
M. Night Shyamalan hat ein Problem, um das ihn sicher viele andere in Hollywood beneiden: Es wird zuviel von ihm erwartet - nicht, weil er es nicht leisten kann, sondern gerade weil er so viel leisten kann. Seit seinem Durchbruch mit "The Sixth Sense" ist er abonniert auf eine gleichermaßen stimmungsvolle wie hocheffektive Horror- und Spannungsinszenierung und überraschende Schlusswendungen, die den gesamten Film fürs Publikum auf den Kopf stellen und es ebenso aufgeregt wie begeistert aus dem Kinosaal entlassen. Während an Shyamalans Fertigkeiten als einer der talentiertesten jungen Regisseure in Hollywood auch bei seinen Nachfolgewerken "Unbreakable" und "Signs" keine Zweifel aufkamen, reagierte das Publikum teilweise etwas ungehalten, als es in beiden Fällen am Ende nicht so heftig oder wirksam überrascht wurde wie bei "Sixth Sense". Gerade "Signs" war in dieser Hinsicht ein trügerisches Unterfangen: Eine handwerklich meisterhafte Stilübung in der ausgedehnten Konstruktion von Spannung, die ganz richtig im Aufbau eines Schreckens wesentlich mehr Potential für packendes Kino fand als in seiner Auflösung, überraschte "Signs" am Ende höchstens mit der Verschiebung des eigentlichen Erzählzentrums weg vom vermeintlichen Thema, einer außerirdischen Invasion. Das gefiel nicht allen (siehe die damalige Filmszene-Rezension), und viele negative Reaktionen monierten gerade das Fehlen einer effektiven Schlussüberraschung. Die meisterhafte und intelligente Inszenierung allein war wohl tatsächlich nicht (mehr) genug.
Auch wenn Shyamalans neues Werk "The Village - Das Dorf" wieder mit einigen Überraschungen aufwartet, sollte man nicht weiterhin den Fehler begehen, den Film einzig auf sie und ihre Wirksamkeit zu reduzieren. Denn wer das tut, übersieht die tatsächlichen Stärken dieser Erzählung über eine eigenwillige Dorfgemeinschaft im Amerika des 19. Jahrhundert: Die Bewohner dieser kleinen Siedlung leben von einfacher Landwirtschaft in einem Tal umgeben von tiefen Wäldern - und da sie diese nicht zu betreten wagen, hat auch seit Jahren niemand mehr das Dorf verlassen. Grund der Furcht sind "Die, von denen wir nicht zu sprechen wagen", merkwürdige Wesen mit spitzen Zähnen und Krallen, die in den Wäldern hausen und angeblich jeden Eindringling töten. Doch nachdem ein kleiner Junge an einer Verletzung stirbt, die bei vorhandenen Medikamenten nicht tödlich verlaufen wäre, stellt der schüchterne Eigenbrötler Lucius Hunt (Joaquin Phoenix aus "Signs" und "Gladiator") beim Ältestenrat unter Führung von Edward Walker (William Hurt) den Antrag, durch den Wald in "die Städte" gehen zu dürfen, um einen Vorrat an nötiger medizinischer Grundausstattung zu organisieren. Genau wie Walker sprechen sich auch die anderen Ratsmitglieder wie Lucius' Mutter Alice (Sigourney Weaver) dagegen aus, und als Bestätigung folgen bald einige unheimliche Angriffe der gefürchteten Waldwesen bei Nacht, während sich Lucius und Walkers blinde Tochter Ivy (Bryce Dallas Howard in einer beeindruckenden Debüt-Vorstellung) langsam näher kommen.
Jedweder Hinweis auf alles, was darüber hinaus passiert, käme bereits einem Spoiler gleich, der entscheidende Wendungen des Films verraten würde. Diese sind allerdings in ihrer Gesamtheit wieder nicht von der vielleicht erhofften "Sixth Sense"-Qualität, und vor allem die erste große "Überraschung" lässt sich schon wenige Minuten nach Filmbeginn erahnen. Das ist genau genommen aber nicht weiter schlimm, denn zum einen dienen die zentralen Twists mehr als nur dem bloßen Selbstzweck, sondern reichern Geschichte und Szenario um wichtige Aspekte an, die zum weiteren Nachdenken über die Aussagen des Films einladen.
