Unser Mann In Baltimore: Die Filme von Barry Levinson

von Simon Staake / 18. August 2013

Lange hat man von Barry Levinson hierzulande nicht mehr viel gehört. Die dieser Tage stattfindende Veröffentlichung seines letzten Films „The Bay“, der es in Deutschland nur zur Premiere im Heimkino geschafft hat, wird daran leider auch nicht viel ändern. Dabei ist „The Bay“ in dem Subgenre der Horrorfilme, die aus angeblich echtem, gefundenem Filmmaterial bestehen, durchaus eine erfreuliche Angelegenheit. Was der Film an purem Gruselfaktor und wirklichem Horror vermissen lässt, macht er nämlich mit einer geschickten Inszenierung des in diesem Fall angeblich zensierten und konfiszierten Materials wett.

Barry Levinson

Angesichts von Levinsons wirklich sehr zurückhaltendem Profil der letzten Jahre könnten Spötter geneigt sein, dem Altmeister zu unterstellen, er würde eh nur noch für Taschengeld herzustellende Filme bekommen, was aber natürlich nicht stimmt. Vielmehr ist „The Bay“ ein weiterer, wenn auch ungewöhnlicher Beitrag zu Levinsons Darstellung von seiner geliebten Heimatstadt Baltimore und dem Staat in dem sich seine Stadt befindet, Maryland. Denn eigentlich wollte Levinson, der sich in den letzten Jahren (sicherlich auch mangels entsprechender Kinoangebote) zunehmend Dokumentarfilmen und TV-Serien zugewandt hat, eine Dokumentation zur Verschmutzung der Chesapeake-Bucht machen, an der Baltimore liegt. Tja, und mit einer kleinen Filmgenremutation und einigen bösen Mutationen von Meerbewohnern ist aus der Naturdokumentation nun ein dokumentarisch anmutender Ökohorrorfilm geworden, der in seiner hochmodernen Form trotzdem zurückschaut und direkt an die ähnlich gelagerten Filme dieses Genres aus den 1970er zurückblickt, in denen die Natur nach menschlicher Malträtierung dank Flora und Fauna zurückschlägt. Und während „The Bay“ formell und inhaltlich eher einen Ausreißer in Levinsons Schaffen darstellt, so hat er zwei Dinge mit dessen besten Filmen gemein: seinen Schauplatz und eine Existenz abseits der Prestige- und Blockbusterprojekte.

Levinson hat sich eigentlich immer dann verhoben, wenn er große Budgets und/oder große Stars managen musste, während seine kleineren Filme eigentlich immer die stärkeren waren. Am deutlichsten war dies sicherlich in den Jahren 1997 und 1998 zu sehen. Denn während Levinson nach den Aufnahmen am Set der Michael Crichton-Adaption „Sphere“ auf die langwierige Postproduktion mit ihren CGI-Effekten wartete, hatte er genug Zeit und Muße, mal eben in dieser Wartezeit mit einer Reihe von Hollywood-Freunden „Wag the Dog“ abzudrehen, seine bissig-geniale Satire zum damals anstehenden Clinton-Prozess im Speziellen und zur Politik und ihren medialen Manipulationen im Allgemeinen. Das Ergebnis ist eindeutig: Der locker-flockig aus der Hüfte geschossene „Wag the Dog“ war ein Erfolg bei Kritikern und in den Programmkinos, während der dann einige Monate später anlaufende „Sphere“ ein lahmer Langweiler war.

Barry Levinson

Und so ist es eigentlich zeitlebens mit Levinson gewesen: High Concept-Filme oder große Budgets resultierten in brutalen Flops wie „Toys“ (1992), unterbewerteten Filmen wie „Bugsy“ (1991) oder reinen Auftragsarbeiten wie der Michael Douglas-Thriller „Enthüllung“ (1994). Aber es gibt natürlich noch die andere Seite der Levinson-Filmographie, genauso wie Levinson die andere Seite Baltimores zeigt, die in der ehrlich-brutalen Vision des anderen großen Chronisten Baltimores, TV-Serienautor David Simon („Homicide“ – wo Levinson als Produzent entscheidend beteiligt war, „The Wire“), nur selten auftaucht: das Nostalgische, Warme und Herzliche, das Levinsons Baltimore-Filme auszeichnet. Angefangen mit seinem ersten Film, einem der besten Debüts aller Zeiten:

„Diner“ (1982) etablierte sofort Levinson als erstklassigen Autoren und Regisseur und der Film etablierte zugleich Levinsons Art des Heimatfilms. Hoffnungslos nostalgisch – wie viele dieser Filme spielt „Diner“ in einer zurückliegenden Ära, hier die späten 1950er Jahre – , mit dem intimen Blick auf einen Familien- oder Freundeskreis und mit einer Vorliebe für lebensechte, witzige, teils absurde, teils philosophische Diskussionen der meist männlichen Protagonisten. „Diner“ profitierte von Levinsons feinem Script – vor seiner Regiekarriere war er Drehbuchautor u.a. für das Al Pacino-Drama „... und Gerechtigkeit für Alle“ – und von einem glücklichen Casting-Händchen: Mit Mickey Rourke, Kevin Bacon, Steve Guttenberg, Daniel Stern, Tim Daly und Paul Reiser (sowie Ellen Barkin) hatte Levinson eine fabulöse Gruppe von jungen Darstellern zur Verfügung, die alle kurz vor ihrem jeweiligen Durchbruch standen. Speziell für Mickey Rourker wurde seine Rolle als Boogie in „Diner“ zum entscheidenden Karrierewendepunkt, nachdem er vorher in kleinen Rollen in Filmen wie „Heaven's Gate“ und „Body Heat“ positiv aufgefallen war. Unvergessen etwa Boogies Rendezvous im Kino mit seinem Popcornbecher. „Diner“ etablierte auch sofort Rourkes Leinwandfigur der frühen Achtziger: Ein charmanter, etwas verrückter und immer in Schwierigkeiten steckender Typ, dem man dennoch kaum böse sein kann.

Barry Levinson

„Diner“ handelt von dem titelgebenden griechischen Restaurant, in dem sich die männliche Freundesclique – alle Anfang 20 aber noch nicht so richtig erwachsen – trifft, um über alle möglichen Themen zu plaudern und darüber ihre Probleme mit den Ansprüchen der Erwachsenenwelt, vor allem aber den Frauen, zu vergessen. Was zu einer von Barry Levinsons größten Stärken führt: Dem zwanglosen Dialog über nichts im Besonderen (aber gerne auch über Popkultur) lange bevor Kevin Smith und Quentin Tarantino dies in den 1990ern zu einer Kunstform erhoben. „Diner“ ist – wie auch der völlig unterbewertete und fast vergessene „Tin Men – Zwei haarsträubende Rivalen“ fûnf Jahre später – ein großartiger Hang Out-Film: Plot ist relativ unwichtig, viel wichtiger ist es, mit diesen Figuren abzuhängen und zuzuhören, wie sie plaudern, angeben, zurechtweisen, argumentieren. „Diner“ ist tatsächlich komplett unabhängig von einem durchgehenden Plot, kleine Episoden führen immer wieder ins Diner und zu den Freunden zurück. „Diner“ erinnert ein wenig an „American Graffiti“ und ein wenig an „The Big Chill – Der große Frust“ – keine ganz schlechte Gesellschaft – und ist dennoch unverwechselbar mit Levinsons geliebtem Baltimore verbunden, und sei es durch die Baltimore Colts, die in einem Erzählstrang eine wichtige Rolle spielen.

Nach diesem sehr persönlichen und beeindruckenden Debüt legte Levinson als von Hauptdarsteller Robert Redford persönlich ausgewählter Regisseur mit dem Sportdrama „Der Unbeugsame“ („The Natural“) nach, einer freien Adaption des Romans von Bernard Malamud. Abseits der Intimität seiner Baltimore-Cliquen taucht Levinson hier erstmals in episches Filmemachen – und das mit großem Erfolg. Indem er und der legendäre Drehbuchschreiber Robert Towne („Chinatown“) der Story um den (fiktiven) Baseballspieler Roy Hobbs einen gewaltigen mythischen Anstrich geben und ein inspirierendes Ende (anstatt dem deprimierenden Ton und Ende des Romans), schafft „Der Unbeugsame“, dem amerikanischen Mythos des Sports Baseball gerecht zu werden, denn dieser in Wirklichkeit oftmals so langweilige Sport wird hier als epische Fabel präsentiert. Dazu tragen nicht unwesentlich die exzellente Kameraarbeit von Caleb Deschanel (Vater von Zooey und Emily) und der epische Score von Randy Newman bei. Natürlich ist auch „Der Unbeugsame“ nostalgisch und ein wenig sentimental, das bleibt beim Thema und Levinsons Involvierung nicht aus und der Film kann sicher nicht als in irgendeiner Art realistisch angesehen werden. Akzeptiert man aber diesen Film als Homers Odyssee mit Baseball, so kann man „Der Unbeugsame“ sicher als einen der besten Sportfilme aller Zeiten betrachten.

