MOH (117): 14. Oscars 1942 - "Sergeant York"
In unserer Serie "Matthias' Oscar History" (MOH) bespricht Matthias in jeder Folge jeweils einen der zwischen den Jahren 1929 und 2000 nominierten Oscar-Beiträge aus der Kategorie "Bester Film".
In unserer letzten Folge hatte uns Alfred Hitchcock mit der Unterstützung von Cary Grant nach Europa entführt, unter der Regie von Howard Hawks darf nun Gary Cooper in wichtiger Mission auf den alten Kontinent reisen.
Sergeant York

Howard Hawks’ "Sergeant York" ist wieder so ein Fall, bei dem eine gelungene Eröffnungsszene gleich Vorfreude auf den Rest des Filmes weckt. Zu Beginn nimmt uns der Streifen mit in eine kleine Dorfkirche Anfang des 20. Jahrhunderts, um uns dort den verzweifelten Versuch des örtlichen Pastors zu zeigen, trotz allerlei Störungen irgendwie eine inspirierende Predigt an den Mann (und Frau) zu bringen. Gar nicht so leicht, wenn erst unter einem lauten Quietschen ein verspäteter Besucher hereinschlurft und sich dann draußen ein paar Rabauken eine ausgiebige Freudenschießerei gönnen. Das ganze Szenario ist mit einem so sympathischen Augenzwinkern und spürbarer Liebe für die Figuren umgesetzt, dass sich automatisch ein kleines Lächeln einstellt. Zumindest bei uns als Publikum, nicht bei unserem Pastor. Der kapituliert schließlich und löst das Ganze mit einem genervten „Na los, schnappt euch die Idioten da draußen“ auf.
Es ist eine liebevoll gespielte und inszenierte kleine Szene, die irgendwie bezeichnend für den über weite Strecken nett-naiven Charme von "Sergeant York" ist. Einen Charme, den auch unsere in "Forrest Gump"-Manier durch die Geschichte stolpernde und nicht ganz so helle Hauptfigur an den Tag legt. Manchmal braucht es halt nicht viel Tiefgang, sondern einfach nur sympathische Figuren und nette Charaktermomente, um einen gut zu unterhalten. Zumindest so lange, wie das zentrale Thema der Geschichte das mitmacht. Genau hier stellt sich "Sergeant York" am Ende aber leider noch schnell selbst ein Bein, wenn der Film etwas ungeschickt in deutlich düstere und moralisch komplexere Gefilde wechselt.

Eher stolpernd als zielgerichtet verläuft im Film auch das Leben des jungen Hitzkopfes Alvin C. York (Gary Cooper, "Bengali", "In einem anderen Land") im Tennessee der 1910er-Jahre. Die harte Farmarbeit kompensiert Alvin mit zahlreichen Alkoholeskapaden, die sowohl der örtliche Pfarrer (Walter Brennan) als auch vor allem seine zutiefst religiöse Mutter (Margaret Wycherly) stoisch und nie ohne die Hoffnung zu verlieren ertragen. Doch eine religiöse Erfahrung, die Aussicht auf ein neues Stück Land und eine mögliche Hochzeit mit der jungen Gracie (Joan Leslie) scheinen Alvin schließlich tatsächlich auf den "rechten" Pfad des Lebens zu bringen. Doch Alvin ahnt nicht, dass auf diesem Pfad der Ausbruch des Ersten Weltkrieges für ihn die größte Prüfung erst noch bereithält.
Ein klein wenig erinnerte "Sergeant York" an "Forrest Gump". Unsere Hauptfigur ist mit einem begrenzten Intellekt ausgestattet, pflegt eine innige Beziehung zu seiner Mutter und entwickelt – wenn auch mit leichter Verzögerung – einen klaren moralischen Kompass. Und wie Gump stolpert auch Alvin schließlich in einen Krieg, den er selbst nicht versteht, zu dem er gar nicht will und dessen Gewalt ihn abschreckt. Ein paar größere Unterschiede gibt es aber dann natürlich doch, wie die Tatsache, dass sich "Sergeant York" nicht um eine fiktive Figur, sondern um eine reale Person dreht.

