Quibi - Serien im Kurzformat

von Matthias Kastl / 11. April 2020

Und schon wieder ein neuer Streaming-Anbieter. Kurz nach Disney+ ist vor wenigen Tagen Quibi online gegangen. Allerdings möchte Quibi sich mit seinem Video-Content nicht brav bei Netflix und Konsorten einreihen, sondern bewusst aus dem Rahmen fallen. Der Clou an der Plattform: Kein Video dauert länger als 10 Minuten und der Inhalt kann nur über Mobilgeräte abgespielt werden – das heimische Fernsehgerät bleibt außen vor.

Wieso uns das als Film- und Serienliebhaber nun interessieren sollte? Quibi möchte, neben Dokumentationen, Shows und Nachrichtenprogrammen, sein Publikum auch mit hochwertig produzierten Serien im Kurzformat anlocken. Und für diese moderne Art des Erzählens hat man sich die Dienste von so namhaften Filmemachern wie Steven Spielberg oder auch Guillermo del Toro gesichert. Denn hinter Quibi steckt nicht nur jede Menge Kohle, sondern vor allem auch der Mitbegründer des Filmstudios Dreamworks: der ehemalige Disney-Veteran und Filmproduzent Jeffrey Katzenberg. Aber liegt in kleinen 10-Minuten-Serienhäppchen tatsächlich die Zukunft des seriellen Erzählens?

Es ist ein wenig Ironie des Schicksals, dass Quibi gerade während der Corona-Pandemie gelauncht wird. Ausgerechnet in einer Zeit, wo die Menschen deutlich mehr Zeit mitbringen und so der größte Vorteil der Plattform etwas zu verpuffen droht. Viele Beobachter sind deswegen auch etwas skeptisch, was den Erfolg von Quibi angeht. Und der erste Eindruck des Contents fällt auch eher weniger schmeichelhaft aus. Zumindest, wenn man auf den fiktionalen Serienbereich blickt, auf den wir uns hier fokussieren wollen.

Gestartet ist man dort nämlich erst einmal ohne die versprochenen Big Names. Spielberg und del Toro müssen vorerst warten. Aber immerhin gibt es vor der Kamera schon ein paar bekannte Gesichter wie Christoph Waltz ("Django Unchained") und Sophie Turner ("Game of Thrones") zu entdecken. Wir blicken hier jetzt exemplarisch auf die bisher jeweils erschienen ersten sieben Folgen der drei Mini-Serien "Most Dangerous Game", "Survive" und "When the Streetlights go on".


Most Dangerous Game
Mit Christoph Waltz und Liam Hemsworth ist die Action-Thriller-Serie "Most Dangerous Game" die am prominentesten besetzte Serie zum Start von Quibi. Und sie ist leider auch eine ziemliche Enttäuschung. Hemsworth spielt den todkranken und hochverschuldeten Dodge, dessen einziger Hoffnungsschimmer ein dubioses Angebot des reichen Miles Sellers (Christoph Waltz) ist. Sellers organisiert einen exquisiten Jagdclub, bei dem die vermögenden Mitglieder lieber Menschen statt Tiere meucheln. Dodge muss die Jagd lediglich 24 Stunden überleben, um sich und seiner Familie mehrere Millionen Dollar zu sichern. Ein Angebot, auf das dieser nach kurzer Bedenkzeit notgedrungen eingeht.

Es gibt einen ganzen Haufen Gründe, warum "Most Dangerous Game" nicht funktioniert. Allen voran aufgrund des blassen und so gar nicht charismatischen Hemsworth, der in keiner Sekunde das Publikum emotional an seinen Dodge binden kann. Waltz spielt dazu den Bösewicht auf Autopilot und auch der Rest des Ensembles bleibt kaum in Erinnerung. Vor allem aber fehlt es dem Drehbuch an Cleverness und Überraschungsmomenten. Das nicht sonderlich originelle und auch stark zusammenkonstruierte Szenario hätte man mit etwas Tempo, Witz oder Einfallsreichtum ja durchaus zu einer spaßigen Angelegenheit machen können. Doch "Most Dangerous Game" bietet nur seelenlose Standardware. Wenn Dodge im Aufzug neben sich einen möglichen Killer vermutet oder sich in der Toilette vor diesem versteckt, dann hat man das in dieser Art und Weise gefühlt schon hundertfach in anderen Filmen und Serien gesehen. Allerdings deutlich besser gespielt und inszeniert. Wirkliche Spannung ist hier einfach Mangelware und gerade die klischeehaften Killer wirken komplett uninspiriert.

