Marco Petry hat sich unsere Bewunderung, aber vor allem unseren Dank verdient. Marco Petry ist 25 Jahre alt, Absolvent der Hochschule für Film und Fernsehen in München, und bringt mit „Schule“ seinen ersten abendfüllenden Spielfilm in die Kinos. Das verdient Bewunderung. Und Marco Petry hat mit „Schule“ den Film gemacht, den wohl jeder, die bloße Möglichkeit vorausgesetzt, gemacht hätte, der in den letzten fünf Jahren sein Abi geschafft hat und erst allmählich feststellen konnte, was damit alles ein Ende fand. Und das verdient Dankbarkeit.
„Schule“ erzählt von 24 Stunden im Leben einer recht durchschnittlichen Clique in einem recht durchschnittlichen Kaff irgendwo in Deutschland (konsequenterweise kommen auch ein halbes Dutzend Dialekte zum Einsatz). Es sind noch 16 Tage bis zum Abitur, und alle sind von Klausuren, Beziehungsproblemen und Mitschülern reichlich genervt. Markus wird von einem ultra-peinlichen Liebesgruß seiner Freundin Sandra im Radio aus dem Bett geschmissen und hat daher heute gar keinen Bock auf sie. Sandras Schwester Melanie hat sich gerade mal wieder von Markus‘ Kumpel André getrennt, der sie chronisch betrügt. Teresa soll eigentlich Dirk beim Schummeln in seiner entscheidenden Matheklausur helfen, geht aber lieber mit Steven im Park einen Quarzen, so daß sich Dirk an Klassenstreber Karbrüggen halten muß. Der will als Gegenleistung zum traditionellen Treffen am See mitgenommen werden, wo am Abend die ganze Clique zusammen kommt, während sich Sandra mit dem 23-jährigen Stone tröstet, der immer noch an der Schule rumhängt.
Der grobe Abriß der Story läßt es bereits erahnen: Petry bediente sich nicht nur großzügig bei seinem selbst proklamierten Vorbild „American Graffiti“ von George Lucas, der Einfluß von Richard Linklater’s „Dazed and Confused“ ist noch wesentlich deutlicher. So wirkt die in Linklater’s Teenie-Portrait von Matthew McCounaghey verkörperte Figur wie eine Blaupause, deren fertiges Modell in „Schule“ Stone heißt: Ein ehemaliger Schüler, der den Absprung nicht geschafft hat, und sich jetzt in der vergänglichen Bewunderung der jungen Mädels sonnt, aber eigentlich nichts mehr zu erreichen hat. Aber auch wenn der Soundtrack des öfteren „Dazed and Confused“ zitiert: Petry hat nicht einfach Handlung und Typen von den beiden Vorbildern zusammen geklaut. Die Quellen der Inspiration wurden gewissenhaft bearbeitet, aktualisiert und aufgepeppt, so daß „Schule“ genau das ist, was es werden sollte: Der deutsche „American Graffiti“ fürs Jahr 2000.
Natürlich ist Petrys Film bei weitem nicht perfekt. So wirken einige bemüht auf komisch gemachte Szenen doch stark wie ein Zugeständnis ans „Amerian Pie“- und „Harte Jungs“-geschädigte Publikum, sind ansonsten aber eher deplaziert. Des weiteren zitiert der Film einige Stereotypen zu viel, was aber bei einem ambitionierten und möglichst viel umfassenden Projekt wie diesem auch nur schwer zu vermeiden ist.
Hervorragend dagegen ist die Arbeit im Detail: Man merkt, daß Petry dem Alter seiner Protagonisten selbst kaum entwachsen ist, Auge und Ohr sind für Outfit, Gebaren und Slang der Jugend immer noch geschärft. Die typischen herzlosen Gemeinheiten, die man sich auch unter Freunden und Geschwistern fortlaufend an die Köpfe wirft, wohl wissend, daß sie schmerzen, sind ebenso präsent wie das zur Zeit aktuelle Fachjargon. Und die Themenpalette ist dabei original oberflächlich: Poppen, saufen, kiffen, pauken. Um viel mehr geht’s in dieser Phase einfach nicht.
Die wahre Meisterleistung, und die eigentliche Loslösung von seinen Vorbildern, ist jedoch die zeitliche Einstufung des Films: Während „American Graffiti“ und „Dazed and Confused“ am letzten Schultag spielen und somit schon eine gewisse Melancholie in ihrer Grundstimmung tragen, fängt „Schule“ einen Zeitpunkt zwei Wochen vor dem großen Abschied ein, und damit eine Stimmung, die an deutschen Gymnasien wohl Jahr für Jahr im Abschlußjahrgang anzutreffen ist. Nämlich vor allem Streß. Das Abitur ist selbst wenige Tage davor immer noch ein Fernziel, eine Sache, auf die man zwar immer zuarbeitete, an deren Erreichen man aber nie wirklich gedacht hat. So ist es für Markus und seine Freunde auch zunächst eine Zeit wie jede andere, ein Sommer wie jeder andere, mit den selben Leuten, den selben Problemen, den selben Schauplätzen. Erst nach und nach schleicht sich die Erkenntnis in die Köpfe der Figuren, daß es dieses Mal das letzte Mal ist. Es wird wohl fast jedem erst viel zu spät gewahr, was der Schulabschluß tatsächlich mit sich bringt.
Womit wir beim tatsächlichen Wert von „Schule“ wären, und dem Grund, warum ihn wahrscheinlich nur die Leute so richtig begreifen und nachvollziehen können, deren eigener Abschluß noch nicht allzu lange zurückliegt. Und die, die noch gar keinen haben, können hier zumindest zwei sehr wichtige Erkenntnisse lernen, bevor es zu spät ist:
1. Man wird die Schulzeit vermissen. Auch wenn man es erst vielleicht nicht glaubt, aber es verschwindet ein ganz wichtiger Teil eines selbst. Man wird daran zurück denken als eine der fantastischsten Zeiten im Leben.
2. Wenn einem klar geworden ist, wie toll diese Zeit war, setzt man alles daran, sie festzuhalten. Aber das geht nicht. Man muß es genießen, so lange es dauert, aber danach muß man weiterziehen.
Es war schön, solange es dauerte. Das ist zwar simpel, aber es stimmt. „Schule“ weiß das, jeder Ehemalige weiß es spätestens sechs Monate nach dem Abschluß, und Marco Petry weiß es auch. Und für sich, für uns, und für alle, die es jetzt noch nicht glauben wollen, hat er es auf Film festgehalten. Danke, Marco.
Originaltitel
Schule
Land
Jahr
2000
Laufzeit
98 min
Regie
Release Date
Bewertung
Bilder: Copyright
Constantin Film
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