Everybody wants some!!

Originaltitel
Everybody wants some!!
Land
Jahr
2016
Laufzeit
117 min
Genre
Release Date
Bewertung
8
8/10
von Frank-Michael Helmke / 27. Mai 2016

Everybody wants someWenn Richard Linklater nicht gerade als Auftragsregisseur die Drehbücher anderer Leute verfilmt (wie z.B. bei "School of Rock" oder "Die Bären sind los"), hat er sich eigentlich noch nie sonderlich um gängige Filmdramaturgie geschert. Ein echter Linklater-Film interessiert sich nicht für eine konventionelle Handlung, sondern fängt viel mehr eine spezifische Atmosphäre ein und sucht die tiefere Wahrheit in prägnanten Momentaufnahmen. Das galt schon für sein Frühwerk "Slacker", ein eigenwilliges Porträt einer ziellos in den Tag hineinlebenden Anhäufung von Mitzwanzigern, mit dem er einer ganzen gesellschaftlichen Gruppe einen medial ausgeschlachteten Namen gab und sich als einer der einflussreichsten amerikanischen Independent-Regisseure der 90er Jahre etablierte. Das galt auch für seine populäre "Before..."-Trilogie, in der er zwischen 1995 und 2013 in drei Stationen die Entwicklung einer Beziehung vom magischen Kennenlernen bis zum anstrengenden Ehealltag einfing. Es galt für seinen letzten, außergewöhnlichen Film "Boyhood", mit dem er vor zwei Jahren denkbar knapp an einem Oscar vorbei schrammte. Und es galt für Linklaters bislang vielleicht besten, hierzulande aber fast unbekannten Film "Dazed and Confused" von 1993.

In dem Film, der in Deutschland derzeit unter dem grässlichen Verleihtitel "Confusion - Sommer der Ausgeflippten" vertrieben wird, beobachtete Linklater eine Gruppe Teenager in einer x-beliebigen Kleinstadt am letzten Schultag (und in der darauffolgenden Nacht) vor den Sommerferien 1976. "Dazed and Confused" wollte diese Zeit und diesen Ort einfangen, wie sie waren, verzichtete komplett auf dramaturgische Zuspitzungen in seinen ohnehin nur dürftig vorhandenen Handlungssträngen, und erzeugte gerade deshalb eines der genauesten filmischen Porträts, die es von den 70er Jahren und vor allem vom Gefühl des Jungseins in einer Kleinstadt je gegeben hat. 

Everybody wants some23 Jahre später kreierte Linklater nun einen Film, bei dem man gar nicht anders kann, als ihn als geistigen Nachfolger von "Dazed and confused" zu betrachten. Die Handlungszeit ist diesmal 1980, der Ort ein fiktives College irgendwo in Texas, aber ansonsten gilt auch hier: Dieser Film erzählt keine Geschichte, er erzählt ein Lebensgefühl. Und in diesem Falle ein sehr männliches: Die zentrale Figur des Films ist Jake, der ein Stipendium als Baseball-Spieler an besagtem College bekommen hat und nun drei Tage vor Beginn des Semesters in seinem künftigen Wohnhaus eintrifft, das er sich mit der Hälfte seiner Mannschaft teilen wird. Es wird nicht viel Zeit mit Ankommen und Auspacken verschwendet, Jakes neue Teamkollegen brechen quasi umgehend mit ihm auf, um irgendwo ein paar Bier zu trinken und das gerade überall auf dem Campus eintreffende, weibliche Frischfleisch zu begutachten. Und in diesem Gusto geht es dann für die nächsten drei Tage weiter, die im Prinzip außer nichts außer Rumhängen, Party machen und mehr oder weniger erfolgreichen Versuchen, Mädels aufzureißen, bestehen. 

Was auf den ersten, oberflächlichen Blick etwas eintönig und ereignislos erscheinen mag. Und man kann es auch durchaus verstehen, falls sich die eine oder andere weibliche Zuschauerin von dem geballten Testosteron in diesem Film etwas vor den Kopf gestoßen fühlt. Doch "Everybody wants some!!" leistet genau dasselbe wie "Dazed and confused" und erzeugt letztlich etwas, was viel wertvoller ist als eine weitere, alberne College-Klamauk-Komödie: Ein authentisches, wahrhaftiges Zeugnis darüber, wie es sich wirklich anfühlt, an solch einem Ort, zu solch einer Zeit. Der Film ist dabei sowohl ein spezifisches Porträt seiner Handlungsära, vollgepackt mit Frühe-80er-Popkultur (in einer Szene unterhalten sich die Charaktere über die perfekte Strategie für das legendäre Videospiel "Space Invaders"), als auch ein zeitloses Dokument des Lebensgefühls Anfang 20, wenn man zum ersten Mal so richtig an der Freiheit schnuppern kann und zugleich noch mit den spaßorientierten Flausen der Jugend im Kopf herumrennt. 

