Es hat über 50 Jahre gedauert, aber in der siebten Folge der neuen “Star Trek“-Serie “Discovery“ haben sie es tatsächlich hinbekommen. Es ist das erste Mal im “Star Trek“-Universum, dass eine Crew tatsächlich eine richtige Party feiert und keinen angestaubten Stehempfang, bei dem sich alle scheinbar wie versteinert an ihr Sektglas klammern. Natürlich stellt sich die Frage, was wohl der gute Captain Jean-Luc Picard gesagt hätte, wenn er einen Raum betreten hätte, in dem seine Untergebenen zu Wycleaf Jean eine Runde Beer Pong spielen.
Es lässt sich aber nicht leugnen, dass einem als Zuschauer hier schon ein kleines Schmunzeln über die Lippen kommt. Ja, “Discovery“ bringt in vieler Hinsicht frischen Wind in die beliebte Science-Fiction-Reihe, was Puristen und Bewahrer vielleicht verteufeln möchten, für den Fortbestand der Franchise aber ein unabwendbarer Schritt war. Das Ergebnis ist allerdings eine erste Staffel, die einen sehr zwiespältigen Eindruck hinterlässt. Es fühlt sich so ein bisschen wie der Besuch auf einer wilden Party an. Ab und zu greift man sich an den Kopf, ob das einem hier nicht doch etwas zu oberflächlich, chaotisch und trashig zugeht. Aber gehen möchte man dann trotzdem irgendwie nicht, dafür ist es oft einfach viel zu unterhaltsam.
10 Jahre vor dem legendären Captain Kirk angesiedelt, steht in “Discovery“ die junge Offizierin Michael Burnham (Sonequa Martin-Green) im Mittelpunkt. Sie ist mit dem Raumschiff Shenzhou auf einer Forschungsmission unterwegs, als es zu einem folgenschweren Disput mit ihrem Captain Philippa Georgiou (Michelle Yeoh) kommt. Ein paar tote Klingonen und eine desaströse Weltraumschlacht später findet sich eine von der Föderation geächtete Burnham in einem Gefangenentransporter wieder, gelangt aber über Umwege auf das Schiff des knallharten Captain Gabriel Lorca (Jason Isaacs). Dort führt dessen Wissenschaftsoffizier Paul Stamets (Anthony Rapp) gerade geheime Experimente rund um ein mysteriöses biologisches Antriebssystem durch, deren Ausgang eine entscheidende Rolle im aufkommenden Krieg mit den Klingonen spielen könnte. Lorca erkennt die Qualitäten von Michael und schon bald befindet sich diese, zusammen mit dem etwas furchtsamen Kelpianer Saru (Doug Jones) und dem etwas aufgedrehten Fähnrich Sylvia Tilly (Mary Wiseman), mitten in den Wirren des Krieges wieder.
Während vor einigen Jahren auf der großen Leinwand Regisseur J.J. Abrams (“Star Trek“, “Star Trek: Into Darkness“) frischen Wind in die angestaubte “Star Trek“-Franchise gebracht hatte, und als nächstes wohl tatsächlich Quentin Tarantino einmal ans Steuer darf, herrschte dagegen auf den Fernsehbildschirmen seit dem Ende der “Enterprise“ im Jahre 2005 Flaute. Wir hatten damals das Gefühl, dass so eine kleine Serienpause vielleicht gar keine schlechte Idee wäre, um den Akku einmal wieder richtig aufzutanken. 13 Jahre später stellt sich nun die Frage, ob wir damit Recht hatten und diese “Kreativpause“ tatsächlich gut genutzt wurde. Ein bisschen mulmig war einem da aber schon als Fan, denn das ausgerechnet der hochangesehene Showrunner Bryan Fuller mitten in der Preproduction auf einmal das Handtuch warf, war nun nicht gerade ein vertrauenerweckendes Zeichen. Und statt einem “hippen“ HBO, AMC oder Netflix wurde die Serie dann ausgerechnet auch noch von dem etwas angestaubt wirkenden Fernsehsender CBS (z.B. “CSI Miami“) in Auftrag gegeben. Das klang nicht gerade sexy.
Die gute Nachricht: Die Serie ist aber tatsächlich sexy geworden. Zumindest was die Optik angeht, denn man hat sich nun wirklich nicht lumpen lassen und ihr ein doch ganz ordentliches Budget spendiert. Geld, das man dann auch auf dem Bildschirm sieht. Insbesondere das Set der Kommandobrücke ist wirklich beeindruckend und wird für einige richtig coole Kamerafahrten genutzt. Die Effekte sind, bis auf ein paar wenige Ausnahmen, ebenfalls überzeugend. So modern und gut sah “Star Trek“ auf dem kleinen Bildschirm jedenfalls noch nie aus und kommt dem Hochglanzlook des J.J. Abrams Film-Universums in einigen Szenen schon wirklich sehr nahe. Apropos Look, auch die guten alten Klingonen wurden in dem Zuge mal wieder optisch aufgepeppt, was zugegeben für Trekkies etwas Eingewöhnungszeit erfordert.
