
Zwei komplexe weibliche Hauptrollen zeigt das Kino in diesen Tagen, die sinnbildlich die weit auseinander liegenden Pole zeigen, zwischen denen sich Frauen heute definieren. Auf der einen Seite Carrie Bradshaw, die amüsant und cool durch "Sex and the City 2" stöckelt und den kindlichen Traum von Barbie - im rosa glitzernden Abendkleid - und Ken wahr werden lässt. Auf der anderen Seite Lisbeth Salander: erst das Opfer, an dem sich der Vater, der Bruder und schrecklicherweise auch der Staat vergeht. Und dann wird Lisbeth, die knallharte Punkerin, zur Täterin, die sich schlau und kompromisslos wehrt.
Wer sich nicht die Mühe macht, sich mit den Figuren auseinander zu setzen, wird Carrie inklusive Serie und Filmen Konsumrausch und Oberflächlichkeit vorwerfen. Tatsächlich aber hat Carrie das, was Lisbeth so schmerzhaft fehlt: Beziehungen. Und auch wenn sie in einer Welt von "Mein Job! Mein Haus! Mein Auto! " leider oft an den Rand gedrängt werden, kümmern sich wenigstens die Frauen weit öfter um diesen emotionalen Stützpfeiler als Männer. Schließlich sind gute Beziehungen die wichtigste Grundlage eines physisch und psychisch gesunden Lebens. Lisbeth hingegen, die Verratene, die Traumatisierte, kann es sich in keiner Hinsicht leisten, ihren Fokus auf Hochzeitskleider oder königsblaue Manolo Blahniks zu legen. Sie muss, um überleben zu können, stark, smart und verschlossen sein. Carrie präsentiert überspitzt die absolut weibliche Seite der Frauen. Leider hat Schönheit an diesem Pol einen zu hohen Stellenwert. Lisbeth dagegen steht für unsere andere, männliche Seite - das "Bad Girl". Tough, unabhängig und dank sensationell-besonderer Liegestütz-Technik wirklich sportlich, statt nur auf dünn getrimmt. Doch sie ist einsam und seelisch letztlich schwach.
"Vergebung" ist der letzte Teil der erfolgreich verfilmten Millenium-Trilogie von Stieg Larsson. Da die Handlung dank der vorausgegangenen Mega-Seller überwiegend bekannt ist, hier nur die wichtigsten Eckpunkte. Der Film beginnt mir dem Blick auf Stockholm von oben, Lisbeth wird mit dem Rettungshubschrauber ins Krankenhaus transportiert. Mit wenigen, sehr kurzen Rückblenden schließt der Film damit nahtlos an den zweiten Teil an. Und wie in den beiden Vorgänger-Filmen mutet er den Zuschauern auch einiges zu, zum Beispiel das blutige Stück Schädeldecke, welches in der OP herausgenommen wird, um die Kugel im Kopf von Lisbeth zu entfernen. Gut die erste Hälfte des Films spielt im Krankenhaus, und wieder beeindruckt Noomi Rapace durch ihr großartiges Spiel; sie schafft es, Lisbeth im Wesentlichen durch Blicke und eine geringe Mimik sehr eindrücklich darzustellen.
Einer der Hauptgründe für die Qualität des Films liegt ohnehin darin, dass er bis in die Nebenrollen überaus passend besetzt ist, beispielsweise mit Aksel Morisse in der Rolle von Lisbeths jungem Arzt Dr. Anders Jonasson. Charmant und jungenhaft auf der einen, durchsetzungsstark auf der anderen Seite erfüllt er mühelos die Vorstellungen, die das Buch von ihm geweckt hat. Für die Zuschauer ein Sympathieträger, für Lisbeth die Unterstützung, die sie überlebensnotwendig braucht, sowohl auf einer ganz handfesten Ebene, in dem er ihren früheren Peiniger, Dr. Peter Teleborian (schön eklig: Anders Ahlbohm Rosendahl) entschlossen möglichst lange von ihr fern hält; als auch auf der für Lisbeths Seele extrem wichtigen, psychologischen Ebene, indem er sie sowohl konkret als auch im symbolischen (psychoanalytischen) Sinne füttert - mit einer Pizza.
Ebenso abstoßend, wie man ihn sich vorstellt, tritt Alexander Zalachenko (Georgi Stykov) kurz, aber prägnant auch im dritten Teil wieder auf. Ebenfalls erfreulich gut besetzt ist die Anwältin Annika Giannini (Annika Hallin), die ihre Mandantin zwar hochschwanger, aber nicht weniger kompetent vertritt. Auch so gegensätzliche Charaktere wie Redaktions-Mitarbeiterin Malin oder Lisbeths Hacker-Kollege Plague (Thomas Köhler), haben Tiefe und Glaubwürdigkeit. Nur Lisbeths Halbbruder Ronald Niedermann (Mikael Spreitz) erfüllt die Erwartungen nicht, seine blonden Haare wirken ebenso künstlich wie seine körperliche Stärke.
Während die eine Seite - eine Gruppe von größenwahnsinnigen, selbstgerechten alten Männern - an Lisbeths Vernichtung arbeitet, bemüht sich die andere Seite mit Mikael Blomkvist (Mikael Nykvist) als Speerspitze um Lisbeths Überleben und Rehabilitierung. Wie auch im Buch ist die Geschichte mit ihren Nebensträngen, beispielsweise mit den vielen unterschiedlichen Abteilungen der Polizei im Staat, relativ kompliziert zu verfolgen. Regisseur Daniel Alfredson, der auch den zweiten Teil verantwortete, hält die filmischen Mittel dagegen einfach. Der Film wird ohne technischen Schnickschnack, aber auch ohne die Raffinessen des ersten Teils erzählt.
Die drei schwedischen Originaltitel der Trilogie erzählen verknappt letztlich die ganze Geschichte. Teil eins: "Män som hatar kvinnor" - "Männer, die Frauen hassen". Teil zwei: "Kvinnan som lekte med elden" - "Das Mädchen, das mit dem Feuer spielte". Und nun Teil drei: "Luftslottet, som sprängdes". Und tatsächlich wird nun das Luftschloss aus staatlicher Gewalt, welches Lisbeth des Mordes verurteilen und für immer wegsperren will, gesprengt.
Als Zuschauer überkommt einen manchmal eine leichte Gereiztheit, wenn Lisbeth ("Ich rede nicht mit Seelen-Klempnern") ablehnend reagiert, obwohl es so viele wirklich gut mit ihr meinen. Doch ihre Gründe dafür sind beklemmend, beängstigend und verständlich. Denn auch wenn dies eine fiktive Geschichte ist, so wissen wir doch, dass etliches davon in ähnlicher Formjeden Tag passiert. Bei uns in Westeuropa vielleicht noch etwas seltener. Aber entsetzlicherweise immer noch oft genug.
So bietet "Vergebung" das fulminante Ende eines großen Werks. Schade, dass es nicht zehn Teile geworden sind, wie ursprünglich von Larsson geplant - sein plötzlicher Tod kam dem Romanautor voraus. Was bleibt, ist die großartigste Frauen-Figur seit langem plus drei hervorragende Filme.
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