Interview mit Hauptdarsteller Jürgen Vogel und Regisseur Matthias Glasner zum Film „Gnade“

von Désirée Wilde / 7. November 2012

Ihr beide dreht nicht nur gemeinsam Filme, ihr habt auch eine eigene Firma, die „Schwarzweiss Filmproduktion“. Wie kam es zu dieser Zusammenarbeit?

Jürgen Vogel (lacht): Das zu erklären ist immer etwas schwer.

Matthias Glasner: Der Name kommt jedenfalls daher, dass Jürgen weiße und ich schwarze Turnschuhe an hatte.

Jürgen Vogel: Und wir unseren ersten Film, den wir gemeinsam frei produziert haben, auch in Schwarzweiß gedreht haben Ich, der wahnsinnig Gute im Team und Matthias der Teufel. Mittlerweile hat es sich komplett umgedreht (lacht). Kennengelernt haben wir uns 1993 beim Dreh zu „Die Mediocren“ und danach war einfach klar, dass wir weiter zusammenarbeiten wollen. Wir haben dann Matthias Film „Sexy Sadie“ (1996) gemeinsam produziert und seitdem ist das so mit uns.i gnade 1

 

Matthias, worin lag der Reiz des Drehbuchs von Kim Aakeson zu „Gnade“ und warum hast du trotzdem so viel geändert - beispielsweise den Drehort von Kopenhagen nach Hammerfest verlegt und den Song im Hospiz mit eingebaut?

Matthias Glasner: Der Reiz war für mich die außergewöhnliche Figurenzeichnung, die Art wie diese Menschen mit dem Unfall umgehen und die doch recht überraschenden Entwicklungen, die sich daraus ergeben. Ich wollte aber keine Familiengeschichte in Kopenhagen machen, weil ich gar nicht weiß, wie die Menschen in Dänemark so sind. Aber die Idee fand ich gut, wir haben uns getroffen und dann kam die Idee auf, es zu einer Auswanderungsgeschichte nach Norwegen zu machen. Die Landschaft kannte ich schon von früher und fand sie großartig. Außerdem finde ich, dass ein Film immer zwei Geschichten und Ideen vertreten kann, die sich gegenseitig spiegeln und beeinflussen. Auf der einen Seite die Auswanderer, die versuchen ihr Leben neu zu erfinden und auf der anderen Seite, dieses Familiendrama, um das Thema Schuld.

Zum Song: Ich mag es auch, den Randfiguren mehr psychologische Tiefe zu verleihen und das tue ich, indem ich mir die Talente der Schauspieler zunutze mache. In diesem Fall war ausschlaggebend, dass Maria Bock so gut singen konnte. Sie hat das Lied selbst in ihrer Küche aufgenommen und mir vorgespielt und ich hab es in den Film eingebaut. Das führte dann ja auch zu dieser tollen Szene zwischen Birgit Michimayr und Jürgen, wo seine Hand langsam ihren Rücken hoch wandert. Durch eine kleine Bewegung entsteht eine so große Wirkung. Somit war das Lied ein Geschenk an den Film. Genauso wie der originale Hammerfestchor, der im Film zu sehen ist.

 

Henry Stange in der Rolle des Sohnes Markus hat mich sehr beeindruckt.

Matthias Glasner: Mich auch. Er war zwölf als wir gedreht haben und hatte schon ein Praktikum in der Kamerateilung von Studio Hamburg gemacht. Er kannte sich zum Teil besser mit den Schnittprogrammen aus als wir (lacht). Er ist ein sehr frühreifes, aber auch verschlossenes Kind. Besonders sein unheimliches Gesicht hat mir gefallen. Erinnert mich an „The Shining“. Dieses unheimliche Element lässt den Jungen auch wie eine Bedrohung wirken. Die Tatsache, dass er alles durch sein Handy filmt, macht ihn zu einer außer-moralischen Instanz, jemand der den Film auch mit neu erfindet. Der Gedanke, dass Markus vielleicht der eigentliche Erzähler ist, war mit dabei, auch weil er am Ende der Einzige ist, der nicht vor der Kamera zu sehen ist.

