Stirb langsam

Originaltitel
Die Hard
Land
Jahr
1988
Laufzeit
132 min
Genre
Bewertung
von Frank-Michael Helmke / 20. Juni 2010

Actionfilme haben in Bestenlisten für gewöhnlich nichts verloren. Auch wenn oder vielleicht gerade weil sie zu den profitabelsten Genres im Business Film zählen. Tiefgehende Charakterporträts sind ihnen fremd, weil der schnelle Aufbau eines aufregenden Plot-Motivs nach funktionalen Stereotypen verlangt, und Innovationen in der Inszenierung hängen für gewöhnlich mit Special-Effects-Revolutionen zusammen - weshalb auch nur Titel wie "Terminator 2" oder "Matrix" eine langfristige Halbwertszeit aufweisen, während die restliche Genreware zumeist schnell wieder in Vergessenheit gerät. Doch auch im Actionbereich gibt es - den Gesetzmäßigkeiten und Beschränkungen des Genres folgend - eine Handvoll Ausnahmewerke, die den Actionfilm in ihrer Weise revolutionierten. Und eines der wichtigsten ist in dieser Hinsicht ohne Zweifel "Stirb langsam".

Wie eine Blaupause aus dem Produzenten-Handbuch für Filmhits kommt "Stirb langsam" daher als Paradebeispiel eines "concept movie": Ein Film, der nicht mit seiner Handlung oder seinem Star, sondern mit seiner Prämisse lockt, dessen Inhalt sich in einem einzigen Satz zusammenfassen lässt. In der Tat ist das Mini-Konzept von "Stirb langsam" - ein Mann kämpft in einem Wolkenkratzer allein gegen eine Gruppe Terroristen - einer der größten Geniestreiche dieser Art: Sofort verständlich, sofort interessant, sofort faszinierend. Und so erfolgreich, dass der Film längst zur Allgemeinfolklore jedes Filmenthusiasten und Videofreaks zählt. John McClane, ein New Yorker Polizist, der zu Weihnachten seine aus beruflichen Gründen nach L.A. gezogene Frau besucht, und statt in den erwarteten neuen Ehestreit in eine handfeste Geiselnahme platzt, ist - auch dank zweier Fortsetzungen - inzwischen eine der markantesten Action-Ikonen. Und das aus gutem Grund, denn mit "Stirb langsam" wurde nicht nur die Superstar-Karriere von Hauptdarsteller Bruce Willis eingeläutet, sondern auch ein neuer Typ des Actionhelden aus der Taufe gehoben.
In einem Jahrzehnt, das bis dato von den ebenso unverwüstlichen wie emotionslosen Muskelmachos Arnold Schwarzenegger, Sylvester Stallone und Chuck Norris beherrscht worden war, führte Produzent Joel Silver den "accidental hero" ins Actionfach ein - der Jedermann, der zur falschen Zeit am falschen Ort ist und unter außergewöhnlichen Umständen über sich hinaus wächst. Eine Figur, mit der sich die Zuschauer wesentlich schneller identifizieren können als mit einem muskelbepackten Übermenschen. John McClane tritt auf als Familientyp mit seinen eigenen privaten Problemen, und wird schon in der ersten Szene als Mensch mit Schwächen portraitiert - bei der Landung seines Flugzeuges klammert er sich nervös an seinen Sitz, um dann von seinem Nachbarn ein gutes Mittel gegen Flugangst verraten zu bekommen: Wenn man angekommen ist, Schuhe ausziehen und die Zehen zu Fäusten ballen. Eine Szene, die sehr schön vor Augen führt, wie Drehbücher zu "concept movies" wie diesem entstehen: Sie entwickeln sich rückwärts von den guten Ideen aus, oder wie der Fachmann sie nennt: "Money shots".
"Money shots" sind das Lebenselixier eines jeden visuell dominierten Films: Solche Szenen, die hervorstechen, sich in der Erinnerung der Zuschauer festsetzen, für Gesprächsstoff sorgen, im besten Falle sogar berühmt werden. "Stirb langsam" hat eine ganze Auswahl an "Money shots" - wie die Bürostuhlbombe, oder McClane's Flucht durch den Fahrstuhlschacht, oder seine trockene Botschaft "Now I have a machine-gun, hohoho", oder sein halsbrecherischer Sprung vom Dach, gesichert einzig mit einem Feuerwehrschlauch - aber der prägendste und am besten vorbereitete ist sein von Scherben aufgeschlitzter Fuß, nachdem McClane's einziger Ausweg aus einer Schießerei durch einen Boden voll zersplittertem Glas versperrt war. Man kann sich den Entstehungsprozess dieser Szene im Kopf des Autors vorstellen: Von der Idee einer barfüßigen Flucht durch Scherben zur Erklärung, warum der Held den ganzen Film über ohne Schuhe rumläuft, zur Szene, in denen die Terroristen von der Schuhlosigkeit erfahren. In diesen Momenten erweist sich "Stirb langsam" auch als ein sehr gut geschriebener Actionfilm, der gewissenhaft strukturiert ist, mit kleinen Details geschickt Stimmung erzeugt (als Oberganove Gruber den Konzernchef Takagi erschießt, reicht der Hacker Theo einem Co-Terroristen einen Geldschein - nur wirklich eiskalte Gangster schließen Wetten über eine mögliche Exekution ab), und die so wichtigen prägnanten One-liner einstreut ("Yipiyahe, Schweinebacke!").
Besagte Szene mit McClane's kaputtem Fuß zeigte den Protagonisten schließlich nicht nur als unfreiwilligen, sondern auch verletzlichen Helden. War ein Schwarzenegger unmöglich kaputt zu kriegen, ist McClane am Ende des Films fast ein Wrack: Heftig blutend, angeschossen, das berühmt gewordene Feinrip-Unterhemd vollkommen verdreckt - ein Protagonist, der sichtlich gelitten hat, und sich sein Happy End wahrlich verdient. So wurde John McClane zum Prototyp des neuen Action-Helden: Ein Macho alter Schule, aber mit Herz und Schmerz.
"Stirb langsam" setzte indes nicht nur Akzente beim Helden, sondern auch beim großen Bösewicht. Alan Rickman's Vorstellung als Terroristen-Anführer Hans Gruber (im Original sind die meisten Gangster Deutsche, nur in der Synchronfassung wurde die Truppe deutlich internationaler und der Anführer in Jack umbenannt) ist geradezu legendär, seine absolute Eiseskälte vom ersten bis zum letzten Auftritt so beeindruckend, dass die Rolle bis heute Maßstäbe setzt. Einen so frostig-genialen Fiesling sucht man im Actiongenre lange, und vergeblich. Gruber ist dabei auch eine brillante Ikone seiner Zeit: Seine sachliche Erwiderung "Wer sagt, dass wir Terroristen sind?" als sich Takagi wundert, dass die Gruppe lediglich hinter dem Inhalt des Tresorraums her ist, etabliert Gruber als "essentially 80's": Sämtliche politischen Ideale abgelegt (und dementsprechend emotionslos) ist er nur noch am schnöden Mammon interessiert. Vielleicht ist er auch deshalb ein besserer Bösewicht als viele, die danach kamen: Die meisten Antagonisten haben ein Motiv von entweder ideologischer oder persönlicher Natur, und das macht sie angreifbar. Gruber will nur Geld - und schert sich deshalb auch um nichts und niemanden.
Und noch einen Action-Stereotyp drehte "Stirb langsam" eine Nummer weiter: Sämtliche angeblich hilfreiche Institutionen erweisen sich in Actionfilmen regelmäßig als vollkommen nutzlos und machen grundsätzlich immer das falsche - große Polizeiaufgebote ebenso wie das Militär. Das ist in "Stirb langsam" nicht anders, da hier der Polizei-Sesselfurzer Dwayne T. Robinson (Paul Gleason, der Schuldirektor aus "Breakfast Club", in seinem zweiten Auftritt als essentieller Depp der 80er) einzig eingeführt wird, um als Plotkatalysator die Lage unnötig zu verkomplizieren. Doch die "nutzlosen guten Jungs" sind nicht nur Teil des Problems, sondern auch Teil der Lösung: Hans Gruber kann sich so sehr auf das stupide Standardschema zur Terroristenbekämpfung des FBI verlassen, dass sogar sein ganzer Plan davon abhängt: Als die Agenten-Karikaturen Johnson und Johnson auftauchen und den Strom im Nakatomi Tower abdrehen, öffnen sie damit das letzte Tresor-Schloss, und die Gangster sind am Ziel.