Ebenfalls eine Schippe drauf legt die Serie bei ihrer Inszenierung. Die Kamera ist in “Discovery“ schon sehr viel in Bewegung und die Szenen werden auch eher schnell geschnitten. Man hat so ein bisschen den Eindruck, als ob man wirklich um jeden Preis verhindern möchte, dass die Serie alt und angestaubt wirkt. Am auffälligsten ist dies ausgerechnet bei einem alten Bekannten, nämlich Jonathan Frakes alias Commander Riker aus “Star Trek: The Next Generation“. Der darf hier in einer Folge Regie führen und übertreibt es dann doch ein wenig damit, normale Dialoge ständig mit kreisenden Kamerafahrten aufpeppen zu wollen.
“Discovery“ kommt also modern und peppig daher – aber ist das eine gute Sache? Und ist das alles überhaupt noch "Star Trek"? Nun, zumindest das für die Science-Fiction-Reihe so bekannte “Technik-Gebabbel“ kommt auch hier nicht zu kurz. Immer wieder kommen unsere Helden nur dank wilder und kaum nachvollziehbarer Theorien von Wissenschaftsoffizier Stamets an ihr Ziel. Allerdings dürfte “Star Trek“ wohl die einzige Serie sein, bei der solche kruden “Deux ex machina“-Momente eher als liebevolles Detail denn als Ärgernis wahrgenommen werden. Und dann sind da natürlich noch die großen philosophischen Fragen. Schon immer war es bei “Star Trek“ ja die Auseinandersetzung mit Themen wie Identität, Ethik und Moral, die Verknüpfung von Utopie mit Gesellschaftskritik, welche der Reihe ihren Stempel aufgedrückt hat. Auch in “Discovery“ werden viele faszinierende Themen in die Geschichte gepackt, insbesondere die beliebte Frage, wie lange man es sich eigentlich leisten kann im Zeichen des Krieges an eigenen Idealen festzuhalten.
Leider gibt es da aber eine Sache, die “Discovery“ nicht wirklich kennt: Zeit und Ruhe. Die Serie ist inhaltlich vor allem in der zweiten Hälfte im Turbomodus und so werden in manchen Folgen teilweise gleich mehrere große thematische Fässer auf einmal aufgemacht. Kombiniert mit der Tendenz der Serie, relativ schnell von Szene zu Szene zu springen um den Zuschauer ja nicht zu langweilen, bleibt am Ende oft einfach nicht die Zeit um sich wirklich tiefergehend mit den gerade aufgeworfenen Fragen auseinanderzusetzen. Wofür man sich bei “The Next Generation“ oft eine ganze Folge Zeit gelassen hat, handelt man hier nun meist etwas lieblos in nur wenigen Minuten ab. Es bleibt so kaum Zeit zur Reflexion und so sieht man oft gefühlt eher den Trailer einer guten Idee anstatt derer wirklich tiefgehenden Umsetzung.
Ähnlich ungünstig sind die Auswirkungen davon auf die Figuren der Serie. Im Wesentlichen lernt man auf dem Schiff eigentlich nur drei oder vier Personen so richtig kennen, der Rest ist lange Zeit so gut wie gar nicht präsent. Viel schlimmer ist aber, dass die Figuren meist gerade so agieren wie es die Geschichte von ihnen abverlangt. Eine halbwegs logische Charakterzeichnung findet sich nur selten. Stattdessen sind diese oft Spielball der wilden Ideen, mit denen die Autoren vor allem in der zweiten Hälfte der Staffel nur so um sich werfen. Es dauert eigentlich bis zur vorletzten Folge, bis man das erste mal wirklich das Gefühl hat, einer tiefgehenden und ehrlich wirkenden persönlichen Unterhaltung beizuwohnen (Michael und Ash).
Glücklicherweise hat “Discovery“ mit Sonequa Martin-Green (bekannt geworden durch "The Walking Dead") und dem Veteranen Jason Isaacs aber zwei Darsteller in seinen Reihen, die ein so starkes Charisma entwickeln, dass man so manch charakterliche Unsauberkeit schnell wieder vergisst. Martin-Green gelingt es sehr gut der toughen Michael immer wieder Momente der Unsicherheit und Verletzbarkeit zu entlocken, die uns sehr schnell mit der Figur sympathisieren lassen. Und der erfahrene Recke Jason Isaacs ist als genauso zwielichtiger wie cooler Bad-Ass-Captain ein ganz wichtiger Eckpfeiler, denn seine Klasse und Bildschirmpräsenz hält selbst das wackeligste Plot-Kartenhaus noch einigermaßen zusammen.