Gleichzeitig zeigt sich hier auch das Problem mit dem Mini-Episodenformat. "Most Dangerous Game" ist im Wesentlichen ein Film, der in 12 kleine Episoden gestückelt wurde. Nach zehn Minuten ist dabei spätestens Schluss und man darf einen Tag auf die nächste Folge warten. Das Problem an der Sache: Die Serie lässt sich unglaublich viel Zeit mit der Exposition. Es dauert bis zur fünften Folge, bis die Jagd überhaupt erst losgeht. Soviel Setup mag vielleicht bei einem Film oder in einer Serie mit Standardlänge funktionieren, hier dagegen ist es tödlich. Die Spannungskurve liegt in den ersten vier Folgen bei null und so kann auch nicht wirklich Vorfreude auf den nächsten Tag und die nächste Folge aufkommen.

 

Survive
Zumindest etwas besser wird es mit dem Auftritt einer "Game of Thrones"-Veteranin. In "Survive" spielt Sophie Turner die junge Jane, die aus einer psychiatrischen Anstalt entlassen wird und sich eigentlich auf ihrem Heimflug in der Bordkabine des Fliegers das Leben nehmen möchte. Dazu kommt es aber nicht, da das Flugzeug über verschneitem Gebiet abstürzt. Nur Jane und ihr Sitznachbar Paul überleben. Paul überredet Jane sich gemeinsam auf die Suche nach Hilfe zu begeben, und so beginnt ein gnadenloser Überlebenskampf in der eisigen Berglandschaft.

Zugegeben, die Story von "Survive" wirkt nicht weniger zusammenkonstruiert als die von "Most Dangerous Game". Natürlich stürzt der Flieger just in dem Moment ab, in dem sich Jane das Leben nehmen will. Und ihr Wandel hin zu neuem Überlebensdrang kommt schon sehr abrupt daher. So ist das halt, wenn man nicht viel Zeit für seine Story hat. Ebenfalls ist es etwas ärgerlich, dass die psychische Krankheit von Jane nur kurz und oberflächlich angerissen wird. Aber insbesondere die ersten drei Folgen sind dann doch emotional durchaus packend, weil Turner richtig gut spielt und ein paar wirkliche gelungene Charaktermomente dabei sind. Auch die Chemie zwischen Paul und Jane stimmt und dazu gesellen sich einige wirklich tolle Landschaftsaufnahmen.

Leider entwickelt sich die Serie in den weiteren Folgen aber dann immer mehr zu einem klischeehaften Survival-Film, bei dem auf Teufel komm raus ein möglichst guter Cliffhanger ans Ende einer jeden Episode getackert wird. Auch hier hat man wieder das Gefühl, inhaltlich viel Altbekanntes zu sehen, das an anderer Stelle einfach schon besser umgesetzt wurde. Auch hier zeigt sich die Zeitproblematik, denn um Spannung aufzubauen braucht es eben auch einmal die Ruhe vor dem Sturm. Das lässt das 10-Minuten-Format aber nicht wirklich zu, zumindest wenn man, wie im Falle von "Survive", möglichst in jede Folge einen coolen Cliffhanger packen möchte. "Survive" ist deutlich unterhaltsamer als "Most Dangerous Game" und vor allem optisch eine Augenweide, insgesamt aber dann doch zu vorhersehbar.

 

When the Streetlights go on
Der beste Serien-Vertreter von Quibi ist ausgerechnet der mit den am wenigsten prominenten Darstellern. In "When the Streetlights go on" geht es um einen Mord an einem Lehrer und seiner Schülerin, der Mitte der 90er Jahre eine amerikanische Kleinstadt erschüttert. Eine Tat, die insbesondere an der örtlichen Schule zu vielen weiteren Problemen führen wird. Während die ermittelnde Polizistin (Queen Latifah) vor einem Rätsel steht, verfolgen wir die dramatischen Ereignisse dabei vor allem aus der Sicht des Schulreporters Charlie (Chosen Jacobs), der die Leichen der beiden Opfer als erstes entdeckte.

Eine Kleinstadt wird von einem Verbrechen heimgesucht, die Protagonisten sind hauptsächlich Schüler und die Serie nutzt jede Gelegenheit, um durch den häufigen Einsatz von schmissigen Popsongs Nostalgie für eine vergangene Zeit zu erzeugen. Ja, "When the Streetlights go on" hat einen ziemlich starken "Stranger Things"-Vibe. Nur, dass die 80er eben hier die 90er sind. Es gibt aber noch mehr Ähnlichkeiten. Auch dieser Serie gelingt es, einen sympathischen Mix aus großem Kriminalrätsel und den kleinen Alltagsproblemen von Teenagern zu finden. Die Serie findet schnell ihren eigenen entspannten Rhythmus und zeichnet eine sehr schöne Grundstimmung. Hauptdarsteller Chosen Jacobs taugt ebenfalls gut als zentrale Identifikationsfigur und auch das restliche Ensemble macht einen guten Job. So baut die Serie tatsächlich gekonnt Spannung und Empathie für ihre Figuren auf und man ist wirklich neugierig, wie die ganze Sache am Ende wohl ausgehen wird.

