
"The Wrestler" ist ein doppeltes Comeback. Zum einen von Darren Aronofsky, der auf dem besten Weg war, seine Karriere eigenhändig zu versenken: Nachdem er zur Jahrtausendwende mit "Pi" und "Requiem for a Dream" wie eine Bombe in die internationale Filmlandschaft eingeschlagen war, verschwendete er sechs wertvolle Karrierejahre, um sein Traumprojekt "The Fountain" zu verwirklichen - einen Film, den er sich rückblickend betrachtet vielleicht besser gespart hätte. Doch wenn man nach "The Fountain" schon befürchten musste, dass eines der größten Regietalente des letzten Jahrzehnts sich in selbstverliebte Egomanien zu verlieren drohte, kommt "The Wrestler" nun als beruhigende Antithese daher: Ein Film so bescheiden, so zurückgenommen, so einfach und doch so stark, dass man seinen Regisseur darin überhaupt nicht mehr wieder erkennt. Darren Aronofsky erfindet sich hiermit neu - und hat damit vermutlich seine Karriere gerettet.
Das andere Comeback - das eigentlich noch beachtlichere, bedeutsamere - gehört Mickey Rourke. In den 80ern war er einer der größten Stars Hollywoods, Filme wie "9 ½ Wochen" und "Angel Heart" machten ihn zu einem weltweiten Sexsymbol. Dann kam der fast schon filmreife Absturz. Alkohol, Egozentrik, Partys, Frauen, Drogen - die übliche Spirale der Selbstzerstörung, gipfelnd in Rourkes Entscheidung, sich als Profi-Boxer zu versuchen. Was der Alk von seiner hübschen Visage noch übrig gelassen hatte, ließ sich Rourke nun in jahrelanger Kleinarbeit zu Klump schlagen. Er wäre wohl höchstens als warnendes Beispiel für die Selbstzerstörungskräfte einer Hollywood-Karriere in Erinnerung geblieben - wäre nicht Robert Rodriguez gekommen und hätte erkannt, welch Potential im neuen, zertrümmerten Mickey Rourke steckt.
Rodriguez besetzte ihn als Marv, jenes kaputtgesoffene aber dennoch unkaputtbare Tier von einem Mann, das zum merkwürdig anrührenden, moralischen Zentrum der Comic-Gewalt-Orgie "Sin City" wurde - ein Besetzungs-Geniestreich, der sicher Pate stand für diesen Film. Denn in der Tat gibt es wohl keinen Schauspieler, dessen persönliches Schicksal ihn mehr für die Titelrolle hier prädestiniert hätte als Rourke. Und der schwingt sich mit einer derart dankbaren Vorlage zu völlig neuen Hohen auf. Bei den Filmfestspielen in Venedig 2008 gewann "The Wrestler" den Goldenen Löwen, und das auch und vor allem dank Mickey Rourke. Die Chancen stehen nicht schlecht, dass er sich vier Tage, bevor dieser Film in Deutschland startet, den Oscar als bester Hauptdarsteller gesichert hat. Es wäre verdient.
Der titelgebende (fiktive) Wrestler ist Randy "The Ram" Robinson, der in den guten alten 80er Jahren zu den ganz Großen der Szene gehörte. Jetzt ist Randy um die 50 und eigentlich längst zu alt für den Ring. Trotzdem konnte er sich nie davon lösen und hat einfach immer weiter gemacht. Die Promi-Leiter der Szene runtergereicht, verdingt er sich inzwischen bei trostlosen Kleinstadt-Veranstaltungen, wo sich bemühte Amateure vor kaum mehr als einhundert Zuschauern ihre Showkämpfe liefern. Sein verwelkendes Image ist alles, womit Randy noch etwas verdienen kann, und so legt er sich weiterhin unters Solarium, lässt sich bei der koreanischen Friseurin um die Ecke die blonde Mähne nachfärben, und wenn es der Unterhaltung des spärlichen Publikums dient, sagt Randy auch zu Kämpfen nicht Nein, in denen Tacker und Stacheldraht zum Einsatz kommen. Alles für eine gute Show des unerschütterlichen "Ram". Bis er nach einem Kampf zusammenbricht und die Ärzte ihm klar machen, dass sein Herz nicht mehr mitmacht. Noch ein Kampf, und es könnte sein letzter sein. Was nun?
"The Wrestler" lässt sich viel Zeit damit, seine Geschichte zu entwickeln, fängt die Lebenssituation von Randy ausführlich ein, bevor er sie durch die ärztliche Diagnose vollkommen aus den Fugen bringt. Diese Gemächlichkeit ist richtig und wichtig, um zu veranschaulichen, wie schwer es Randy im Anschluss fällt, sich von alteingesessenen Handlungsmustern zu verabschieden, wirklich mit sich selbst und seinem Leben ins Gericht zu gehen und umzukrempeln, was noch umgekrempelt werden kann. Zwei Beziehungen sind dabei entscheidende Richtwerte: Randys zerrüttetes Verhältnis zu seiner Tochter Stephanie (Evan Rachel Wood), die von ihrem chronisch abwesenden Vater nur Enttäuschungen erlebt hat und nun mit berechtigtem Misstrauen auf sein Versprechen reagiert, ab jetzt alles besser machen zu wollen; und die komplizierte Freundschaft zu der Stripperin Cassidy (Marisa Tomei). Randy gehört zu ihren Stammkunden, nicht weil sie ihn besonders anmacht, sondern weil er es genießt, sich während den Lap Dances ganz normal mit ihr unterhalten zu können - ein gegenseitiges Verständnis, das auch sie spürt. Die Chance auf ein gemeinsames Glück liegt in der Luft, doch Cassidy schreckt immer wieder zurück, getrieben von ihrem "Berufsgrundsatz", nichts mit einem Kunden anzufangen.
