Das ist auch irgendwie außergewöhnlich: Da läuft eine 70-Millionen-Dollar-Produktion mit einigen namhaften Stars, nicht zuletzt Tom Cruise auf der Besetzungsliste im Kino an, und trotzdem kann man sich ziemlich sicher sein, dass auch dieser Film nichts an der gähnenden Leere in Deutschlands Kinosälen während der Fußball-Europameisterschaft ändern wird. Das liegt nicht nur daran, dass Tom Cruises Star-Appeal auch nicht mehr das ist, was er mal war. Sondern vor allem daran, dass es sich beim fraglichen Streifen um die Verfilmung eines Musicals handelt, das hierzulande eigentlich niemand kennt. Und oben drauf kommt dann auch noch, dass der Film einfach nicht sonderlich gut ist.
"Rock of Ages" ist ein sogenanntes "Jukebox-Musical", ein Vertreter jener Gattung von Musicals, bei denen nicht erst die Story kam und dann die Musik dazu geschrieben wurde, sondern wo um einen Katalog aus bereits bestehenden (und bekannten) Songs eine mehr oder minder sinnvolle Story zusammengekloppt wird. So richtig populär geworden ist dieses Musical-Subgenre durch den immensen Erfolg (erst der Bühnenshow, dann des Films) des ABBA-Musicals "Mamma mia!", der dem Publikum in den letzten Jahren eine ganze Barrage von Copycat-Projekten von dem Queen-Musical "We will rock you" bis hin zum Udo-Lindenberg-Musical "Hinter dem Horizont" bescherte. "Rock of Ages" nun baut sich seinen Soundtrack aus den größten Hymnen des "Glam Metal" zusammen, jener später als "Hair Metal" verschrieenen Mixtur aus Heavy Metal, Glam Rock und Pop, die in den 80ern Bands wie Bon Jovi, Def Leppard und Poison zu Weltruhm verhalf.
Konsequenterweise spielt "Rock of Ages" denn auch im Epizentrum dieses Musiktrends, im Los Angeles des Jahres 1987. Dort trifft das gerade aus der Provinz angereiste Kleinstadt-Mädchen Sherrie (Julianne Hough, die sich ihren Part hier verdiente als populärste Tanzpartnerin in der US-Version der Promi-Tanzshow "Let's Dance") auf den hübschen Großstadt-Burschen Drew (Latino-Popstar Diego Boneta in seinem Schauspiel-Debüt), der ihr einen Job im angesagten Rock-Club von Dennis Dupree (Alec Baldwin) beschafft. Der kämpft zusammen mit seinem getreuen Assistenten Lonny (Russell Brand) ums finanzielle Überleben seines Etablissements. Helfen soll ein spektakulärer Auftritt des Glam Metal-Superstars Stacee Jaxx (Tom Cruise). Doch dem im Weg ist nicht nur Stacees gieriger Manager (Paul Giamatti), sondern auch die Anti-Rockmusik-Kampagne des Bürgermeisters Whitmore (Bryan Cranston aus "Breaking Bad") und seiner Frau Patricia (Catherine Zeta-Jones).
Aus dieser Grundkonstellation entwickelt sich die sehr übersichtliche Handlung von "Rock of Ages", ein solches Stückelwerk aus Konventionalität und fehlendem Zusammenhang, dass man gar nicht von einem richtigen Plot reden möchte. Schon allein, mit welchem Missverständnis-für-Idioten das Traumpaar Drew und Sherrie mühsam wieder auseinander gebracht wird, weil der Film nach Minute 30 ja noch weitergehen soll, ist mehr als peinlich. Natürlich kann man auch nur schwerlich eine halbwegs komplexe Handlung erwarten wenn deren einziger Sinn darin besteht, möglichst viele Situationen zu schaffen, in denen man mehr oder weniger passend einen Glam Metal-Hit anstimmen kann.
"Rock of Ages" leidet damit unter dem zentralen Problem eines jeden Jukebox-Musicals. Wenn die Geschichte um die Songs herum geschrieben wird und nicht andersrum, kann man kaum eine packende, dramatische Handlung hinbekommen. Zudem passen die Songs dann meistens auch immer nur so ein bißchen auf die Situation, in denen sie angestimmt werden, weswegen hier so ziemlich jeder Song zu einer Vollbremsung in Sachen Handlung führt (während in einem ordentlichen Musical die Songs immer auch die Handlung vorwärts treiben). Wenn zum Beispiel Stacee Jaxx von einer Musikreporterin (Malin Akerman) auf die Einsamkeit eines Rockstars angesprochen wird, fängt er an, Bon Jovis "Wanted dead or alive" zu singen - was zwar grundsätzlich zu den Stichworten Einsamkeit und Rockstar passt, zu Stacees konkreter Situation aber eigentlich nicht. Schon allein, weil er kein Motorrad fährt.
Apropos Stacee Jaxx: Tom Cruise ist schon ein ziemlich herausstechendes Kuriosum in diesem Film. Nicht nur, dass er als dauerbenebelter und alle Frauen verrückt machender Super-Rockstar einen Part spielt, der eigentlich perfekt auf Russell Brand gemünzt wäre (der hier nur als Sidekick von Alec Baldwin fungiert, sich mit ihm allerdings die gelungenste weil überraschendste Nummer des Films teilt, eine Duett-Version von REO Speedwagons "Can't fight this feeling"), Cruise spielt seine Rolle dabei so bierernst und komplett ironiefrei, als ob er sich hier in einem tiefgehenden Charakterdrama befindet anstatt in einem platten Musik-Klamauk, in dem jede Figur das Abziehbild einer Karikatur ist. Cruise wirkt jedenfalls, als befände er sich in einem ganz anderen Film als alle anderen. Oder in seinem ganz eigenen Film. Was bei Cruise ja auch öfter mal vorkommt.
Jeglicher Kuriositäten-Faktor von "Rock of Ages", sei es nun bezüglich des Star-Ensembles, des generell überdrehten Overactings (außer bei den beiden Hauptdarstellern Hough und Boneta, die leider Gar-kein-Acting beherrschen) oder des Welchen-Song-quetschen-sie-in-diesen-Unsinn-wohl-als-nächstes-rein-Ratespiels ist nach spätestens einer Stunde jedenfalls verpufft. Leider hat man dann erst die Halbzeit erreicht, und am dürftigen Unterhaltungswert ändert sich ab da leider nix mehr. So bleiben am Ende von "Rock of Ages" nur mal wieder einige Fragen offen: Wer zum Henker hat soviele an sich sehr gute Schauspieler zu diesem Quatsch überreden können? Wer hielt die 70-Millionen-Investition in die Verfilmung eines schlechten Jukebox-Musicals für eine gute Idee? Und wen außer schmerzfreien Fans und Zeitzeugen des 80er-Jahre-Glam-Metal soll das hier überhaupt ansprechen? Oder man fragt sich einfach, wer eigentlich heute bei der EM spielt, und geht mal wieder nicht ins Kino.
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