Everybody wants someIm Prinzip fängt "Everybody wants some!!" drei Tage dessen ein, wovon man Jahre später als "die beste Zeit meines Lebens" sprechen wird. Doch anstatt dass eine Filmfigur dies an irgendeiner Stelle einmal theatralisch ausspricht ("Das hier ist die beste Zeit unseres Lebens!"), wie es in eigentlich jedem College-Film passiert, der diese sorglose Party-Zeit pathetisch überhöht, laufen diese drei Tage genauso beiläufig und ziellos ab, wie es diese "besten Zeiten" in der Realität eben immer tun. Man weiß ja gar nicht, wieviel Spaß man eigentlich hat, bis er irgendwann vorbei ist. Wie es Joni Mitchell einst sang: You don't know what you got 'til it's gone. Und so mäandert auch dieser Film vor sich hin, während die Jungs tun, was Jungs eben so tun wenn sie leicht hormonübersteuert auf einem Haufen rumhängen. Und ganz nebenbei passieren Dinge, von denen man sich genau vorstellen kann, wie sie sich dieselben Jungs 15 Jahre später bei einem Wiedersehen als legendäre Anekdoten erzählen werden: "Weißt du noch damals, wie...!". Aber diese Bedeutsamkeit werden diese Augenblicke eben erst in der Rückschau erhalten, und das hier ist nicht die Rückschau. Das hier ist die Live-Aufnahme. 

Linklater beweist einmal mehr sein großartiges Talent dafür, vollkommen unprätentiös und mit täuschender Leichtigkeit tiefergehende Themen in seinen Film hineinzuziehen, die einen in dieser spezifischen Lebenssituation bewegen. Eben auch die Jungs aus Jakes Baseball-Mannschaft, auf ihre etwas tumbe, einfältige Art und Weise. "Everybody wants some!!" stellt Fragen danach, was es heißt, jung zu sein. Wie einen unterschwellig die Angst vor dem Ernst des Lebens umtreibt, der diffus auf einen zukommt, die Angst vor einem unaufregenden, unbedeutenden Dasein. Everybody wants someGrandios hintersinnig eine Szene, in der die Jungs über den Campus schlendern und sich fragen, wie es wohl sein muss, kein cooler Sportler mit Stipendium und der Chance auf eine spätere Profi-Karriere zu sein, sondern einer der ganzen anderen, die irgendwas Uninteressantes studieren, und dann bald enden als "just some guy, doing some job".

Die Identitätssuche, die in der Wirklichkeit in dieser Lebensphase permanent stattfindet, ist unterschwellig auch in diesem Film omnipräsent. In der Art, wie die Jungs ständig ihre spezifische Rolle in der Gruppendynamik der Mannschaft zu verfestigen versuchen. Und vor allem in den Partys, die sie in den drei Tagen des Handlungszeitraums besuchen. Ohne Berührungsängste feiern sie sich durch eine gängige Disco-Party (popkulturell hing man 1980 natürlich noch deutlich mehr in den Resten der 70er fest, bevor die 80er wirklich die neonbunten 80er wurden), einen Country-Schuppen mit Line-Dancing, ein progressives Punk-Konzert und ein Kostümfest von Theaterstudenten. Überall fügen sie sich problemlos ein, und irgendwann wirft Jake beiläufig tatsächlich die Frage auf "Wer sind wir eigentlich?".

Mit solcher Gedankenschwere halten sich diese Jungs natürlich nie lange auf, und darum tut es auch der Film nicht. Linklater weiß genau, um wieviel es hier eigentlich geht, doch er weiß auch, dass seine Protagonisten sich dessen gar nicht bewusst sind, und darum lässt er sie - und das Publikum - die meiste Zeit einfach nur Spaß haben. Und was für welchen. Denn bei aller Hintersinnigkeit und unterliegenden Brillanz ist "Everybody wants some!!" vor allem ein großes, großes Vergnügen. Schon nach wenigen Minuten, wenn Jake mit seinen neuen Kumpeln im Auto unterwegs ist und sie den damals brandaktuellen Hiphop-Klassiker "Rapper's Delight" der Sugarhill Gang mitrappen, liefert der Film nicht nur die beste Mitsingen-im-Auto-Szene seit "Wayne's World" anno 1992 ab, sondern erzeugt auch sofort ein Gefühl der puren Lebenslust, das einen bis zur letzten Szene nicht mehr loslässt. In der Linklater dann auf kongeniale Weise einfängt, wie die nun folgenden vier Jahre von Jakes College-Zeit vermutlich aussehen werden. Er hat vielleicht die beste Zeit seines Lebens vor sich. Er hat vielleicht gerade seine große Liebe kennengelernt. Ihm stehen vielleicht die Tore zur Welt offen. Aber glaubt ja nicht, dass er sich über irgendwas davon bewusst ist. Oh, what it is to be young...

Bilder: Copyright

Neuen Kommentar hinzufügen

Der Inhalt dieses Feldes wird nicht öffentlich zugänglich angezeigt.

Klartext

  • Keine HTML-Tags erlaubt.
  • Zeilenumbrüche und Absätze werden automatisch erzeugt.
  • Website- und E-Mail-Adressen werden automatisch in Links umgewandelt.
CAPTCHA
Diese Aufgabe prüft, ob du menschlich bist um Bots zu verhindern.