Sommer vorm Balkon

Originaltitel
Sommer vorm Balkon
Jahr
2005
Laufzeit
110 min
Release Date
Bewertung
9
9/10
von Patrick Wellinski / 5. Februar 2011

 

Andreas Dresens Werke haben erheblichen Anteil daran, dass deutsche Filme wieder erfolgreich in unseren Kinos laufen. Mit "Nachtgestalten" brachte er den Neorealismus zurück auf die deutsche Leinwand. "Herr Wichmann von der CDU" stellt immer noch eine kleine Revolution im Genre der Dokumentarfilme dar, und mit dem komplett improvisierten Film "Halbe Treppe" hat er einen der besten deutschen Filme der letzten Jahre produziert. Sein neuer Film "Sommer vorm Balkon" bestätigt, dass Dresen zurzeit vielleicht der beste, oder zumindest der konstanteste und wandlungsfähigste Regisseur Deutschlands ist.

Ein Sommer in Berlin. Katrin (Inka Friedrich) und Nike (Nadja Uhl) sind zwei Freundinnen. Sie wohnen im gleichen Haus im Berliner Osten. Katrin ist geschieden und arbeitslos. Außerdem hat sie einen pubertierenden Sohn und wohnt im Erdgeschoss. Nike arbeitet als Altenpflegerin, ist Single und hat einen Balkon. Genau auf diesem titelgebenden Anbau verbringen beide Frauen viele Abende miteinander und diskutieren über ihr Leben, vor allem aber über Männer und warum die Richtigen immer die Falschen sind. Eines Tages tritt Ronald, der Lastwagenfahrer (Andreas Schmidt), in ihr Leben und mischt Nikes und Katrins Alltag ordentlich durcheinander.

Mit Hilfe von Wolfgang Kohlhaase, dem Stamm-Drehbuchautor des legendären DDR-Filmemachers Konrad Wolf, erlaubt uns Dresen einen Sommer lang einen sehr intimen aber auch sehr ehrlichen Blick auf die Probleme im Leben beider Frauen. Ein Leben, das mal traurig, mal dramatisch und dann wieder witzig ist. Wenn Katrin sich in Seminaren á la "Wie Bewerbe ich mich richtig?" blamiert und von den Kursteilnehmern deswegen angegriffen wird, ist das ebenso unheimlich lustig wie äußerst tragisch - die schwierige Gratwanderung der Tragikomödie meistert Dresen beeindruckend. Nike wiederum wird bei ihrer Arbeit äußerst schmerzvoll daran erinnert, dass nicht nur die alten Menschen meistens allein sind, sondern sie auch. Ronald wechselt die Frauen, wie andere die Zahnbürsten, ist aber selber ein ganz zerbrechlicher Mensch.
Neben der Wahl des introspektiven Drehbuchs beweist der Regisseur wieder einmal ein glückliches Händchen bei der Besetzung. Das Duo Inka Friedrich als Katrin und Nadja Uhl als Nike ist mehr als ein Glücksgriff. Beide verkörpern ihre Figuren mit einer außerordentlich greifbaren Intensität und sehr körperbetontem Spiel. Es reichen oft nur Blicke, kleine Nuancen, um ganze Gefühlswellen zu vermitteln.
Sobald Inka Friedrich als Katrin sich leicht geduckt durch die Berliner Straßen bewegt, erleben wir eine äußerst distanzierte und gehemmte Frau, auf der eine sehr schwere Last zu hängen scheint. Doch einmal geht sie in die Disco tanzen, jegliche Distanz verschwindet und wir erleben für einen kleinen Moment, so scheint es, die wahre Katrin. Ganz anders Nadja Uhl, wenn sie mit ihrem Fahrrad durch die Menschenmenge am Prenzlauer Berg rast oder in die Wohnungen der alten Menschen stürmt. Sie ist das völlige Gegenteil von Katrin. Extrovertiert, laut mit typischer Berliner Schnauze. Sie musste sich immer durchkämpfen. Ihr wurde nie etwas geschenkt. Ihre String-Tangas schauen immer aus der Jeans, und wenn sie wieder mal auf der Straße jemanden anbrüllt, wirkt Nadja Uhl wie die deutsche Cameron Diaz.

"Sommer vorm Balkon" ist eine Mischung aus "Halbe Treppe" und Dresens letzter Arbeit "Willenbrock". Trotz eines festen Drehbuchs hat Dresen sich mit einem nur zwölfköpfigen Team und der für ihn fast schon typischen Handkamera an die Arbeit gemacht, und in nur einem Sommer den ganzen Film gedreht und geschnitten. Außerdem besteht der Großteil des Ensembles aus Laiendarstellern. Dass man dies nicht merkt, ist allein Dresens großem Talent, mit Menschen zu arbeiten, zuzuschreiben.
Es tut richtig gehend gut, endlich mal wieder einen deutschen Film zu sehen, der so vieles richtig macht. Mit einem Starttermin Anfang Januar könnte es Dresen so zukommen, ein hoffentlich besseres deutsches Kinojahr einzuläuten. Mehr Filme und Regisseure mit Dresens Mut zu aktuellen und menschlichen Themen wären dem deutschen Kino zu wünschen.

"Sommer vorm Balkon" ist ein Film ohne konkreten Höhepunkt, dafür aber mit sehr vielen kleinen. Dieses kleine Filmjuwel zeigt die beiden Seiten des Lebens, ohne dabei in tiefe sinnleere Belehrungen zu verfallen. Dresen ist ein Werk voller innerer Schönheit gelungen. Man verfällt dem Charme und der Wärme des Films von der ersten Minute an. Eine Bestandsaufnahme aus dem Leben, die beweist, dass die besten Filme noch im Kopf weiter gehen, wenn der Abspann längst vorbei ist.

Bilder: Copyright

1
1/10

Ich bin zugegeben ohnehin kein Fan von Dresens Filmen, aber bei diesem Film kamen dann auch noch unangenehme Erinnerungen an die Produktionen des DDR-Fernsehens hoch. Der Drehbuchautor Wolfgang Kohlhase war ja auch früher DEFA-Mitarbeiter.
Über dem ganzen Film liegt trotz allen dargestellten Problemen eine piefige Beschaulichkeit, die die heutige soziale Wirklichkeit Berlins völlig außen vorläßt. So etwas zum Feel-Good-Movie zu verklären ist mehr als ärgerlich. Prädikat ungenießbar.

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10
10/10

Ein beeindruckender Film mit noch beeindruckenderen Schauspielerinnen. Niemals kitschig, straight. Toll.
Musik ist extra.

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