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Levinsons zweites Abenteur als Auftragsregisseur sah ihn unter der Fittiche von Steven Spielberg selbst, der Mitte der Achtziger diverse seiner Jugendabenteur an andere Regisseure auslagerte, so etwa „Die Goonies“ an Richard Donner und „Das Geheimnis des verborgenen Tempels“(dessen deutscher Titel überdeutlich an Spielbergs Reihe mit einem gewissen abenteuerlustigen Archäologen erinnert) an Levinson. Der Originaltitel „Young Sherlock Holmes“ dagegen verrät sehr deutlich, worum es hier geht, nämlich wie sich ein junger Sherlock Holmes und ein junger Watson als Schulkinder begegnen und Sherlock seinen ersten Fall löst. Dass dieser Fall von mysteriösen Toden und Detektivarbeit zu Zombieattacken, einem verborgenen Tempel, einem Fluggerät und magisch zum Leben erweckten Glasscheiben führt, verrät allerdings deutlich Spielbergs Einfluss und den Versuch des Films, die Herkunfstgeschichte der Freundschaft zwischen Holmes und Watson zu einer actionreichen Indiana Jones-Variante zu machen. Diese Zwiespältigkeit bekommt dem Film nicht immer gut, da es im Finale doch etwas sehr laut und wild wird. Dies hat der Film mit den „Goonies“ gemeinsam, und siehe da, beide Male ist der Drehbuchautor Chris Columbus. Columbus vernachlässigt vor lauter Action etwas die Figuren und Levinson kann hier so gut wie keinen persönlichen Touch einbringen. Aber er lässt den Film souverän als Spektakel voranschreiten und ist hier noch weit von der Langeweile seiner wirklich uninspirierten Auftragsarbeiten entfernt. „Das Geheimnis des verborgenen Tempels“ ist nämlich immer unterhaltsam und für die Zielgruppe leicht geekiger Jungs im frühen Teenager-Alter allemal ein großer Spaß.

Nach diesen Abenteuern mit größeren Budgets und fremden Drehbüchern war Levinson wohl froh, wieder nach Baltimore und selbstgeschriebenen Charakteren zurückzukehren für den oben genannten „Tin Men – Zwei haarsträubende Rivalen“. Auch dies sollte sich in Levinsons Karriere öfters wiederholen: Der Weg nach Hause als Erholung und kreative Wiederbelebung. Nach dem Doppelschlag seiner größten Hits „Good Morning Vietnam“ und „Rain Man“ drehte er die nostalgische Baltimore-Jugenderinnerung „Avalon“, nach dem ernüchternden Flop „Sphere“ und einer Dekade voller Hollywoodfilme mit großem Budget drehte er 1999 die nostalgische Baltimore-Erinnerung „Liberty Heights“.

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Aber zurück zu „Tin Men“, der von Levinsons direkt danach erschienenen Filmen überschattet und daher gern vergessen wird. Zumal die Story um die zwei rivalisierenden Aluminiumverkäufer Tilley (Danny DeVito) und Bill „BB“ Babowsky (Richard Dreyfuss), die sich im Baltimore des Jahres 1963 nach einem kleinen Autounfall in einen Kleinkrieg miteinander begeben, nicht zwangsläufig „Blockbuster“ schreit. Aber hier findet Levinson zurück zu den entspannten, lebensnahen Rhythmen von „Diner“ und zu genau gezeichneten Figuren – und das nicht nur sprichwörtlich. Denn die beiden Konkurrenten hängen nach der Arbeit in Diners ab und plaudern, was wiederum zu den besten und lustigsten Szenen des Film führt, etwa wenn Tilleys Kumpel Sam sich darüber auslässt, wie unrealistisch die Serie „Bonanza“ ist. „Tin Men“ ist nicht so erfolgreich wie Levinsons andere Baltimore-Filme, da er mit einem nicht unerheblichen Handicap zu kämpfen hat: Da weder Tilley noch BB sympathische Zeitgenossen sind, fällt es nicht immer leicht, dem eskalierenden Krieg zwischen ihnen mit immer gemeineren Aktionen mit vollem Enthusiasmus zuzuschauen. Aber man wird eben durch die angesprochenen Dialogszenen belohnt, die anstatt des Plots hier die eigentliche Attraktion sind.

Direkt nach „Tin Men“ begann dann Levinsons kommerzielle Hochzeit, angefangen mit dem nur wenige Monate später erscheinenden „Good Morning Vietnam“ (1987), der Robin Williams auch bei deutschen Zuschauern mit einiger Verspätung zum Star gemachte. Williams möbelte die Memoiren des Armee-DJs Adrian Cronauer, der während der ersten Jahre des Vietnamkriegs die Truppen mit wildem Humor und Rock'n'Roll-Musik unterhielt, mit seinen eigenen Comedyeinlagen auf, so dass die Basis des Films auf Tatsachen wie immer mit Vorsicht zu genießen ist. Gleiches gilt sicherlich auch für Williams' manische Performances, weswegen „Good Morning Vietnam“ sowohl ein Höhepunkt des Williams'schen Schaffens ist als auch eine Erinnerung, dass Williams' viele darauffolgende Versuche, ähnliche Rollen und Filme zu machen, alle an diesem Exzess scheiterten.