Danach wird es aber schon eng mit überzeugenden Figuren. Lediglich Anthony Rapp und Mary Wiseman bekommen genug Zeit, um Stück für Stück ihren Charakteren zumindest eine kleine Portion Charisma zu verpassen. Auf der Gegenseite schaffen es die Darsteller der Klingonen leider auch nicht wirklich ihren Figuren Ecken und Kanten zu verleihen, wobei das starke Make-Up da sicherlich genauso wenig förderlich ist wie manch krude Charakterwendung.
Womit wir dann auch noch bei dem letzten rosa Elefanten im Raum wären. Was “Discovery“ an wilden Geschichten und noch wilderen Wendungen auf den Zuschauer loslässt, kratzt stellenweise schon deutlich an der Grenze zum B-Movie. Nehmen wir als Beispiel nur den wundersamen Sporenantrieb. Eine nette Idee, die aber mit Hilfe eines trashigen B-Movie-Monsters eingeführt wird, was die Akzeptanz des Ganzen schon auf eine wirklich harte Probe stellt. Natürlich kann man manche Einfälle, wie den dicken Weltraumwal, als liebevolle Hommage an die heute trashig anmutende Ausstattung der Originalserie verstehen. Aber insgesamt übertreibt es “Discovery“ einfach mit seinen wilden Ideen. Ein großes Problem liegt dabei aber auch darin, dass viele Plot-Ansätze einfach sehr schlampig umgesetzt werden und man es oft nicht wirklich für nötig hielt, zumindest ein paar logische Grundüberlegungen anzustellen. Zu oft basiert das Verhalten der Figuren dann auch eher auf dem Zufallsprinzip als auf Charakterzeichnung. Bezeichnend ist da die siebte Folge, in der eine blutige Variation des Zeitreise-Themas am Ende ein unpassendes humorvolles Ende angekleistert bekommt.
Wer aber nun schon nach den ersten Folgen glaubt, dass dieser “Star Trek“ ein deutlich wilderer Ritt als gedacht ist, der wird in der zweiten Hälfte der ersten Staffel aus dem Staunen gar nicht mehr herauskommen. Was hier aus der so beliebten Idee eines Paralleluniversums herausgeholt wird ist gleichzeitig so bewundernswert wie irritierend. So spannend es ist, dieses Konzept eben mal nicht in nur einer Episode abzuhandeln, so verrückt ist dann auch wieder das, was die Macher damit anstellen. Mit durchgedrücktem Gaspedal jagt die Story nun von einem gigantischem Twist zum nächsten, was fraglos spektakulär und ziemlich atemberaubend ist. Noch nie war “Star Trek“ so unberechenbar. Vielleicht ist es dann auch die größte Stärke der Serie, dass sie diese wilden Einfälle so ernsthaft und stoisch durchzieht. Das ist verdammt unterhaltsam, aber man darf bloß nicht den Fehler machen auch nur eine Sekunde länger innezuhalten und das Ganze auf seine innere Logik zu hinterfragen.
Das macht dann auch schlussendlich die Bewertung der Serie so schwierig. “Discovery“ sorgt definitiv für frisches Blut in der Franchise und ist über weite Strecken auch richtig unterhaltsam. Aber je mehr es sich im Verlauf der ersten Season hin zur knallbunten Wundertüte entwickelt, desto stärker beschleicht einen dann doch das Gefühl, dass man eigentlich mehr möchte als nur eine wilde Party. Ironischerweise tritt “Discovery“ dann ausgerechnet in der letzten Folge auf die Bremse und fährt die Action zugunsten von Dialog und moralischem Dilemma deutlich herunter. Das wirkt nun zwar eher wie klassisches “Star Trek“, aber leider ist die Folge derart schlampig geschrieben, dass man sich das hohe Tempo und die wilden Ideen direkt wieder zurückwünscht. Solange sich “Discovery“ also nicht etwas mehr Mühe mit seinen Geschichten und der Ausarbeitung seiner Charaktere gibt, sollte der Fuß für die zweite Staffel doch lieber weiterhin durchgedrückt auf dem Gaspedal bleiben.
Die erste Staffel von "Discovery" ist in Deutschland sukzessive mit einer neuen Folge pro Woche beim Streaming-Anbieter Netflix erschienen und dort seit dem 12. Februar komplett verfügbar.
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