Thailand, das ist das Paradies der westlichen Sinnsucher und Individualisten, von Rucksacktouristen und allen anderen Rastlosen, die für möglichst wenig Geld eine möglichst gute Zeit haben wollen. Nirgendwo sonst kann man einerseits die fremdartig-inspirierende Atmosphäre der asiatischen Kultur genießen und zugleich für absolute Spottpreise alldem frönen, was man daheim landläufig unter einem Spaß-erfüllten Leben versteht. Kein Land in Südostasien hat sich mit solcher Verve der Ausländer-Bespaßung verschrieben wie Thailand, von endlosen Beach Resorts bis hin zu den hässlichen Ausmaßen der Prostitution, und darum fällt es dem Westler an sich auch kaum woanders so leicht wie hier, sich selbst zu vergessen und sich vollkommen der Lebensfreude des Moments hinzugeben. Wer noch kein Hedonist ist, der wird es spätestens in Thailand.
So wie der Amerikaner Jake, ursprünglich mit einem Stipendium für ein anthropologisches Forschungsprojekt nach Thailand gereist, an dem er aber schon längst das Interesse verloren hat. Ziel- und sorglos lebt er in den Tag hinein und genießt die Drogen, den Alkohol und die Frauen - in Thailand alles sehr preiswert zu bekommen. Dass ihm wegen der unterschlagenen Stipendiengelder daheim in den USA jetzt der Prozess gemacht werden soll, interessiert Jake herzlich wenig. Für seinen introvertierten und uneigenständigen Bruder Oliver, der als Tellerwäscher arbeitet und noch immer zuhause bei den Eltern wohnt, ist Jake ein idealisiertes Vorbild. Als Jake Oliver bedrängt, ihn in Thailand zu besuchen, nutzt Oliver die Chance, dem gluckenhaften Schutz der Mutter zu entkommen. Seine eigentliche Aufgabe - Jake von der Rückkehr in die Heimat zu überzeugen, damit er sich im Prozess seiner Verantwortung stellt - vergisst Oliver sehr schnell und lässt sich stattdessen von seinem Bruder bereitwillig in die Lebensfreude made in Thailand einführen. Dumm nur, dass er sich dabei in Olivers beste Freundin, die thailändische Barkeeperin Lek, verliebt und damit eine Grenze überschreitet, an der die pure sorglose Lebensfreude für den Westler in Thailand aufhört.
"The Elephant King", das Kino-Debüt des Regisseurs
und Autors Seth Grossman, ist kein spektakulärer Film, der
mit einer aufrüttelnden Geschichte und hochdramatisch vorgetragenen
Emotionen das Publikum mitreißt. Die "Arthouse-Attitüde"
(und das ist nicht negativ gemeint) ist hier offensichtlich und
die bisherigen Erfolge des Films auf diversen internationalen Festivals
daher nicht verwunderlich: Mit seiner zurück genommenen Erzählweise,
den ruhigen, atmosphärischen Bildern und den sich hauptsächlich
nicht in, sondern zwischen den Dialogzeilen manifestierenden Charakteren
erinnert "The Elephant King" an einen anspruchsvollen
Roman, der sich entsprechend auch mit wenig plakativen, sondern
sehr komplexen Themen auseinandersetzt.
Die Beziehung zwischen Jake und Oliver ist dabei noch am einfachsten
zu verstehen. Jake der große, bewunderte Bruder, der vorgeblich
Oliver helfen will, endlich aus sich selbst heraus zu kommen und
etwas Spaß im Leben zu haben, tatsächlich aber längst
am Ende der Fahnenstange angekommen ist und durch den Besuch seines
kleinen Bruders die Einsamkeit durchbrechen will, die ihn immer
mehr einholt. Auf der anderen Seite der introvertierte Oliver, der
seinen Bruder tatsächlich braucht, um sich endlich mal lebendig
zu fühlen, aber auch erkennen muss, dass dessen scheinbar so
süßes Leben vor allem daraus besteht, vor jedweder Form
von Verantwortung davon zu laufen. Und wo geht das besser als in
Thailand, wo sich jedes Problem mit Geldsummen regeln lässt,
für die man zuhause gerade mal eine Portion Pommes bekommen
hätte.