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Und auch „Good Morning Vietnam“ leidet ein wenig an Williams' nicht enden wollenden Scherzen und Parodien, denn man kann kaum glauben, dass ein DJ konstant, Stunde um Stunde, mit Energie und Witzen nur so um sich wirft. Auch die melodramatischeren Momente von „Good Morning Vietnam“ wirken beizeiten etwas aufgesetzt, besonders in der letzten halben Stunde, was nichts daran ändert, dass der Film immer noch zu den Highlights der Levinson'schen Filmografie zählt und einem breiten Publikum Forest Whitaker vorstellte, der das eigentliche emotionale Herz des Films darstellt.

Levinson setzte nur ein Jahr später zum Doppelschlag an, als man ihm „Rain Man“ anbot, der gleichzeitig diverse wichtige Dinge vollbrachte: Levinson endgültig als A-Listen-Regisseur zu etablieren (auch dank des dafür gewonnenen Oscars als bester Regisseur), Dustin Hoffman seinen wohlverdienten zweiten Oscar zu bescheren und Tom Cruise als ernstzunehmenden Schauspieler zu rehabilitieren. Gerade letzteres ist eine der großen Leistungen des Films, die gerne übersehen wird. Klar, Hoffman hat den dankenswerteren Part, aber es ist Cruises Figur des Charlie Babbit, die den Film tragen muss. Dazu muss Cruise seine Figur für mindestens den halben Film als ziemlich unsympathisches Arschloch spielen (was für den Cruiser, so Spötter, null Problem ist), um ihn am Ende glaubwürdig zu läutern. Auch das gelingt ziemlich gut und ziemlich glaubwürdig, jedenfalls so gut und glaubwürdig wie es in einem großen Hollywoodfilm eben möglich ist.

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Levinson vereinte in dem Drama um die ungleichen Brüder Charlie und Raymond Babbit, den skrupellosen jungen Yuppie und den Autisten, das Prestige-Filmemachen seiner Auftragsarbeiten mit den emotionalen Tönen seiner Baltimore-Filme und räumte völlig verdient bei den Oscars ab, auch wenn man dem Film nachträglich natürlich seine nicht abzustreitende Sentimentalität vorwerfen kann. Aber Levinson Sentimentalität vorwerfen bleibt schwierig, da sie quasi von Natur aus zu ihm gehört. Das muss man nicht mögen, aber wer Levinson schätzt, der kann Sentimentalität und Nostalgie nicht abgeneigt sein, was Levinson dann auch mit seinem nächsten Film nachträglich bewies. Und Levinson ringt bestimmten Momenten – der Rolltreppenszene, Raymonds erstem Nachweis seiner außergewöhnlichen Mathematikfähigkeiten, dem Aufbruch von Charlie und Raymond aus der Anstalt – Filmmagie ab, kalkuliert vielleicht, aber ungeheuer erfolgreich.

Obwohl ihm nach seinem Oscar-Gewinn alle möglichen Prestige-Angebote ins Haus flatterten, entzog sich Levinson dem Druck des Nachfolgewerks nach dem großen Erfolg, indem er nach Baltimore zurückkehrte und eine – was auch sonst – nostalgische Kindheitserinnerung verfilmte. Anders als „Diner“ und „Tin Men“, die Levinsons eigene Baltimore-Erinnerungen indirekt wiedergaben, ist „Avalon“ (1990) viel deutlicher autobiographisch und an seine eigene Familie angelehnt. Die Geschichte der polnisch-jüdischen Familie Krichinsky ist in vielen Details deutlich an Levinsons eigene angelehnt, in einer zentralen Beerdigungsszene lässt er diverse Familienmitglieder spielen, andere Szenen spielen in dem Haus, in dem er seine Kindheit verbrachte. Neben der Wichtigkeit der Familie geht es Levinson in diesem wohl persönlichsten Film um die Wichtigkeit des Geschichtenerzählens, dargestellt in der Wichtigkeit der Familienzusammenkünfte und Gespräche unter der Leitung des Familienpatriarchen Sam (Armin Müller-Stahl in seiner wohl besten Hollywoodrolle), die langsam von anderen Aktivitäten wie dem Fernsehgucken (eine andere, weniger persönliche Art des Geschichtenerzählens) abgelöst wird. Wie „Diner“ und „Tin Men“ ist auch „Avalon“ anekdotisch und wenig plotbezogen, und schlägt ein bisweilen gemäßigtes Tempo an. Kurzum: „Avalon“ ist purer Levinson, im Guten wie im Schlechten. Vor allem aber im Guten.

