Loving

Originaltitel
Loving
Land
Jahr
2016
Laufzeit
123 min
Genre
Regie
Release Date
Bewertung
8
8/10
von Simon Staake / 22. Februar 2017

Tja, nun ist 2016 gekommen und gegangen und es war ein schreckliches Jahr, für den Filmfan und überhaupt, und es ist leider auch nicht das Jahr des Jeff Nichols geworden. Dabei ist Nichols ja seit „Take Shelterˮ und spätestens „Mudˮ einer unserer Redaktionslieblinge und war für 2016 mit gleich zwei Filmen so gut aufgestellt wie nie. Aber „Midnight Specialˮ stieß auf gespaltenes Echo und floppte zu Unrecht. Und nun kommt mit etwas Verspätung noch sein zweiter Film des letzten Jahres, „Lovingˮ, in unsere Kinos. Angesicht des Themas des Films, nämlich der jahrzehntelange Kampf des Paares Richard (Joel Edgerton) und Mildred (Ruth Negga) Loving gegen die Rechtssprechung in ihrem Heimatstaat Virginia, der die Ehe des gemischt-rassigen Paares als illegal ansah und beide unter Gefängnisandrohung des Staates verwies, wäre es einfach hier von einem Bürgerrechtsdrama zu sprechen. Machen wir aber nicht, denn das ist dieser Film nicht. Was dieser Film auch nicht ist: Eine Anbiederung an die Leute, die über die Vergabe von Oscars und anderen Auszeichnungen bestimmen. Oder ein Film der schwelgerischen Musik, der großen dramatischen Gesten und geschwungener Monologe vor Gericht. All dies hätte „Lovingˮ unter der Regie eines Anderen werden können. Aber Jeff Nichols bleibt sich treu und so ist es vor allem eins geworden: ein Film über die Liebe. Nicht: ein Liebesfilm. Sondern ein Film, der mit dem Nichols'schen Understatement eine Liebe aufzeigt und abbildet, ohne Schnörkel, ohne mutwillige Dramaturgie oder Spannungsschraube, ohne Bewertung oder Vermitteln einer Botschaft. Sondern einfach nur: die Liebe zweier Menschen zueinander und die Ungerechtigkeit, die ihnen widerfährt.

Es ist natürlich reiner Zufall, dass ausgerechnet ein Paar mit dem symbolträchtigen Namen Loving zum (gerade hierzulande wenig bekannten) Symbol eines Kampfes der Liebe gegen Rassentrennung geworden ist, aber letztlich nur passend, dass der Name ebenso symbolisch für den Film an sich steht. Denn Loving bedeutet ja im Englischen nichts anderes als liebevoll, und genau das ist „Lovingˮ geworden: ein ungemein liebevoller, zärtlicher Film. Ganz nah bleibt die Kamera immer bei Richard und Mildred, hat weder Zeit noch Lust auf ausladende Gerichtsszenen, auch nicht als der Fall Loving gegen den Staat von Virginia nach fast einer Dekade endlich vor dem amerikanischen Supreme Court landet. Und der Sieg der Lovings wird nicht dramatisch auf den Treppen vor dem Gericht zelebriert, es bleibt bei einem Telefonanruf und der Feststellung „das sind gute Nachrichtenˮ.

So wortkarg und zurückgenommen wie dieser Moment sind auch die Darstellerleistungen hier. Joel Edgerton sieht mit blondierten Haaren und Augenbrauen sowie seinem eingefallenen Gesicht ein bisschen wie ein Albino aus, trägt dazu die absurd bis zum Bauchnabel hochgezogenen Jeans der Epoche, und gibt hier die Art von Darstellung, die letztlich nie einen Oscar gewinnen wird, weil sie viel zu introspektiv ist. Aber Richard Loving war kein sonderlich eloquenter Mann und der ganze Rummel um seine Familie war ihm unheimlich und fremdartig, er wollte einzig seine Familie in Frieden aufziehen. Edgertons Spiel ist eine Studie in Minimalismus, nur die kleinsten Gesten verraten etwas über das Innenleben dieses Mannes. Wer Casey Afflecks reduziertes Minenspiel in „Manchester By The Seaˮ nichts abgewinnen kann, der wird auch hier nicht glücklich. Die Oscar-nominierte Ruth Negga darf etwas ausdrucksstärker sein, weicht aber ebenfalls nicht von der vorgegebenen Linie des Understatements ab. Und auch der Rest der Besetzung – inklusive Nichols-Maskottchen Michael Shannon, diesmal als Reporter – spielt so unaufdringlich wie gut.

