden Folgen steigt die Skepsis angesichts eines nur mäßig faszinierenden Figurenkarussells. Da helfen auch die Schauspielleistungen nur bedingt weiter, denn außer Rosalind Chao und Jess Hong passiert in Sachen Charisma auf dem Bildschirm eher wenig. Gerade die Gruppe junger Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen kommt zum Großteil langweilig und leider auch unglaubwürdig daher. Es ist eben ein Unterschied, ob man einfach nur sagt jemand ist hochintelligent oder ob man diese Aussage auch noch mit Szenen überzeugend unterfüttert. So wird beispielsweise Auggie als brillant angepriesen, vom Drehbuch aber lieber in der Bar als im Labor gezeigt, während die Inszenierung vor allem damit beschäftigt ist ihre optischen Vorzüge zu betonen.
Dazu gesellen sich immer wieder Entscheidungen und Aussagen von Figuren, die weniger natürlich als viel mehr vom Drehbuch erzwungen wirken. So wirkt es wenig glaubwürdig, wenn Jin in einem Moment ihrem Kollegen klar macht, dass die angesprochene VR-Welt ein einziger Fake ist, nur um dann ein paar Sekunden später tief ergriffen vom Tod einer der dortigen virtuellen Charaktere zu sein. Solche Momente gibt es leider gehäuft, wobei Jin immer noch mit die gelungenste Figur ist, da sie sehr gut in die Haupthandlung integriert ist. Manche ihrer Kollegen haben mit dieser aber deutlich weniger Berührungspunkte, wie ein parallel dazu verlaufender Nebenstrang rund um das tragische Schicksal eines ihrer Freunde zeigt. Wäre dieser Strang interessant gestaltet, ließe sich die fehlende Verbindung zum Hauptplot ja verkraften, doch mehr als Standardfloskeln bieten die Dialoge dort leider nicht und so zieht sich gerade dieser Teil doch sehr in die Länge.

Genau hier liegt das Problem. Einem wenige Antworten aber viele Fragen und Puzzleteile zu servieren mag löblich erscheinen, doch angesichts schlampiger Charakterzeichnung sinkt schon bald das Vertrauen, dass all das am Ende auch wirklich intelligent zusammengeführt wird. Und während einem ein Roman die Zeit gibt komplexere Ideen auch in Ruhe zu reflektieren, reißt man hier Ideen oft nur kurz an und nimmt sich stattdessen lieber Zeit für banales Nebengeplänkel. Doch bekanntlich stirbt die Hoffnung ja zuletzt und dank manch bildgewaltiger Sequenzen (das hohe Budget ist hier auch wirklich auf dem Bildschirm zu sehen) und den ja zumindest im Ansatz coolen Ideen bleibt man zwar skeptisch, aber weiter neugierig. Und haben Arya, Tyrion und Co. nicht auch ein paar Folgen Anlauf gebraucht?
Dieser Hoffnung wird aber in der zweiten Hälfte der Staffel der Boden unter den Füßen weggezogen. Zum einen, weil nun so große Logiklücken auftreten, dass man es dem Drehbuch einfach nicht mehr verzeihen kann. Stellvertretend dafür sei ein extrem brutaler What-the-Fuck-Moment genannt, der zwar für spektakuläre Bilder aber auch jede Menge Kopfschütteln sorgt. Hatte man nicht gerade noch beschlossen möglichst diskret vorzugehen, um ja nicht sein Missionsziel zu gefährden? Und wieso fährt man mit einer hochgefährdeten Person alleine in die Wildnis, wenn man gerade noch darauf bestanden hat diese mit einem Großaufgebot an Polizisten zu beschützen? Solche schwer zu verdauenden Momente untergraben die vielgepriesene Intelligenz unserer zentralen Figuren doch deutlich. Doch wenigstens haben sie dieses Schicksal nicht für sich alleine. So macht auch das Vorgehen einer anderen Partei im weiteren Verlauf der Staffel ebenfalls immer weniger Sinn – und was sich zuerst als potentiell vielschichtiger Konflikt angekündigt hat wird schon bald zu einem sehr geradlinigen und allzu vertraut wirkenden Kampf von Gut gegen Böse.

Damit kann man natürlich auch Spaß haben. Aber angesichts der hochtrabenden Ideen fühlt es sich hier einfach wie ein unglaublich frustrierendes Downgrade an. Weil man offensichtlich weder die Mittel noch den Mut dazu besitzt seine großen Ideen konsequent und überzeugend umzusetzen. Und so passt es dann zu der Serie, dass man sich scheinbar weniger Gedanken darüber macht in sich schlüssiges World Building zu betreiben, dafür aber in einer späteren Folge erfolgreich gleich mehrere Wege findet, um Auggie so oft wie möglich leichtbekleidet ins Bild zu bekommen. So mag “3 Body Problem“ nach außen den Anschein verbreiten clever und fordernd zu sein, bei genauem Hinsehen bleibt davon (abgesehen von ein paar netten Ideen und coolen Effekten) aber nicht viel übrig. Und angesichts der Tatsache, dass nur noch zwei weitere Staffeln folgen werden, besteht auch nur wenig Hoffnung, dass es David Benioff und D. B. Weiss noch gelingen wird das Ruder herumzureißen.
Alle acht Folgen der ersten Staffel von “3 Body Problem“ sind ab dem 21. März 2024 exklusiv bei Netflix verfügbar.
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