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Levinsons kreative und kommerzielle Hochzeit dauerte noch einen weiteren Film an, mit dem es wieder als Auftragsregisseur in Richtung Oscar-trächtiges Prestigekino ging. Diesmal heuerte ihn Warren Beatty an, um ihn als Benjamin „Bugsy“ Siegel, den Gangster, der das moderne Las Vegas begründete, ins rechte Licht zu rücken. Was Levinson auch tat und einen klassischen Hollywoodfilm alter Prägung ablieferte, mit exzellenter Ausstattung, erlesenen Darstellern (u.a. Ben Kingsley, Harvey Keitel, Joe Mantegna, und Elliott Gould) und einem feinen Score von Altmeister Ennio Morricone. Resultat dieses Prestiges: „Bugsy“ war 1992 für zehn Oscars nominiert und ging als das klassische Prestige-Objekt in die Verleihung, wurde dort dann aber gnadenlos von „Das Schweigen der Lämmer“ überrannt, der die fünf wichtigsten Oscars einheimste und alle anderen Filme ziemlich als aussehen ließ. „Bugsy“ blieben nur Trostoscars für Kostüme und Ausstattung. Warren Beatty konnte sich immerhin damit trösten, mit Filmpartnerin Anette Benning die Frau fürs Leben gefunden zu haben. Und „Bugsy“ bleibt ein wunderbar anzusehendes und sehenswertes Stück Kino, das einzig darunter leidet, im direkten Gegensatz zu Martin Scorseses nur ein Jahr vorher erschienenen “Goodfellas“ etwas weniger Energie und denkwürdige Szenen zu haben. „Bugsy“ ist oftmals interessant – gerade die Entstehungsgeschichte von Las Vegas – ohne jedoch jemals hundertprozentig packend zu sein.

„Bugsy“ war im Grunde eh Warren Beattys Baby, dass er seit Anfang der 1980er vorangetrieben hatte. Aber mit seinem nächsten Film „Toys“ erlebte Levinson, was es bedeutet, ein persönliches Traumprojekt mit hohem Budget floppen zu sehen. Denn wo „Bugsy“ sowohl künstlerisch als auch kommerziell erfolgreich war, ist „Toys“ schlicht der größte Flop in Levinsons Karriere, eine enorme Verschwendung von Geld, Zeit und Talent. Dass dazu Levinson seinen alten Kumpel Robin Williams die kindliche (eigentlich aber eher kindische) Hauptrolle übertrug, machte es dann auch nicht einfacher, denn obwohl Williams im folgenden Jahr noch als „Mrs. Doubtfire“ einen Welthit landete, so war er schon auf dem schnellen Weg zu desaströsen Vorstellungen in desaströsen Filmen wie „Patch Adams“, „Jack“ und „Der 200 Jahre-Mann“. Das Interessanteste an „Toys“ ist in der Tat, dass dieser Film über Jahre ein Traumprojekt Levinsons war, welches er sogar anstatt „Diner“ als sein Debüt geplant hatte. Was er nun genau an diesem bizarren Mix aus Satire, Fabel, Ausstattungsorgie und Kinderfilm fand, lässt sich schwerlich sagen. Interessante Charaktere – das Herz jedes gelungenen Levinson-Films – sind es jedenfalls nicht, denn die hat der Film ebenso wenig zu bieten wie eine zufriedenstellende Story oder gute Darstellerleistungen.

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Als hätte Levinson nicht schon bei „Good Morning, Vietnam“ merken müssen, dass ein völlig von der Leine gelassener Robin Williams nicht zwangsläufig eine gute Idee ist. Dazu kommen noch bizarre Darstellungen von Michael Gambon und Joan Cusack. Das Einzige, was von diesem Film bleibt ist die in der Tat beeindruckende Ausstattung, bei der selbst ein Tim Burton ein wenig neidisch würde. An dessen schwächere Filme erinnert auch „Toys“.

Nach diesem persönlichen Waterloo nahm Levinson erstmal Abstand von persönlichen Projekten und verdingte sich als Regisseur für die Michael Crichton-Adaption „Enthüllung“, ein Star-besetztes Drama, dass man als neuen Skandalfilm von Michael Douglas (nach „Basic Instinct“) verkaufen wollte, der aber vor allem platt und uninspiriert war und einige heutzutage unfreiwillig komische Ideen zum Cyberspace sein Eigen nennt. Dass das Thema „Sexuelle Belästigung eines Mannes durch eine Frau“ zum Aufhänger für Feuilletondiskussionen genutzt wurde, tut diesem gelackten Film zu viel der Ehre. Neben einer Demi Moore auf dem Karrierehöhepunkt als machtgeile Schlampe (danach folgte ja auch schon bald der gnadenlose Absturz mit „G.I. Jane“ und „Striptease“) gibt es hier nicht viel zu sehen, einen typischen Levinson-Touch schon mal gar nicht.

