Gerade einmal drei Monate ist es her, da sprachen wir hier von “The Get Down“ als der teuersten Netflix-Serie aller Zeiten. Diese Bezeichnung ist nun aber schon wieder hinfällig, da mit “The Crown“ nun gleich das nächste aufwendig produzierte Serienhighlight von Netflix in den Ring geworfen wird. Die Serie behandelt das Leben der jungen britischen Königen Elisabeth II. und man kann sich jetzt schon denken für was hier wohl das ganze Geld ausgegeben wurde. Dank exquisiten Locations, aufwendigen Sets und wunderschönen Kostümen ist “The Crown“ auch wirklich ein Augenschmaus geworden.
Noch viel wichtiger ist aber wohl die Tatsache, dass das kreative Mastermind hinter der Serie die wohl kompetenteste Person ist, die man sich für diese Herkulesaufgabe hätte aussuchen können. Drehbuchautor Peter Morgan hat schon mit “Die Queen“ nicht nur seine Faszination für das Königshaus gezeigt, sondern auch eindrucksvoll sein Talent, diese angestaubte Institution auf erfrischende Weise auf die Leinwand bzw. den Fernsehschirm zu bringen. So sieht die Serie nicht nur gut aus, sondern liefert auch noch wirklich gute und kurzweilige Unterhaltung – inklusive einem akribisch recherchierten und respektvollen Blick in das Innenleben der Royal Family.
Einen gehörigen Respekt hat auch die junge Elisabeth (Claire Foy, “Der letzte Tempelritter“) vor der Rolle ihres Vaters König George VI. (Jared Harris, “Mad Men“, “Poltergeist“) als Inhaber der britischen Krone. Als dieser stirbt, sieht sich die bisher wohlbehütet aufgewachsene junge Frau mit einer unglaublichen Verantwortung konfrontiert. Nicht wirklich leichter ist es für ihren Ehemann Prinz Philip (Matt Smith), der auf einmal eine der einflussreichsten Frauen der Welt an seiner Seite wähnt und damit auch gleich einen ganzen Haufen neuer Benimmregeln. Und als ob die starren Regeln des Königshauses für die eher moderne Elisabeth nicht schon Last genug wären, muss sie sich auch noch um manch politischen Sprengstoff im britischen Parlament kümmern. Dort sitzt unter anderem auch ein gewisser Winston Churchill (John Lithgow), der mit einer Mischung aus Skepsis und Wohlwollen sich aufmacht, die neue Königin doch mal genauer unter die Lupe zu nehmen.
Die Bedeutung und der Ruhm des Showrunners haben im amerikanischen Seriengeschäft in den letzten Jahren deutlich zugenommen. Matthew Wiener (“Mad Men“), Vince Gilligan (“Breaking Bad“) und viele mehr sind zu Stars der Branche aufgestiegen und ihre Namen sind untrennbar mit ihren Serien verbunden. Was soll man da erst zu Peter Morgan sagen, der im Gegensatz zu den prominenten Vorgängern doch tatsächlich gleich alle zehn Folgen seiner ersten Staffel mal eben komplett alleine geschrieben hat - das nennt man mal einer Serie seinen Stempel aufdrücken.
Dabei hat Morgan sogar noch die Hilfe des Königshauses bei der Recherche abgelehnt – klar, wenn schon kann man auch gleich alles alleine machen. Anhänger der Royals werden deswegen nun vielleicht in Panik verfallen und eine knallharte Abrechnung mit der ja doch sehr angestaubten britischen Krone erwarten. Doch dafür gibt es keinen Grund, denn Morgan wirft nur mit wenig Schmutz um sich und zeigt in seiner Geschichte, die sich sehr stark an überlieferten Fakten orientiert, stets würdevollen Respekt vor den ja zum Teil noch lebenden Mitgliedern der Königsfamilie.