Auch "When the Streetlights go on" mag keinen Preis für Originalität gewinnen, ist aber einfach ziemlich kurzweilige und sehr kompetent gemachte Unterhaltung. Auch bei den Cliffhangern hält man sich hier eher entspannt zurück und so wirkt der ganze Aufbau der Serie einfach etwas natürlicher als bei unseren anderen beiden Quibi-Serienvertretern. Allerdings stellt sich die Frage, ob das nun reicht um die Serie zu einem Must-See zu machen?

 

Fazit
Wohl eher nicht, womit wir dann wir dann auch schon zum Fazit kommen. Was Quibi aktuell fehlt ist ein wirkliches Zugpferd im fiktionalen Bereich. Netflix hatte zum Start "House of Cards" und Disney+ sein reichhaltiges Archiv sowie eine neue "Star Wars"-Serie zu bieten. So zieht man Zuschauer an. Der aktuelle Produktkatalog von Quibi lässt dies leider im fiktionalen Bereich vermissen. Und dann wäre da natürlich noch das ungewöhnliche Format.

Wie man vor allem anhand von "Most Dangerous Game" und "Survive" sieht, hat das extrem kurze Episodenformat so seine Tücken. Man muss schnell auf den Punkt kommen, hat nur wenig Zeit in die Tiefe zu gehen und erliegt zu leicht der Verführung billige Cliffhanger einzusetzen. Eine fortlaufende Story in derart kleine Happen zu packen birgt dazu die Gefahr, dass man als Zuschauer nie wirklich richtig Zeit hat, um ausreichend in die Geschichte einzutauchen. Zehn Minuten sind einfach sehr wenig um eine emotionale Dynamik zu entfachen. Außer natürlich, man wartet als Zuschauer bis alle Folgen erschienen sind und bingt diese dann einfach. Dann aber wiederum stellt sich natürlich die Sinnfrage für das eigentliche Konzept der Plattform.

Der Fokus auf Mobilgeräte ist auch durchaus diskussionswürdig. Die tollen Landschaftsaufnahmen von "Survive" hätte ich mir dann doch lieber auf einem großen Bildschirm gegönnt. Hochglanzproduktionen exklusiv für das Smartphone sind gefühlt doch schon ein bisschen Verschwendung. Und bei "Most Dangerous Game" kommt es sogar zu einem etwas irritierenden Moment, als ein Charakter über ein Gebäude am Horizont spricht, dass auf dem kleinen Handybildschirm einfach unmöglich zu entdecken ist. Und das, obwohl die Serie explizit für den kleinen Bildschirm konzipiert wurde. Das ging sogar soweit, dass man alle Produktionen mit zusätzlichen Kameras ausrüstete, um zusätzlich zum 16:9-Format auch ein spezielles Hochkantformat zu produzieren. Das automatisch immer dann abgespielt wird, wenn man das Handy dreht.

Zugegeben, es ist durchaus faszinierend das einmal auszuprobieren und sich das Framing der Aufnahmen anzuschauen. Aber langjährig antrainierte Sehgewohnheiten sind schwierig abzutrainieren und es wirkt dann doch irgendwie irritierend und billig, wenn uns Christoph Waltz in der Bildschirmansicht eines Skype-Anrufs präsentiert wird. Nein, so richtig rund wirkt das Ganze noch nicht. Wobei es natürlich auch eine Frage der Zielgruppe ist. Der Schreiber dieser Zeilen gibt zu, dass er Filme und Serien lieber breit statt hoch und groß statt klein konsumiert. Aber auch eine jüngere Generation hätte einfach bessere Geschichten verdient, als das, was uns Quibi zu seinem Start zur Verfügung stellt.

Aber wer weiß, was die Zukunft bringt. Die Beiträge von Spielberg und del Toro stehen ja noch aus und Katzenberg hat bereits verlauten lassen, dass er schon in Verhandlungen mit J.J. Abrams steht und auch gerne die Herren Cameron und Scorsese für die Plattform begeistern möchte. Am Ende liegt es dann wohl in der Hand der Geschichtenerzähler, uns einen wirklichen Grund für ein weiteres kostenpflichtiges Streaming-Abo zu liefern. Wer trotzdem jetzt schon neugierig ist, kann sich zumindest für 90 Tage einen kostenlosen Probe-Account sichern und sich über die ersten wackeligen Gehversuche dieses neuen Anbieters selbst ein Bild machen.

Für die kostenlose 90-tägige Testversion von Quibi bitte hier entlang: https://quibi.com/

 

Bilder: Copyright

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