Nach dem zumindest kommerziellen Erfolg von „Enthüllung“ kehrte Levinson zurück zu einem kleineren persönlicheren Projekt, allerdings mit deutlich weniger Erfolg als in seinen Baltimore-Filmen. „Jimmy Hollywood“ beginnt mit der Art von informellem Dialog zwischen Kumpels, die Levinson berühmt gemacht hat, verliert sich dann aber in seiner Story um einen Schauspieler (Joe Pesci), der zum Vigilanten wird. Die zweite Hälfte von „Jimmy Hollywood“ ist ein unausgegorener Mix aus Sozialsatire, Komödie und Drama. Einzig Jimmy Altos Liebe zum alten Hollywood der goldenen Ära erinnert in seiner offenen Nostalgie an klassischen Levinson, aber selbst einige witzige Dialoge und Momente können den Film nicht retten, der in Deutschland nicht mal in die Kinos kam und 1995 sang- und klanglos auf Video herausgebracht wurde.

Nach dem zweiten Rückschlag in Folge mit einem persönlich entwickelten Projekt übernahm Levinson als Regisseur und Autor die Adaption eines Romans von Lorenzo Carcaterra. Dafür konnte er ein Star-gespicktes Ensemble zusammenbringen, u.a. Brad Pitt, Dustin Hoffman, Robert DeNiro und Kevin Bacon. Selbst kleinere Rollen wurden von Könnern wie Billy Crudup besetzt. Und die Darsteller sind es auch, die „Sleepers“ (1996) sehenswert machen, denn ansonsten ist der Film ein wenig zu vorhersehbar und langatmig, was auch an Levinsons Inszenierung liegt. Anstatt etwa eine Flashback-Struktur oder Ähnliches zu nutzen, erzählt Levinson die Geschichte ganz klassisch chronologisch, was den Film nur mühsam aus den Startlöchern bringt. Einzig die fähigen Jungdarsteller um Brad Renfro und Jonathan Tucker halten den Film im langatmigen Rückblickpart am Leben, das folgende Justizdrama hat seine Momente, auch wenn der Film in der letzten Stunde mehrmals fast zum Stillstand kommt. Jedoch sind es die Stars – darunter eine exzellente Performance von Robert de Niro – die den Film zusammenhalten. An dramatischem Starkino kann man sicherlich Schlechteres finden als „Sleepers“.

Levinson blieb bei den Star-Vehikeln und attackierte eine weitere Michael Crichton-Adaption, diesmal eine Science Fiction-Story mit Dustin Hoffman, Sharon Stone und Samuel L. Jackson. Dass Levinson vielleicht nicht der perfekte Regisseur für Science-Fiction-Spektakel ist, kann man sich eigentlich denken, und dies wurde auch nachhaltig bestätigt. Aber vorher brachte Levinson noch „Wag the Dog“ an den Start, seinen besten Film der 1990er, der – wie etwas weiter oben besprochen – blitzschnell und für nur 15 Millionen gefilmt wurde, während die Special Effects-Leute an der Komplettierung von „Sphere“ arbeiteten. Und vielleicht haben diese Konditionen Levinson ein wenig frei gesetzt von den Kompromissen des Star- und Prestigefilmemachens, denn „Wag the Dog“, ist nicht nur sein witzigster Film, sondern auch einer seiner smartesten und besten.

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Die Mediensatire spürt gnadenlos die Verwicklungen zwischen Politik und Medien auf und wie einfach Leute dank simpelster Propaganda zu beeindrucken sind. Der fiktive Krieg gegen Albanien, den hier der „PR-Berater“ Conrad Brean (Robert de Niro) zusammen mit dem Filmproduzenten Stanley Motts (Dustin Hoffman) entfacht, um von der Sexaffäre des US-Präsidenten kurz vor der Wiederwahl abzulenken, wird vielleicht von Levinson und Co-Drehbuchautor David Mamet etwas zu weit getrieben, um immer hundertprozent glaubwürdig zu bleiben, aber das Mittel der Überzeichnung wurde selten so scharf eingesetzt wie hier: Auch wenn das alles viel zu schnell und glatt geht für die virtuellen Kriegstreiber, so kann man sich die Grundelemente der Story gut vorstellen, zumal der Film von der Wirklichkeit eingeholt wurde: Pünktlich zum US-Kinostart im Januar 1998 bekam die Öffentlichkeit Wind von der Affäre Bill Cintons mit Monica Lewinsky. „Wag the Dog“ hat grandiose Szenen zu bieten, etwa wenn Rückschläge – darunter das brillante Cameo von Woody Harrelson als psychopathischer „Kriegsheld“ – von Motts jeweils mit „This is Nothing!“ abgeschmettert werden.