Das Hauptaugenmerk der Serie liegt dabei vor allem auf der jungen Elisabeth und ihren ersten vorsichtigen Gehversuchen in ihrer neuen Rolle als Regentin. Die größten Konflikte entstehen dementsprechend aus dem Aufeinanderprallen der jungen Frau mit einer scheinbar in der Zeit stehengebliebenen und vor allem männerdominierten Institution. Hier ruft schon ein Hauch von Modernität und Fortschritt eine ganze Armada an stocksteifen alten Herren auf den Plan, und so ist es dann auch ziemlich einfach sich als Zuschauer sehr schnell mit Elisabeth und ihrem lebenslustigen Gatten Philip zu identifizieren. Eine Königin als sympathischer Underdog – klingt seltsam, ist aber genau das womit wir es hier zu tun haben. So schüttelt man gemeinsam mit ihr über diverse königliche Verhaltensregeln den Kopf oder drückt die Daumen bei Ihren Versuchen, manch dickköpfiges männliches Mitglied der Krone auszumanövrieren. Es gibt einige Momente, in denen man sogar richtiggehend Mitleid bekommt, zum Beispiel als Elisabeth realisiert, dass ihre königliche Schulbildung nicht einmal dem Basis-Niveau eines Grundschülers entspricht.
So ist es einer der größten Reize der Serie, dass man als Zuschauer sehr gefühlvoll Stück für Stück in diese Welt der Royals mit ihren obskuren Regeln eintaucht. Dabei findet “The Crown“ ein gutes Tempo, bei dem man weder Gefahr läuft den Überblick zu verlieren, noch vor Langeweile einzuschlafen droht. Eines ist aber auch bald klar – das Amt ist größer als die Person, und so ist es dann im Verlauf der Zeit nicht das Amt sondern Elisabeth, die sich verändert. Die wenigen lockeren Momente werden so spürbar weiter zurückgefahren und von der frischen Brise, die Elisabeth noch zu Beginn versprüht hat, ist bald nicht mehr viel zu bemerken, die Gespräche der Protagonisten werden deutlich frostiger. Das keine Langeweile aufkommt liegt hier vor allem auch an einer temporeichen Inszenierung und einem cleveren Schnitt, die so manch kleinem Scharmützel zwischen zwei Figuren den Hauch von großer Bühne verleihen. Insbesondere Tommy Lascelle (stark gespielt von Pip Torrens), der stets auf das Protokoll achtende Privatsekretär der Queen, liefert sich hier einige packende Duelle rund um die Traditionen des Königshauses.
Die tolle Umsetzung, gespickt mit einigen sehr scharfsinnigen Dialogen, lenkt aber natürlich auch gut davon ab, dass viele der hart umkämpften Themen für Außenstehende eigentlich komplett banal erscheinen. Da wird über Sitzordnungen diskutiert, wer denn nun mit wem anbändeln darf oder ob für Prinz Philip nun ein Kniefall bei der Hochzeit vor der Königin angebracht ist oder nicht. Aber gerade durch die intelligente Inszenierung und immer wieder geschickt eingesetzte Montagen, die bis auf eine Ausnahme auch nicht zu aufgesetzt wirken, sitzt man doch durchaus gebannt vor dem Bildschirm und schaut sich die Probleme dem in seiner eigenen künstlichen Blase verharrenden Königshaus fasziniert an.
Wahrscheinlich war das Risiko, die Zuschauer anhand vieler weltfremder Probleme zu verlieren, Peter Morgan dann aber doch zu groß. Neben Elisabeth gibt es nämlich noch eine Figur außerhalb des Palastes, die sich fast zu so etwas wie der zweiten Hauptfigur mausert. Winston Churchill ist nicht nur ein faszinierender Charakter, er bietet der Serie auch noch die Möglichkeit einen Blick in die Welt außerhalb des Königshauses zu werfen. So ist gleich eine ganze Folge dem großen Smog von London im Jahre 1952 gewidmet und der Hilflosigkeit der damaligen politischen Elite. Auch wenn diese Episode sich gefühlt die meisten dramaturgischen Freiheiten von allen nimmt, ist ihr Blick auf das andere London ein sehr nettes Geschichtshäppchen. Überhaupt sind die Ausflüge in die Downing Street an der Seite von Churchill stets eine willkommene Abwechslung von den leblosen Gängen des Buckingham Palace. Die Versuche des alten Haudegen sich krampfhaft an der Macht zu halten, führen zu einigen spannenden Konflikten mit dem englischen Parlament. Es freut einen auf jeden Fall jedes Mal, wenn dieser schillernde Charakter mal wieder ins Bild humpelt um mit einer Mischung aus Charme und Jähzorn seine Gegner mit geistreichen Worten in die Enge treibt.