Zum anderen liegt die eigentliche Stärke von "The Village" in seiner Erzählweise. Denn genau wie seine Geschichte in einem amerikanischen Dorf des 19. Jahrhunderts spielt, lehnt sich Shyamalan in seinem Drehbuch an die amerikanische Literatur dieser Jahrhunderts an - eine Epoche, in der Edgar Allan Poe mit seinen Gruselgeschichten die "gothic novel" erfand, und in der noch nicht der Roman, sondern die Romanze die Bücherregale regierte. Eine Romanze ist in diesem Sinne dabei weit mehr als nur eine romantische Liebesbeziehung: Als literarisches Genre zeichnet sie sich - im Gegensatz zum realistischen Roman - durch ihre fantasievolle Gestaltung aus. Das heißt konkret: Unglaubliche Szenarien mit beinahe überlebensgroßen Charakteren, die vor überwältigenden Konflikten und/oder ebensolchen Abenteuern stehen - eine Romanze sollte nicht realistisch, sondern spannend und packend sein. In diesem Lichte betrachtet, relativieren sich schnell die Unglaubwürdigkeit der Story und des Settings von "The Village" ebenso wie die durchweg hochgestochen und wortreich anmutenden Dialoge und die theatralischen Gesten. All dies wirkt befremdlich und kann so durchaus als Kritikpunkt angeführt werden, in der Tradition des 19. Jahrhunderts revitalisiert "The Village" jedoch einen Erzählstil zum neuen Leben, der seinerzeit die historischen Grundsteine des Horror-Genres legte und auch heute noch wirkt - wenn man ihn nur lässt. Denn dann kann das klassische Spiel mit der menschlichen Urangst vor tiefen Wäldern (das "Blair Witch Project" lässt grüßen) durchaus seine Wirkung entfalten in einem Film, der ebenso wie "Signs" den subtilen und steten Aufbau von Spannung zelebriert.
Viel Zeit nimmt sich Shyamalan auch diesmal für diese Konstruktion, und man kann nicht leugnen, dass es dabei zu einigen Längen kommt. Der Regisseur schwelgt in seiner Leidenschaft für starke Bilder und Gesten, was einerseits schön anzusehen ist und die visuellen Mittel des Kinos brillant nutzt, andererseits aber gerade in der Beziehung zwischen Lucius und Ivy- trotz aller Romanze - etwas überzogen und kitschig wirkt. So gibt es ebenso schwache wie starke Szenen (wie die Gänsehaut-Eröffnung, in der zwei kleine Mädchen den unschuldigen roten Farbtupfer einer Blume in ihrem tristen Vorgarten ängstlich ausreißen und vergraben), wobei letztere allerdings klar überwiegen, so dass man "The Village" eindeutig begeistert verlassen kann.
Zugegebenermaßen verlangt Shyamalan dem Publikum für seine Gunst noch mehr ab als bei "Signs", und die nächste Debatte um Wirkungsstärke und Qualität der Schlüsselwendungen wird sicher nicht ausbleiben (wobei das vermeintlich uneffektive Ende eine ganz andere Qualität gewinnt, weil es erst wirklich zeigt, wie ernst der Regisseur seine Geschichte und Charaktere nimmt). Eines muss man ihm aber auf jeden Fall eingestehen: Seine eigenwillige Inszenierung trägt die Handschrift eines einzigartigen persönlichen Stils - und schon allein für dieses Herausragen aus der breiten Einheitsmasse der Hollywood-Regisseure muss man ihm Respekt zollen. Ob "The Village" für den Einzelnen nun Wirkung zeigt oder nicht, hängt entsprechend davon ab, ob man sich für diese eigenwillige Abwechslung von den konventionellen Erzählstandards Hollywoods begeistern kann, oder eben wie gehabt einen effektiven Horrorfilm mit großen Überraschungen verlangt. Für diesen Rezensenten gilt auf jeden Fall ersteres, und drum gibt er auch für Shyamalans vierten Hollywoodfilm den vierten Daumen nach oben.
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