Nur einen Monat später kam „Sphere“ in die amerikanischen Kinos und der Starttermin im Februar dürfte allen klar machen, dass man es hier mit einer problematischen Produktion zu tun hatte, denn Januar und Februar sind grundsätzlich Hollywoods Sondermüllhalde für schiefgegangene Großproduktionen. Und eine solche ist eindeutig auch „Sphere“, der zweite große Big Budget-Flop von Levinson. Für über 80 Millionen Dollar erstellt, spielte das langweilige Sci-Fi-Drama in den USA nur 37 Millionen ein. Zudem waren die Kritiken vernichtend, und das zurecht. „Sphere“ ist ein plattes und uninteressantes B-Filmchen, das vergeblich versucht, diese Tatsache mit für damalige Verhältnisse beeindruckenden Effekten zu kaschieren. Aber das Drehbuch ist ein uninspirierter Mischmasch aus verschiedenen altbekannten Genreideen, von Filmen die von „Alarm Im Weltall“ („Forbidden Planet“) bis zu „Solaris“ reichen. Der nur wenige Monate vorher erschienene „Event Horizon“ war zwar ebenfalls ein kommerzieller und kritischer Flop, benutzte aber ähnliche Motive wie „Sphere“ wesentlich effektiver und hat sich im Heimkino zu einem kleinen Kultklassiker entwickelt. „Sphere“ dagegen verdient sich lediglich eine Fußnote als schlechte Idee, nicht zuletzt, weil Levinson hier als reiner Auftragsregisseur in einem Genre arbeitet, in dem er sichtlich fremdelt.

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Und so machte Levinson das, was er in solchen Momenten gerne tut: Zurück nach Baltimore und den Sachen, die er kennt und gut macht. Das Ergebnis ist „Liberty Heights“, sein vielleicht bester Baltimore-Film seit „Diner“. Levinson kehrt wieder zurück in die 1950er Jahre, diesmal allerdings in die Teenagerzeit und verarbeitet in den Abenteuern der Brüder Ben und Van eigene Erfahrungen sowie die seines Cousins. Im Jahre 1954 wird in Baltimore die Rassentrennung in den Schulen aufgehoben, aber im öffentlichen Schwimmbad hängt noch ein Schild, dass Juden, Schwarze und Hunde dort unerwünscht sind. Eine große Ungerechtigkeit, findet der 14-jährige Ben Kurtzman, besonders, da die Juden als erste genannt werden. Levinson vereint mit den Jungdarstellern fast eine Juniorversion seiner „Diner“-Truppe, denn auch hier finden wir ein halbes Dutzend Schauspieler, die im nächsten Jahrzehnt von sich reden machen sollten, darunter Ben Foster in seinem Leinwanddebüt als Ben, Adrien Brody kurz vor seinem Durchbuch als Van, dazu Shane West und die zukünftigen TV-Stars Justin Chambers („Grey's Anatomy“) und David Krumholtz („Numb3rs“). Einzig bei Rebekah Jonsohn fragt man sich, wie sie nicht zum Star geworden ist und nach nur ein paar weiteren Rollen das Schauspielgeschäft an den Nagel gehängt hat – so strahlend und beeindruckend ist ihre Leistung als Sylvia, das Objekt von Bens Begierde.

Leider ist Sylvia schwarz, und weder ihr Vater noch Bens Familie sind von der sich anbahnenden Freundschaft zwischen den beiden begeistert. Van hat dagegen seine eigenen amorösen Probleme, verliebt er sich doch Hals über Kopf in die so hübsche wie reiche Dubbie (Carolyn Murphy). Und während seine beiden Söhne die Aufs und Abs der Liebe erleben, versucht Vater Nate (Joe Mantegna) sein Burlesken-Theater am Laufen zu halten, was ihm Probleme mit dem lokalen Gangster Little Melvin (Orlando Jones) einbringt. Diese drei Geschichten laufen eine Weile gemächlich nebeneinanderher, bevor sie dann anfangen, sich zu überschneiden. Somit hat „Liberty Heights“ eine etwas stringentere Struktur als Levinsons andere Baltimore-Filme, einzig das Erzähltempo ist gerade im Mittelteil doch ein wenig zu entspannt. Aber ansonsten ist dies Levinson at his best: gewitzte und einfühlsame Dialoge, ein gut aufgelegtes und perfekt harmonierendes Ensemble – von „Wag the Dog“ mal abgesehen ist „Liberty Heights“ sicherlich Levinsons bester Film seit „Avalon“ fast eine Dekade zuvor.