Cassidy ist ein Spiegel von Randy, denn tatsächlich verbindet die beiden mehr, als sie zugeben wollen. Auch Cassidy ist eigentlich längst zu alt für ihren Job, kann und will sich das jedoch nicht eingestehen, weil sie nicht weiß, was sie sonst machen soll. Genau wie Randy klammert sie sich an die Regeln ihres Metiers und erhebt sie zu Lebensgrundsätzen, um sich einen Rahmen zu zimmern, wo keiner ist. Es gehört zu den großen Momenten dieses Films dabei zuzusehen, wie Rourke und Tomei (auch sie dürfte sich einer Oscar-Nominierung sicher sein) umeinander schleichen, in einem steten Wechsel aus unausgeprochener Sehnsucht nach Nähe und Zurückschrecken aus Angst, ihre mühsam und über Jahre erarbeitete Fassade könnte in sich zusammenbrechen. Es ist die grandios verkörperte Tragik von zwei Figuren, von denen von Anfang an klar ist, dass sie sich gegenseitig erlösen könnten - es bleibt einzig die bange Frage, ob sie in der Lage sein werden, sich selbst zu überwinden und das zuzulassen.
Denn genau so, wie Cassidy in ihrer Rolle als Stripperin gefangen ist, die von ihren Kunden nicht berührt werden darf - weder körperlich, noch emotional - steckt Randy in der Rolle eines Wrestlers fest: Ein Show-Mann, ein Publikumsliebling, abhängig vom Applaus seiner Zuschauer und vollkommen darauf geeicht, gute Unterhaltung zu liefern und so zu tun, als sei das Leben ein simpler, endloser Spaß. In einer sehr bezeichnenden Szene wippt Randy zu einem Klassiker des 80er-Hardrock mit, als die führenden Bands der Welt ähnlich verwegene Haarmähnen und Kostüme wie die Wrestler ihrer Ära trugen, und ähnlich sinnfreie Unterhaltung boten. Randy reflektiert darüber, wie viel besser Rockmusik in den 80ern war, bevor "diese Pussy Kurt Cobain" kam und alle runterzog mit seinem Gejammer. "What's wrong with havin' a little fun?" fragt Randy - und verlacht ein weiteres Mal die Notwendigkeit, auch einmal dem Ernst und der Endlichkeit des Lebens ins Gesicht zu blicken.
"The Wrestler" ist meisterhaftes, tief in der Realität verwurzeltes Charakterkino, eine Perle des Independent-Films, und genau so inszeniert Aronofsky den Film auch. Gerade angesichts dessen, dass der Regisseur berühmt geworden ist durch eine hochgradig stilisierte Inszenierung, die in ihrer oft sperrigen, abwechselnd betörenden und verstörenden Ästhetisierung permanent auf sich selbst hindeutete, ist der geradezu karge Minimalismus, mit dem Aronofsky hier zu Werke geht, eine enorme Überraschung. Es gibt fast nichts in diesem Film, was die Aufmerksamkeit des Zuschauers darauf zieht, dass hier überhaupt ein Regisseur am Werk war. Kein Soundtrack, der auf der emotionalen Klaviatur spielt. Grobe, körnige Bilder, eingefangen von einer quasi dokumentarisch mit den Figuren gehenden Handkamera, kaum ein Schnitt, der nicht sein muss - nichts in diesem Film weist auf seinen Regisseur hin. Und gerade deshalb ist er für Aronofsky ein so großer Schritt nach vorne. Weil er sich von allem befreit, was seine Filme bisher bestimmt hat, und seine Arbeit einzig in den Dienst der Geschichte stellt - und das heißt in diesem Falle, den Figuren und ihren Darstellern die Chance zur vollen Entfaltung zu geben.
"The Wrestler" ist kein spektakulärer Film. Eher das ganz bewusste Gegenteil davon, und das hat System: Er verzichtet auf jegliche Form von Attraktion um eine Figur zu enthüllen, deren ganze Existenz sich auf Attraktion fixiert hat. Wrestling ist kein Sport, es ist eine Zirkus-Show, bei der immer feststeht, wer am Ende gewinnen wird, die "Guten" immer die großen Helden sind und es nie einen tragischen Verlierer gibt - damit alles so ist, wie das Publikum es sehen will. Wie Aronofsky diese schöne Scheinwelt mit sachlicher Nüchternheit dekonstruiert, und wie Mickey Rourke geradezu um sein Leben spielt, um die Tragik zu verdeutlichen, aus dieser Welt nicht mehr entkommen zu können, das ist schlicht und ergreifend - und absolut großartig.
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