Alvin C. York war der wohl bekannteste US-Soldat des Ersten Weltkriegs – berühmt geworden durch einen spektakulären Kampfeinsatz, der im Film dann am Schluss auch den großen Höhepunkt bildet. Das klingt zunächst nach dem Stoff für einen (angesichts der Zeit) maximal patriotischen, triefend kitschigen Hollywood-Film. Und gewissermaßen ist der Film das auch – aber eben nicht nur. Das hat sicher auch mit dem echten Alvin C. York zu tun, der seinen unfreiwilligen Ruhm zeitlebens nie wirklich ausschlachten wollte. Lange lehnte dieser eine Verfilmung seiner Geschichte ab und willigte schließlich nur ein, um mit der dadurch gewonnenen Aufmerksamkeit Geld für eine Bibelschule sammeln zu können. Und unter der Bedingung, dass hier bitte keine extreme Heldenverklärung betrieben werden sollte.
Erfreulicherweise wird diese Absprache dann auch über weite Strecken eingehalten. Nicht selbstverständlich für Hollywood, genauso wenig wie die Tatsache, dass die eigentliche Heldentat relativ wenig Zeit einnimmt und man stattdessen lieber lange Zeit auf die Karte Charakterporträt setzt. Viele Minuten verbringen wir hier mit Alvin auf dessen Farm, schauen dabei ihm bei dessen kleinen Sorgen und Nöten, dem Anbändeln mit Gracie oder auch mal einem netten kleinen Schießwettbewerb zu. Dabei vollzieht sich bei Alvin ein langsamer Wandel vom Saulus zum Paulus, genauer gesagt vom impulsiven (aber relativ harmlosen) Trunkenbold hin zu einem anständigen und gottesfürchtigen Bürger.
Dass man sich für diese Entwicklung dabei so viel Zeit nimmt, ist eine gute Entscheidung. Nicht, weil man es hier mit einer psychologisch fundierten und tiefgehenden Charakteranalyse zu tun hat, sondern einfach nur, weil Gary Cooper seine Figur so ehrlich und warmherzig spielt. Hier und da habe ich in dieser Reihe ja schon mit Cooper gefremdelt, aber ähnlich wie Hanks in "Forrest Gump" spielt er die Naivität seiner Figur hier nun stets einfühlsam menschlich und nie klischeehaft. Dafür gab’s dann auch den ersten von zwei Oscars in der Kategorie "Bester Hauptdarsteller" für Cooper (den zweiten erhielt er für "Zwölf Uhr mittags"), was angesichts der Tatsache, dass Cooper den kompletten Film souverän auf seinen Schultern trägt, eigentlich auch in Ordnung gehen würde. Wäre da nicht im selben Jahr ein gewisser Charles Foster Kane auf der Leinwand erschienen – aber dazu in einer der nächsten Folgen mehr.

Den Charme des Films machen aber auch die Nebenfiguren aus, vor allem der liebevolle Umgang des Drehbuchs und der Inszenierung mit ihnen. Ob Margaret Wycherly als herzensgute Mutter oder Walter Brennan als verständnisvoller Pastor – der Film ist gespickt mit warmherzigen Nebenrollen, die einem alle ein klein wenig ans Herz wachsen. Was dann wieder bedeutet, dass uns deren Reaktionen auf die Ereignisse hier, so banal die meist auch ausfallen, einem dann wirklich etwas bedeuten. Zugegeben, teilweise agieren die Figuren auch schon etwas zu nett. Wie manche Personen hier anderen abrupt verzeihen, hat (leider) nicht so viel mit der Realität zu tun. Aber all das wird eben mit so viel Wärme und stets einem kleinen Augenzwinkern präsentiert, dass es zwar weiter banal ist, aber eben auf sehr angenehme Weise.
Heutige Zuschauer dürften allerdings am deutlich religiösen Unterton etwas zu knabbern haben. Aber selbst entschiedene Atheisten dürften zustimmen, dass auch hier der Film meist relativ elegant am Kitsch vorbeischrammt und seine Moralpredigt lange zumindest nicht zu offensichtlich verpackt. Und so gleitet der Film entspannt durch seine zwar vorhersehbare, aber mit herzlicher Naivität durchzogene Handlung – bis man schließlich beginnt, auf den großen Höhepunkt zuzusteuern. Und genau da wird’s leider etwas problematisch.

