Musik verbindet. Unter diesem Aufhänger drehte der Schweizer Christian Labhart einen Dokumentarfilm über Schüler einer Abschlussklasse im Züricher Oberland. Diese leben in gegensätzlichen Welten: Einerseits sind sie normale Jugendliche, die sich neben der Schule für Freunde, Tanzen, Skaten und Rockkonzerte interessieren. Aber andererseits arbeiten sie auch mit Hingabe an der musikalischen Erschließung einer 250 Jahre alten Totenmesse. Ein Widerspruch?
Für das Ende des Schuljahres probt der Oberstufenchor der Rudolf Steiner-Schule in Wetzikon das Requiem von Wolfgang Amadeus Mozart. Thomas Gmelin, der Musiklehrer und Chorleiter muss seine Schüler disziplinieren und gleichzeitig motivieren. Unter ihnen sind auch Wanja Gehr, Stefan Geissmann und Rebecca Schmidli, die in diesem Jahr ihren Abschluss machen. In den letzten Wochen in der behüteten Gemeinschaft der Steiner-Schule drehen sich ihre Gedanken um ihre Zukunft, die Verantwortung in der Gesellschaft aber auch Alltägliches, wie der ständige Streit zwischen Jungen und Mädchen in ihrer Klasse oder das Treffen mit Freunden und Freundinnen. Der Soundtrack dieser letzten Wochen ist die dramatische und schwere letzte Komposition von Mozart, die ihnen nicht nur Disziplin, sondern auch das Öffnen ihrer Seelen abverlangt.
Die drei vorgestellten Schüler, die in Interviews offen und
frei von ihren Gedanken erzählen, sind äußerst unterschiedliche
Charaktere. Wanja ist in Sri Lanka geboren und im Alter von drei
Wochen von einer Schweizer Familie adoptiert worden. Sie
ist in der linken Bewegung aktiv und hofft, die Gesellschaft der
reichen Schweiz von Kopf bis Fuß umkrempeln zu können.
Ein belustigtes Lachen entschlüpft einem im Kinosessel, wenn
Wanja ernsthaft feststellt, dies alles würde sicher nie ohne
Gewalt funktionieren, darüber sei sie sich mittlerweile im
Klaren.
Stefan ist ein Sportler und hat eher einen lockeren Lebensstil.
Er ist der Vermittler in den Streitigkeiten der Klasse und wird
manchmal als Opportunist bezeichnet.
Rebecca kommt aus einer gläubigen Familie und ist ein ruhiger
und engagierter Mensch. Schon früh bekam sie den Stempel "brav"
verpasst, der ihr gar nicht gefällt.
Der Dokumentarfilm nähert sich den Protagonisten auf vorsichtige
Weise. Kamera und Regisseur sind eher Begleiter denn Eindringlinge
in Wetzikon. Die Offenheit und Unverkrampftheit der Schüler
in den Interviews ist sicher der pädagogischen Ausbildung von
Christian Labhart zu verdanken. Er hat selbst sechs Jahre als Lehrer
gearbeitet und begegnet den Jugendlichen mit ehrlichem Interesse.
Doch alles ist von der Musik überdeckt. Die eindringlichen
Stücke werden zu grandiosen Landschaftsaufnahmen eingespielt,
in denen sich die jeweiligen Themen, wie "Tage des Zorns"
oder "Das ewige Licht" widerspiegeln. Diese Themen stehen
natürlich im Gegensatz zu der Gedankenwelt der Schüler,
dennoch fühlen sich die Sänger von der Musik und ihrem
Ausdruck berührt. Sie sprechen von der Kraft und der Freude,
dem sakralen und heiligen Gefühl. Und anstatt vor lauter Gefühlsäußerung
peinlich zu
werden, bringen die Bilder und die Musik diese Gefühle auch
dem Kinozuschauer nahe. Die große Leistung dieses Films liegt
gerade darin, die Offenheit der Jugendlichen nicht sentimental oder
lächerlich zu machen, sondern den verschiedenen Überlegungen
zu Schutzengeln, Glaube und Liebe den entsprechenden Ernst zu lassen
und nicht künstlich zu dramatisieren.
Christian Labhart will mit seiner Dokumentation die Gedanken und
das Bewusstsein der heutigen Jugend einfangen. Dies hat er getan,
allerdings sind die ausgewählten Jungen und Mädchen nicht
repräsentativ für alle deutschen und schweizerischen Jugendlichen.
Stefan, Wanja und Rebecca kommen aus wohlhabenden, bildungsnahen
Familien, die ihren Kindern alles bieten können. Sie sind frei
von finanziellen und schulischen Sorgen und haben bürgerliche
Werte wie Ehrgeiz und Strebsamkeit verinnerlicht. Kurz: Sie stehen
in der Gesellschaft über dem Durchschnitt und müssen nie
Angst haben, auf der Strecke zu bleiben.
Die hier gezeigte Normalität ist etwas schöner und besser
als sie andere Schüler aus ihrer Klasse gewohnt sind. Und obwohl
der Film interessant und abwechselungsreich geschnitten ist, fehlt
der natürliche Spannungsbogen, und daher bleibt "Zum Abschied
Mozart" am Ende erkenntnislos. Die ausgetragenen Konflikte
über den mangelnden Respekt der Jungs vor den Mädchen
verlaufen friedlich und freundlich. Auch die mehrfach angesprochene
Diskrepanz zwischen der Chorarbeit und dem Privatleben der Schüler
ist in den Interviews nicht wieder zu finden. Alle drei haben keine
Probleme sich in die Arbeit zu vertiefen und mögen das Requiem
sehr.
Zu loben ist, dass Christian Labhart einer so unbedeutend erscheinenden
Thematik sein ganzes Augenmerk widmet. Als Einblick in schulische
Chorarbeit könnte der Dokumentarfilm deutschen Institutionen
als Vorbild dienen. Wär' das was, liebe Bildungsministerien?
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