Da darf man dann auch mal ausgerechnet den einzigen Amerikaner im Schauspiel-Ensemble von “The Crown“ loben, denn unter all dem Make-Up gelingt John Lithgow eine wirklich eindrucksvolle Darstellung der britischen Politikerlegende. Das Psychoduell mit seinem Porträtmaler am Ende der Staffel ist dann auch das schauspielerische Highlight der Serie. Nicht minder charismatisch, nur leider mit deutlich weniger Bildschirmzeit ausgestattet ist auch die liebevolle Darstellung des King George VI. durch “Mad Men“-Veteran Jared Harris. Auf den ersten Blick verblasst da fast ein wenig die Leistung der Hauptdarstellerin, allerdings hat Claire Foy auch die schwerste Aufgabe von allen. Ihre Elisabeth muss sich im Gegensatz zu fast allen anderen Figuren noch finden, ist unsicher und kann meist nur reagieren statt agieren. Als Identifikationsfigur macht sie aber trotzdem eine ordentliche Partie und hier wird es spannend zu sehen sein, wie Foy mit dem neuen Selbstbewusstsein der Figur in den weiteren Staffeln umgeht und ob sie in der Lage sein wird der Serie ihren Stempel aufzudrücken.
Ein weiterer Darsteller blieb bisher aber noch unerwähnt, nämlich das wahrlich königliche Setting. Das muss man Netflix schon lassen, spendabel sind sie. Neben großen Schlössern und prachtvollen Sälen ist so eben auch mal Geld für einen Kurztrip nach Südafrika drin. “The Crown“ ist ein optischer Leckerbissen mit zahlreichen sogenannter “Money Shots“, damit auch ja keiner vergisst wofür hier soviel Geld in die Hand genommen wurde. Die Inszenierung steht dem Ganzen in nichts nach, und so fliegt man mit der Kamera dann eben auch immer wieder episch über die britische Landschaft und manch pferdereitenden Royal. Lediglich eine kleine Anmerkung sei noch erlaubt. Es scheint sich im Seriengenre inzwischen herumgesprochen zu haben, dass Dramatik vor allem durch den extrem reduzierten Einsatz von Licht erreicht wird. Das wird in letzter Zeit aber schon ein wenig arg auf die Spitze getrieben (ja, ich meine auch euch “House of Cards“ und “Better call Saul“) und so hat man manchmal fast die Sorge, dass die Queen beim Abendessen ihren Suppenlöffel nicht mehr findet. Sieht natürlich toll aus und die dramatische Wirkung lässt sich nicht leugnen, ein klein bisschen mehr Realismus wäre dann aber vielleicht doch wünschenswert.
Ob Licht an oder aus, “The Crown“ sieht nicht nur toll aus, sondern verfügt auch über geschliffene Dialoge, eine temporeiche Inszenierung, gute Darsteller und interessante Einblicke in eine uns fremde Welt. Dass sich der Rezensent an dieser Stelle aber trotzdem etwas schwer tut die Serie als grandioses Highlight zu preisen liegt an etwas anderem. Richtig emotional packend wird “The Crown“ nämlich leider nur selten. Zu arg müssen sich fast alle Figuren zusammenreißen und agieren oft kühl und berechnend. Für wirkliche Gefühle ist nur selten Platz, und auch wenn diese kühle Atmosphäre natürlich durch das Umfeld erklärbar ist, kann ihre Nebenwirkung eben auch nicht verleugnet werden. Der Kopf kann “The Crown“ genießen, das Herz will aber noch nicht so richtig pochen. Vielleicht fallen diese emotionalen Fesseln in den kommenden Staffeln noch, dann könnte hier wirklich ein neues Serienjuwel entstehen. Unsere Empfehlung gibt es aber natürlich auch trotz dieses kleinen Makels, denn insgesamt ist Morgan und seinem Team schon eine wirklich eindrucksvolle erste Staffel gelungen, die es erfolgreich schafft ein gewisses Verständnis für die in ihrer eigenen surrealen Welt aufwachsenden Royals zu kreieren.
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