Wenn Alvin anlässlich des Ersten Weltkriegs gegen seinen Willen zum Militärdienst eingezogen wird, dann verlässt man sich zu Anfang noch auf die Erfolgsrezeptur aus der ersten Hälfte des Filmes. So darf der von allen belächelte Alvin seine Vorgesetzten mit seinen sensationellen Schusskünsten überraschen, was zwar dramaturgisch wieder relativ simpel umgesetzt ist, dank dem unschuldigen Spiel von Cooper aber sehr unterhaltsam gerät. Wenn man Alvin dann aber an die Front schickt, kommt der Film deutlich ins Schwimmen. Der Wandel vom pazifistisch geprägten Kriegsgegner zur Ein-Mann-Kampfmaschine überzeugt hier nicht wirklich – vor allem, weil man sich dafür viel zu wenig Zeit nimmt. Die moralische Erklärung für den Sinneswandel wird hier nur nachgereicht und wirkt eher wie eine schnell hingeworfene Notlösung. Schwerer wiegt jedoch, dass die eigentliche "Heldentat" (bei der zahlreiche deutsche Soldaten ihr Leben verlieren) fast schon humorvoll mit Alvins Strategie bei der heimischen Entenjagd verglichen wird – ein Gleichnis, das moralisch ziemlich ins Klo langt.
So ist es sehr schade, dass dieser lange Zeit so naiv-schöne Film am Ende etwas seine Unschuld verliert. Spätestens am Schluss wird dann auch deutlich, was zuvor elegant nur im Hintergrund mitlief: der propagandistische Aufruf an die patriotische Pflichterfüllung der Amerikaner. Auf in den Krieg, rettet die Demokratie. In Sachen Timing lag man damit allerdings ziemlich gut, denn noch während der Film im Kino lief, griff Japan Pearl Harbor an. Die USA traten daraufhin in den Zweiten Weltkrieg ein, was dem Film noch einmal eine völlig neue Relevanz verlieh und "Sergeant York" am Ende zum finanziell erfolgreichsten Film des Jahres machte. Die Relevanz des Films wurde dann auch mit gleich elf Oscar-Nominierungen bestätigt (neben "Bester Hauptdarsteller" erhielt der Film allerdings nur noch die Auszeichnung für den besten Schnitt). Ganz so Oscar-würdig fühlt sich der Film zwar heute nicht an, doch trotz des etwas bitteren Beigeschmacks überwiegt am Ende hier dann doch das Positive. Und auch der echte Alvin zeigte sich mit dem Film zufrieden. Sein Wunsch, am Zweiten Weltkrieg an der Front eingesetzt zu werden, wurde Alvin allerdings aus gesundheitlichen Gründen verweigert. Stattdessen finanzierte er aus eigener Tasche Auftritte bei Ausbildungslagern. Dass man ihn derweil zum "Colonel" beförderte, war der Presse allerdings egal – für sie sollte er immer der einfache Sergeant York bleiben.
"Sergeant York" können Amazon Prime Kundinnen und Kunden aktuell (mit Werbung) ohne Aufpreis auf Amazon Prime sehen (nur deutscher Ton). Zusätzlich ist der Film auch als DVD auf Amazon in Deutschland verfügbar.
Trailer des Films.
Unser Sergeant trumpft mit Zielgenauigkeit auf.
Kurzer Bericht zum Tod des echten Sergeant Yorks - mit Archivmaterial aus dem Krieg.
Ausblick
In unserer nächsten Folge spielt Religion sogar eine noch größere Rolle dabei, das US-Publikum auf den Krieg einzustimmen.
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