 

Woher kam die Idee, dass Markus alles mit dem Handy filmt?

Matthias Glasner: Der Junge wehrt sich damit gegen die Vernachlässigung durch seine Eltern. Er wehrt sich, indem er sie heimlich filmt, es zusammenschneidet und mit eigener Musik unterlegt, ihr Leben manipuliert. So hat er wenigstens am Computer das Gefühl, Macht über seine Eltern und Zugriff auf ihr Leben zu haben. Was ich bisher noch nie erzählt habe, ich hatte während des Drehs die Idee, dass Markus um das Haus des toten Mädchens schleicht und langsam Kontakt zu ihren Eltern aufnimmt. Diese ihn in ihre Familie aufnehmen und er zu ihrem Kind wird. Diese Transformation, dass Markus Eltern ihr Kind der anderen Familie aus Buße überlassen, dass hätte ich gerne gemacht, aber da war es schon zu spät. Ich mag einfach Filme, die den Zuschauer von Grund auf erschüttern. Stichwort- Lars von Trier - Geschichten.i gnade 5

 

Ihr habt in euren Filmen immer sehr düstere Themen. Vergewaltigung in „Der freie Wille“ und jetzt in „Gnade“ Schuld, Sühne und Vergebung. Was bedeutet es für euch, das Publikum herauszufordern? Diese Filme lassen ja immer sehr viel Interpretationsraum.

Jürgen Vogel: Genau darum geht es uns. Wir wollen, dass die Filme einen Erlebnis - Charakter haben. Die Leute konsumieren den Film nicht nur, sondern erleben Teile davon mit. Das passiert zwar nicht immer, aber Matthias und ich schätzen genau solche Filme. Sie kommen von Herzen, weil wir genau das machen was wir mögen. Ich finde es toll, wenn eine Kommunikation in Filmen stattfindet, auch ohne viele Worte. Man sieht einen Film über ein Thema und setzt sich damit auseinander, weil man selbst gerade mit sich kämpft, nicht weiß wo man im Leben steht, zu wem man eigentlich gehört. Jemand so schulmeisterlich zu erklären, wie jemand mit Schuld umzugehen hat, dafür ist das Fernsehen vielleicht ein ganz gutes Medium. Für Leute, die das brauchen, wenn es so vorgelegt wird. Ich denke oft, Matthias und ich haben einen anderen Zugang zu bestimmten Themen als die breite Masse, weil wir die Bereitschaft und Offenheit ihnen gegenüber mitbringen. Ich denke, selbst wenn wir beide versuchen würden, eine Komödie zu machen, würde es letztendlich immer um die Abgründe des Menschen gehen. Aber vielleicht ändert sich das noch.

 

i gnade 2Wie stehst du selbst zum Thema Schuld und Vergebung?

Jürgen Vogel: Es wäre das Schönste, wenn die Filme es schaffen würden, dass man genau darüber nicht mehr reden muss. Nicht mehr in dieser Art und Weise. Das eine ist nur so eine Abfrage der persönlichen Meinung und das andere ist das, was wir der Menschheit und der Kultur, den Filminteressierten geben – einen Anreiz zu diesen Themen. Ich glaube, es gibt persönlich nichts Größeres als eine Haltung zu haben. Ich habe es zum Glück selbst in der Hand, wie viel Würde ich meinen Figuren bestenfalls geben kann. Deshalb würde ich das ungern eins zu eins von mir auf diese Themen übertragen, weil ich Teil der Themen bin, weil ich mich damit beschäftige.

 

Wie war das Drehen in Norwegen?

Jürgen Vogel: Wir haben sechs Wochen in Hammerfest gedreht, bei manchmal bis zu minus vierzig Grad. Aber man gewöhnt sich dran. Es waren sogar die schönsten Dreharbeiten in meinem Leben. Die Schönheit der Natur hat mich umgehauen, aber auch die Intimität zwischen dem Team sorgte für eine gute Atmosphäre.

