Am 9. Mai 2024 starb mit Roger Corman einer der ganz Großen des Kinos. Viele verbinden den Filmproduzenten und Regisseur heute in erster Linie mit der Produktion von B-Movies mit absurden Monstern, doch das tut dem Einfluss Cormans auf die Filmgeschichte Unrecht. Zwar produzierte Corman in seiner langen Laufbahn hunderte von Low-Budget-Produktionen, gab aber gerade in den 1960er und 1970er Jahren dadurch vielen heute berühmten Regisseuren und Schauspielern die entscheidende Starthilfe für deren Karriere. Francis Ford Coppola, Martin Scorsese, Jonathan Demme, Ron Howard, James Cameron, Peter Bogdanovich, Jack Nicholson, Robert de Niro und viele weitere verdanken Cormans Mut, junge Talente zu fördern, ihren Durchbruch.
Parallel dazu sorgte Corman auch dafür, dass viele internationale Independent-Produktionen überhaupt in die amerikanischen Kinos kamen. Seit Anfang der 1970er Jahre fokussierte sich Corman weitestgehend auf seine Rolle als Produzent und weigerte sich dabei stets mit allzu großen Budgets zu hantieren. Seiner Meinung nach sollten Filme so effektiv und simpel wie möglich produziert werden, da man mit größeren Summen ja doch nun wirklich etwas Vernünftigeres in der Welt anstellen könnte. Diese Meinung änderte sich auch nicht, als Mitte der 1970er Jahre in Hollywood die Blockbuster-Mentalität Einzug hielt. Kein Wunder, dass zukünftige Corman-Produktionen in diesem Umfeld nun einen immer stärkeren “B-Movie“-Touch versprühten.
Corman ist heute vor allem für die in dieser Zeit oft günstig produzierten Exploitation-Filme bekannt, seine aktive Zeit als Regisseur in 1950er und 1960er Jahren geht dabei aber leider etwas unter. Das möchten wir heute geraderücken und auf einen Film aufmerksam machen, der so gar nicht ins allgemeine Bild von Roger Corman passen möchte. Im Jahr 1962 schnappte sich Corman den damals noch relativ unbekannten William Shatner (vier Jahre vor dessen Rolle als Captain Kirk in “Raumschiff Enterprise“) und widmete sich mit “Weißer Terror“ (weniger reißerischer Originaltitel: The Intruder) einem für seine Verhältnisse überraschend politisch aufgeladenen Thema: den gesellschaftlichen Unruhen rund um die Aufhebung der Segregation in den amerikanischen Südstaaten. Das Ergebnis ist ganz starkes Kino mit teils erschreckenden Parallelen zu heutigen gesellschaftlichen Strömungen.
Basierend auf dem im Jahr 1959 von Charles Beaumont geschriebenen Roman “The Intruder“ folgen wir dem charismatischen Adam Cramer (William Shatner) auf seinem Weg in eine Kleinstadt im Süden der USA. Die staatlich verordnete Aufhebung der Rassentrennung erhitzt dort gerade die Gemüter und diese gefährliche Gemengelage möchte Cramer bei seinem Besuch nutzen, um die Bevölkerung durch gezieltes Aufhetzen aktiv gegen diese moderne Entwicklung auf die Barrikaden zu bringen. Den perfekten Anlass dafür bieten die Diskussionen um die lokale High School, auf der nun auch schwarze Schülerinnen und Schüler zugelassen werden sollen. Cramer versucht erst das Vertrauen der Bevölkerung zu gewinnen, um sie dann geschickt zum Ungehorsam anzustiften. Als die Lage zu eskalieren droht, versucht Tom McDaniel (Frank Maxwell), der Chefredakteur der örtlichen Zeitung, beschwichtigend einzugreifen – doch dafür scheint es nun schon zu spät zu sein.
Wie brandaktuell das Thema des Filmes damals war, verdeutlicht ein Blick auf dessen Produktionsgeschichte. Wie immer wollte Corman möglichst sparsam mit seinem Budget umgehen und heuerte viele örtliche Laiendarsteller für die Produktion an. Die Rolle eines schwarzen Schülers namens Joey, dem im Film später eine zentrale Bedeutung zukommt, besetzte er mit dem Footballspieler Charles Barnes von der lokalen High School. In genau dieser High School durften just in diesem Jahr dann tatsächlich zum ersten Mal schwarze Schülerinnen und Schüler unter Murren der Bevölkerung am Unterricht teilnehmen. Bei den Dreharbeiten wiederum war man Polizeischikanen und Aggressionen aus der Bevölkerung ausgesetzt, allerdings wohlgemerkt sowohl von weißen als auch schwarzen Gruppen. Aus diesem Grund entschied man sich dann auch dafür eine Szene, in der ein Autokonvoi mit Ku-Klux-Klan-Anhängern durch die Stadt fährt, auf den letzten Drehtag zu legen. Die Crew checkte davor aus dem Motel aus und verließ direkt nach dem Dreh der Szene schnell die Stadt.