Leider bleibt „Liberty Heights“ dann allerdings auch der letzte große Levinson-Film, denn die Nullerjahre waren nicht sonderlich gut zu ihm. Sein Irland-Ausflug „An Everlasting Piece“ (2000) lief in den USA gerademal anderthalb Wochen (und in Deutschland und vielen anderen europäischen Ländern gar nicht), „Banditen“ war eine reine Auftragsarbeit und nicht sonderlich inspiriert (allerdings auch nicht schlecht, ein typischer regnerischer Sonntagnachmittagfilm) und dann kam auch schon „Neid“, Levinsons schlechtester Film, gegen den selbst „Toys“ wie „Citizen Kane“ aussieht. Über die Probleme dieses Films haben wir schon in der damaligen Rezension genug Worte verloren und müssen uns hier nicht wiederholen, aber „Neid“ ist das, was herauskommt, wenn man eine Geschichte wie „Tin Men“ mit gänzlich unsympathischen Konkurrenten ohne eine Spur von Charme und Intelligenz abfilmt.

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„Man of the Year“ (2006) war dann die Rückkehr zur politischen Satire à la „Wag the Dog“ sowie die Wiedervereinigung mit Robin Williams (und zur Drehbuch/Regie-Kombo für Levinson). Beides sind allerdings nur Beweise für die Theorie der sich immer weiter verringernden Gewinne, wenn man zu oft zum selben Brunnen geht. Denn obwohl Williams sich hier einigermaßen zurückhält, stolpert der Film über seine Hauptfigur. Als TV-Komiker Tom Dobbs, der mehr oder weniger versehentlich zum US-Präsidenten wird, soll Williams in seinen improvisierten Witzszenen und Parodien lustig sein, kann aber nicht einmal zum Lachen oder Schmunzeln mitreißen (weswegen die Lachanfälle der anderen Figuren recht unglaubwürdig wirken), und in den dramatischeren Szenen wirkt Williams wenig beeindruckend. Dazu kommt ein ausgesprochen unausgewogener Ton, denn der Films schwankt unbeholfen zwischen Satire, Drama, Thriller und Komödie, ohne jeweils eines dieser Elemente so richtig auf den Kopf zu treffen. Dies gilt besonders für die recht düstere Storyline um eine Computeranalystin (Laura Linney). Weswegen die PR-Abteilung des Studios auch ganz dreist Täusch-Werbung betrieb, indem sie den Film als typisch verrückte Williams-Komödie bewarb, was an Geschichte und Konzeption des Films meilenweit vorbeisegelt und die Handvoll Zuschauer, die sich in die Kinos verirrt hatten, dann noch nachträglich befremdet haben dürfte.

Diesem Flop ließ Levinson dann noch die Hollywoodsatire „What Just Happened“, basierend auf den Memoiren des Prozudenten Art Linson (u.a. „Fight Club“) folgen, in der er dann versucht, die „Wag the Dog“-Magie mit Robert de Niro neu zu beleben. Aber der auf Digitalvideo gedrehte Streifen verfehlt wie zuvor „Man of the Year“ dieses Ziel deutlich, die Hollywoodsatire ist selten so witzig oder interessant, wie sie glaubt zu sein. Zwar ist der Cast (u.a. Bruce Willis, Sean Penn, Catherine Keener, Michael Wincott, Stanley Tucci und John Turturro) enthusiastisch dabei, sich selbst auf die Schippe zu nehmen, aber „What Just Happened“ erinnert nur daran, wie viel besser und satirisch präziser Robert Altmans „The Player“ ähnliche Ziele ins Visier nahm.

Und so sind wir in der Chronologie wieder bei „The Bay“ angelangt, dem vielleicht besten Levinson-Film seit „Liberty Heights“, auch wenn er zugegeben nicht gerade übermäßig beeindruckende Konkurrenz hat. Was eben auch stellvertretend für Barry Levinsons gesamte Karriere ist: Levinson ist keiner der ganz großen Regisseure Hollywoods, dafür ist seine Arbeit zu uneben und hat er auch zu oft daneben gegriffen. Wenn Levinson dagegen in Topform ist – und sich im Idealfall erzählerisch in oder rund um Baltimore aufhält – ist er zweifellos einer von Hollywoods besten Geschichtenerzählern.


Schöne Werkschau, zu einem Regisseur von dem man irgendwie so gut wie alles gesehen hat und trotzdem nie als wirkliche Stimme wahrgenommen hat. Danke dafür, gerne mehr solche Artikel auf Filmszene!

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