Es ist schon deutlich geworden: Wer dem minimalistischen und gemächlichen Inszenierungsstil von Nichols bisher nichts abgewinnen konnte, der wird auch von „Lovingˮ nicht bekehrt werden, ganz im Gegenteil. Der Film kommt so ganz offensichtlich ohne gewollt „großeˮ Momente aus, das einige dies wieder als schlicht langweilig empfinden werden. Aber so ein Empfinden heißt natürlich auch: Man ignoriert die vielen kleinen Gesten und Momente, die diesen Film stattdessen ausmachen. Und ab und zu erlaubt sich Nichols einen Hauch Action und Spannung, etwas wenn Richard, als er sich mit seiner Familie illegal in Virginia versteckt hält, meint, von einem Truck verfolgt zu werden und eine Art Verfolgungsjagd startet. Oder eine Sequenz in Washington, die das Spielen seiner Söhne mit Richards Arbeit auf der Baustelle parallelisiert und dramatisiert, da Schnitt und Musik uns wissen lassen, dass an einem der beiden Spielorte etwas Dramatisches passieren wird. Ausgerechnet diese Sequenz darf man dann auch als fast unpassend zu dem Restfilm hervorstellen, denn sie zeigt überdeutlich die üblichen emotionalen Manipulierungen in einem Drama, und das in einem Film, der sich ansonsten von derlei Konventionen weit entfernt hält. Ganz so, als wolle Nichols sagen: Schaut mal, ich kann klassisch und herkömmlich, wenn ich wollte, aber ich will gar nicht. Und recht hat er natürlich.

Dabei sind ja beide Filme des Nichols'schen Doppelwhoppers 2016 klare Babyschritte in Richtung Mainstream, auch wenn ihm der Mainstream zumindest im Falle von „Midnight Specialˮ, seiner eigenen Nostalgievariante aus John Carpenters „Starmanˮ und Stven Spielbergs „Unheimliche Begegnung der dritten Artˮ, als Reaktion beizeiten unflätig auf die Füße getreten ist. Zu einsilbig und mysteriös, zu langsam und zu wenig erklärend, waren da die Argumente, und dann zum großen Finale hin hieß es: verblasener Kitsch. Mumpitz kann man da nur sagen. Es war schon erstaunlich, dass sowohl der besser gelittene „Arrivalˮ als auch „Midnight Specialˮ zwar offiziell Alienfilme mit reduziertem Tempo sind, die Alienthematik aber lediglich als Aufhänger benutzen, eine Geschichte über Eltern und ihre bedingungslose Liebe zu ihren Kindern zu erzählen, und über das eventuell notwendige Loslassen dieser Kinder. Wie „Lovingˮ sind dies eigentlich Liebesfilme, unabhängig des offiziellen Genres.

„Lovingˮ wird niemanden vor Begeisterung aus dem Kinosaal stürmen lassen, dafür sind die Freuden dieses Dramas zu subtil, aber es ist ein weiterer Beweis dafür, dass für Nichols Figuren und Atmosphäre schon immer wichtiger waren als reiner Plot. Darauf muss man sich einlassen können und einlassen wollen – wer dies tut, wird auch hier wieder belohnt, wenngleich etwas weniger als bei Nichols bisherigen Filmen. „Ich kann dich versorgenˮ sagt Richard Loving unter Tränen in einem seiner wenigen emotionalen Momente und das gilt auch für „Lovingˮ. Dieser Film kann Sie mit seiner stillen, stimmigen Art versorgen, Sie müssen ihn nur lassen.

Bilder: Copyright

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