Das Haus, das sich Laura (Belen Rueda) und ihr Mann Carlos (Fernando Cayo) als neuen Wohnsitz ausgesucht haben, hat eine besondere Geschichte. Denn genau hier hat Laura ihre Kindheit verbracht, als das gewaltig an einer Steilküste aufragende Gemäuer noch als Waisenhaus fungierte. Jetzt lebt nur ein einziges Kind darin, nämlich Simon, der siebenjährige Adoptivsohn des Paares. So sollte es zumindest sein, doch schenkt man den Erzählungen des Jungen Glauben, dann hat er dort bereits mysteriöse neue "Freunde" gefunden, die aber niemand anders sehen kann als er selbst. Zunächst machen sich die Eltern wegen der anscheinend übersprudelnden Fantasie des Jungen keine allzu großen Sorgen, doch bald schockiert Simon mit Dingen, die er eigentlich gar nicht wissen kann. Er würde nicht alt werden, hätten ihm seine Freunde gesagt und auch, dass Laura überhaupt nicht seine Mutter sei. Beides stimmt, doch wer hat Simon gesagt, dass er HIV-positiv ist? Wer ist der Junge mit der Maske, der auf der Einweihungsparty für Verwirrung und Schrecken sorgt? Es scheint, als lägen die Antworten in der Vergangenheit des alten Hauses und nur Laura ist bereit, diese Tatsache zu akzeptieren und sich dem Übernatürlichen zu stellen.
Wer als junger Debütant mit dem Namen Guillermo Del Toro für seinen Film werben kann, befindet sich derzeit in einer sehr komfortablen Position. Nach dem letztjährigen Trophäenregen und der weltweiten Begeisterung für seinen Film "Pans Labyrinth" steht Del Toro im Zenit seiner Popularität. Doch im Gegensatz zum Kollegen Tarantino "präsentiert" der Spanier hier nicht nur einfach etwas, sondern hat das Erstlingswerk seines langjährigen Freundes Juan Antonio Bayona von Beginn an gefördert und auch weitgehend finanziert. Und siehe da: Schon wieder hagelt es Preise, bei den namhaften Festivals in Toronto und Cannes gab es Auszeichnungen für "El Orfanato".
Kein Wunder, denn dies ist ein Beitrag zum Genre des Gruselfilms, der auch dem etwas empfindlicheren und ästhetisch orientierten Kulturmenschen gefallen kann, weshalb der Begriff "Horror" hier auch viel zu hart und daher unpassend wäre. Denn weit entfernt von der regelmäßig in die Kinos rollenden Flut an typisch amerikanischem Teenager- und Folter-Metzeleien zieht das "Waisenhaus" seine deutlich ruhigeren Kreise und grenzt sich dabei auch von den japanischen Mystery-Thrillern wie dem "Ring" und seinen Folgen deutlich ab. Wenn dann doch mal die eine oder andere Schocksequenz eingebaut wird, kommt diese dafür aber umso plötzlicher und heftiger - Stichwort Autounfall.
Obwohl dabei die Story und ihre einzelnen Versatzstücke allesamt für sich betrachtet nichts wirklich Neues bieten, so werden sie doch sehr kunstvoll arrangiert. "Atmosphäre" heißt das Zauberwort mit dem Bayona das Publikum für seinen Film einnimmt, eine stimmige Collage aus wunderschönen Kulissen, sanften Farben und einer manchmal fast zärtlich anmutenden Kameraführung. Viel zu langsam und gediegen ist diese Inszenierung aus dem alten Europa wahrscheinlich für einen Großteil des gänzlich anders domestizierten jungen Publikums, aber das wollte ja auch schon "Darkness" aus dem gleichen Land nicht sehen und war es selbst schuld.
Für das "Waisenhaus" stehen die Chancen im Gefolge von "Pans Labyrinth" nun glücklicherweise etwas besser, obwohl die Ähnlichkeiten zum mehrfachen Oscargewinner eher gering sind. Viel mehr erinnert dieser Film sowohl inhaltlich (eine Mutter kämpft um ihr Kind und muss lernen ein anscheinend unvermeidliches Schicksal zu akzeptieren) als auch mit dem starken Fokus auf die Atmosphäre (dort der graue Häuserblock inmitten der Großstadt, hier das einsame Riesenhaus direkt an der Atlantikküste) an "Dark Water", den ebenfalls leider nicht allzu erfolgreichen Genrebeitrag von Walter Salles. Es scheint also, als hätten die Südländer in diesem Feld ihren ganz eigenen Stil gefunden. Auch im "Waisenhaus" hat man dabei meist eigentlich nicht das Gefühl, als wenn wirklich etwas grundsätzlich "Böses" die Menschen bedrohen würde, und über Allem vielmehr eine Art grundsätzlicher Wärme zu liegen scheint. Das ist zwar das eine oder andere Mal dann tatsächlich etwas zu betulich inszeniert, mindert aber den Genuss der gut durchdachten und konsequent zu Ende erzählten Geschichte nur wenig, die ihr Publikum gerade zum Schluss auch emotional zu packen weiß.
Dazu tragen auch die Darsteller bei, jedenfalls die weiblichen, wie es leicht einschränkend anzumerken gilt. Denn während der Junge und sein Vater blass bleiben und man auf Letzteren auch ganz hätte verzichten können, bräuchte man nicht handlungstechnisch eine mahnende Stimme der Vernunft, glänzen auf der anderen Seite zwei Damen: Belen Rueda als zwischen Verzweiflung und unerschütterlicher Hoffnung stets kämpferisch auftretende Laura, und dazu Geraldine Chaplin in einer kleinen Gastrolle als Medium "Aurora", eine Dame mit wahrhaft magischer Aura. Vor allem bleibt aber der Respekt für den bemerkenswert runden und ziemlich perfekt durchkomponierten Debütfilm eines vielversprechenden Regietalents.
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