 

Matthias Glasner: Als Regisseur fand ich es nur schade, diese grandiose Landschaft in den beengten Rahmen des Films zu zwängen. Man muss wirklich dort gewesen sein und diese Erfahrung war einfach einmalig in meinem Leben.

 

i gnade 3Welche Rolle spielt die Natur in „Gnade“?

Matthias Glasner: Sie ist ein weiterer Hauptdarsteller. Menschen in Natur - Zusammenhang und Gegensatz - das finde ich magisch. Ich glaube aber, dass wir Menschen nicht Teil der Natur, sondern Außerirdische sind. Wenn du Tiere in der Natur siehst, dann denkst du, die gehören dahin, Menschen wirken in  ihr aber verloren. Das Gefühl, dass Menschen hier nicht hingehören beschäftigt mich schon ewig und deshalb ist auch das i-Phone am Ende des Films wie der schwarze Quader aus 2001. Wir sind auch die einzige Spezies, die permanent den Planeten zerstört. Vielleicht, weil wir eine außerirdische Intelligenz sind.

 

Das wäre eine coole Filmidee.

Matthias Glasner: Ist schon in Arbeit. Warte mal auf meinen nächsten Film. Mehr möchte ich aber noch nicht verraten. Außer, dass ich Autoren suche, die sich wirklich mit Sciencefiction auskennen. Die sollen sich bei mir melden.

Jürgen Vogel: Ich warte stattdessen auf meinen Ehrendoktortitel. Ich finde, Dr. Vogel klingt einfach gut (lacht).

 

Zum Abschluss die Frage an dich Jürgen - wieso spielst du immer wieder Verbrecher und Typen, die echte Arschlöcher sind?

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Filmszene-Autorin Désirée Wilde mit Jürgen Vogel & Matthias Glasner beim Interview

Jürgen Vogel: Gute Typen sind nicht sexy (lacht). Und weil ich sie spannend finde. Diese vielen verschiedenen Facetten. Ich glaube, dass es weder gut noch böse gibt, nur ein Zusammenspiel von beidem in einer Person. Helden und das reine Gute sind für mich Phantasiefiguren. Wenn es kein Wechsel gibt, dann glaube ich es gar nicht. Es ist aber trotzdem schön, wenn man  auch nur das Gute im Menschen sehen und auch daran glauben kann. Der Film „Gnade“ ist der versöhnlichste Film, den wir bis jetzt gemacht haben. Wo wirklich eine positive Möglichkeit visualisiert wird. Ob sie nun realistisch ist oder nicht, ist völlig egal. Wir erzählen einfach nur, was wir für uns selber wünschen, hoffen...

 

Matthias Glasner: Das stimmt. Mit dem Ende des Films war ich sehr glücklich, weil ich auch selbst voller Hoffnung war. Der Film ist eine Reise ins Licht. Auch, wenn es vom Inhalt vielleicht manchem schwer fällt, es so anzunehmen. Auch bei „Der freie Wille“ wollte ich ihn eigentlich so enden lassen, dass es weiter geht. Für mich ist es schon ein positives Denken der Figur, wir leben weiter. Wir müssen uns mit Situationen auseinandersetzen und können es auch, wenn wir uns öffnen. Beispielsweise, dass es Vergewaltiger in der Welt gibt. In „Gnade“ ist das Thema vielleicht leichter anzunehmen, weil es um Figuren rund um Fahrerflucht geht. Insgesamt ist aber der wichtigste Gedanke, dass wir die Chance nutzen, uns selbst als Menschen komplett anzunehmen, und zwar mit unseren Fehlern und Schwächen. Und damit klar zu kommen und weiter zu machen, weil wir eben nicht alles Helden sind, aber auch nicht die Bösen. In jedem Menschen stecken alle Möglichkeiten drin. Jeder hat die Chance, sich jeden Tag, jede Minute, zu entscheiden.


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