Hier
beginnt dann auch das tiefer liegende Thema des Films, denn jenseits
der Familiengeschichte um Jake, Oliver und ihre eigenwilligen Eltern
(neben Ellen Burstyn als überprotektive Mutter begeistert Josef
Sommer als sorgloser Vater, der sich nur für die sexuellen
Eskapaden seiner Söhne in Thailand interessiert und neidisch
ist, für so was schon längst zu alt zu sein) ist "The
Elephant King" vor allem eine Betrachtung über die unüberwindbare
Mauer zwischen den Thailändern und ihren ausländischen
Gästen. Selbst Menschen wie Jake, die jahrelang dort leben,
über die Touristen schimpfen, einheimische Freunde haben und
sich unbedingt als Teil des Ganzen sehen wollen, bleiben doch außen
vor. Weil sie letztlich doch nur "Langzeit-Touristen"
sind, die sich wie alle anderen Westler aufführen, und die
außer ihrem Geld für die Bevölkerung auch nichts
zu bieten haben. Man ist nett zu ihnen, weil man sie braucht, aber
man lässt sich nie wirklich auf sie ein. Darum können
auch Jake und Oliver in Thailand zwar alles bekommen, was sich für
Geld kaufen lässt - Party, Drogen, Alkohol, Sex - aber nicht
das, was sie tatsächlich suchen: Liebe und Erfüllung.
Der naive Oliver glaubt daran, dass die süße Lek seine
verliebten Gefühle erwidert, doch die würde viel lieber
dem Werben eines Gitarre spielenden Landsmanns nachgeben, der in
ihrer Bar mit seiner Band auftritt. Aber der ist zu arm, um eine
echte Alternative zum vom westlichen Touristen-Geld möglich
gemachten Leben in der nordthailändischen Hauptstadt Chiang
Mai zu bieten.
Wenn der Gitarrist dann während eines Bar-Auftritts ein trauriges,
thailändisches Lied singt, dass die Ausländer nicht verstehen,
Lek aber zu Tränen rührt mit seinen Zeilen über ein
Mädchen vom Land, das ihre große Liebe zurückgelassen
hat und nun in der Stadt als Prostituierte arbeitet, nähert
sich "The Elephant King" auf sehr wahrhaftige Weise dem
zentralen, unüberbrückbaren Paradoxon im Verhältnis
der Thailänder zu ihren westlichen Party-Gästen: Einerseits
bringen sie das Geld ins Land, ohne das viele Thailänder nicht
mehr leben können; andererseits macht die Erniedrigung durch
und für dieses Geld die Thais unglücklich und entfernt
sie immer mehr von der Chance, ein erfülltes Leben zu haben.
Die Kontraste zwischen thailändischer Tradition und West-freundlichem Party-Leben, zwischen Tempeln und Discos im so bizarren wie faszinierenden Chiang Mai fängt Seth Grossman (der dort selbst zwei Jahre mit einem Stipendium lebte) mithilfe seines brillanten Kameramanns Diego Quemada-Diez in fesselnden Bildern ein, die all die Lebendigkeit und Widersprüchlichkeit dieses Ortes transportieren. Nicht weniger großartig sind die Darsteller, vor allem Tate Ellington als Oliver und Jonno Roberts als Jake meistern ihre komplexen Figuren herausragend, die sich permanent hinter Masken verstecken und ihre wahren Gefühle nur in wenigen Momenten durchscheinen lassen. Auch die Geschichte ist in ihrer ruhigen, metaphorischen Erzählung ein kleines Kunstwerk für sich, auch wenn sich Grossman am Ende eines überdramatisierten und etwas unmotivierten Kunstgriffs bedient, um das Ganze aufzulösen. Das vermittelt ein wenig den Eindruck, als hätte er sich vor der bereit liegenden, aber weitaus schwieriger zu erzählenden Auflösung gedrückt, und er nimmt seinem eigentlichen Helden Oliver damit auch die Chance, sich richtig zu beweisen.
Das ist ein kleiner Makel am Schluss eines an sich in jeder Hinsicht sehr gut gemachten Films, der allerdings deutlich daran krankt, zu keinem Zeitpunkt irgendwie spektakulär zu sein. Das ist natürlich der nachdenklichen Geschichte und der realistischen und deshalb Schauwert-armen Charakterzeichnung geschuldet. Dennoch wird "The Elephant King" genau deshalb jenseits von Arthouse-affinen Festival-Gängern vergeblich auf die Suche nach einem interessierten Publikum gehen. Seth Grossman empfiehlt sich hier indes als gewissenhafter und talentierter Regisseur für ernsthaftes Charakter-Kino, und man sollte sich nicht wundern, seinen Namen in kommenden Programmkino-Hits wieder zu sehen.
Neuen Kommentar hinzufügen