"Stirb langsam" ging neue Wege im Actiongenre, ohne dadurch irgendwie weniger konsumierfreundlich zu werden, aber genug, um heute in filmtheoretischen Vorlesungen Erwähnung zu finden, die sich mit "postklassischem Kino" beschäftigen. Der Actionfilm war danach jedenfalls nicht mehr derselbe: Nicht nur hinterließ John McClane Spuren an beinahe allen Genre-Helden, die nach ihm kamen, vor allem das ebenso einfache wie kongeniale Konzept des Einzelkämpfers auf begrenztem Raum (die Fachliteratur nennt es Action-Kammerspiel) erfreute sich in den Folgejahren enormer Beliebtheit, so dass zahlreiche "concept movies" der 90er selbst in ihren eigenen Werbekampagnen direkt auf diesen Ursprung Bezug nahmen: "Alarmstufe: Rot" (Stirb langsam auf einem Kriegsschiff) und "Alarmstufe: Rot 2" (Stirb langsam in einem Zug), "Speed" (Stirb langsam in einem Bus) und "Speed 2" (Stirb langsam auf einem Kreuzfahrtdampfer), "Einsame Entscheidung" (Stirb langsam in einem Flugzeug), "The Rock" (Stirb langsam auf Alcatraz), und so weiter. Die qualitätsbewussten Cineasten mögen "Stirb langsam" nicht als einen der großartigsten Filme aller Zeiten akzeptieren, er ist aber (zumindest für sein Genre) definitiv einer der wichtigsten - und besten.


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