Angesichts solch einer riskanten Thematik war es jetzt nicht wirklich überraschend, dass Corman, trotz vieler finanzieller Erfolge im Jahrzehnt davor, keine Geldgeber für den Film auftreiben konnte. So musste er für die Finanzierung schließlich eine Hypothek auf das eigene Haus aufnehmen. Für den dringend benötigten charismatischen Hauptdarsteller konnte er also nicht tief in die Taschen greifen, fand diesen aber in einem erfolgreichen Newcomer vom Broadway. William Shatner, heute als legendärer Captain Kirk aus “Raumschiff Enterprise“ im kollektiven Gedächtnis der Menschheit eingebrannt, hatte damals schon erste Serienerfahrung gesammelt und hoffte dank einer Nebenrolle im starbesetzten “Urteil von Nürnberg“ gerade auf seinen Durchbruch in Hollywood. Da war die Rolle als unsympathischer Hetzer jetzt nicht gerade die naheliegende Wahl in Sachen erfolgreicher Karriereplanung, fasziniert vom Drehbuch sagte er aber direkt zu.
Doch nicht nur Corman und Shatner agierten hier außerhalb ihrer Komfortzone, auch Buchautor Charles Beaumont, der auch das Drehbuch für den Film verfasste, war ursprünglich in einem anderen Genre unterwegs. Beaumont, der im Film eine kleine aber wichtige Nebenrolle als Schulleiter der örtlichen High School innehat, schrieb eigentlich Science-Fiction-Geschichten und war vor allem für seine Drehbücher zur Mystery-Serie “Twilight Zone“ bekannt. Warum all diese Hintergrundinformationen? Weil sich dahinter einer der Gründe für die Klasse dieses Films verbirgt. Allen drei Beteiligten lag das Thema so am Herzen, dass sie dafür vertraute und sichere Wege verließen, und solch eine Leidenschaft hinter der Kamera ist einfach eine richtig gute Voraussetzung für einen tollen Film. Aber natürlich keine Garantie.
Das “Weißer Terror“ so gut funktioniert liegt an vielen verdammt guten Entscheidungen. So nimmt sich der Film am Anfang die nötige Zeit, um Cramer sich erstmal langsam das Vertrauen der Bevölkerung erschleichen zu lassen. Was ihm angesichts deren gereizter Stimmung im Hinblick auf den Kurs der Regierung natürlich auch sehr leicht fällt. Trotzdem ist das schon wirklich gut gemacht, wie Cramer hier mit seiner verständnisvollen “Wir sind doch gute Freunde“-Mentalität die Stadtbewohner von sich überzeugt. Dabei nutzt er seine “charmanten“ Manipulationsfähigkeiten auch geschickt für private Belange, wenn er nebenher auch mal das Vertrauen des Zimmernachbarn im Hotel erschleicht, um sich an dessen Frau ranmachen zu können. Diese Szenen nehmen dann schnell eine dunklere Wendung und sorgen für eine intensive und teils bedrückende Atmosphäre.
Doch “Weißer Terror“ geht es weniger um ein Charakterportrait von Cramer, auch wenn die Motive für sein Verhalten später angedeutet werden. Im Zentrum steht viel mehr die Gefahr, die von solch einem doppelzüngigen Brandbeschleuniger für eine zutiefst gespaltene Gesellschaft ausgeht. So wird die Stadt immer mehr zum Pulverfass für seine schwarzen Bewohner, was Roger Corman in Sachen Atmosphäre sehr eindrücklich auf die Leinwand bringt. Dass er dabei auf ein niedriges Budget zurückgriff und vor Ort auch mit allerlei Widrigkeiten arbeiten musste sieht man dem Film kaum an. So wurde die Schlusssequenz an der High School an drei verschiedenen Orten gedreht, da man sich immer wieder Platzverweise von der Polizei einhandelte. Im fertigen Film ist davon nur bei genauem Hinschauen etwas zu erahnen, schließlich war Corman natürlich gerade bei solch typischen Low-Budget-Herausforderungen mit allen Wassern gewaschen.
Dass Corman auf Effektivität viel Wert liegt ist bei manchen etwas sehr kurz wirkenden Szenen zu spüren, denen gefühlt ein klein wenig mehr Fleisch gut getan hätte. Hier und da übertreibt er es auch ein wenig mit dem Einsatz dramatisierender Musik. Doch über weite Strecken gelingt Corman eine wirklich packende Inszenierung und für die richtig wichtigen Szenen nimmt er sich dann auch die nötige Zeit. Gerade der Marsch schwarzer Studenten durch die ihnen feindselig gestimmte Stadt hin zur Highschool sorgt für ein starkes Kribbeln, genauso wie der besagte Autokonvoi durch die Innenstadt oder das große Finale, bei dem der schwarze Student Joey sich mit einem wütend Mob konfrontiert sieht.
Richtig an die Nieren geht aber eine große nächtliche Hassrede von Cramer, in der dieser die Bevölkerung zur Rebellion aufruft. Wie Cramer hier gezielt Hass schürt, dabei Einwände schnell mit “Ich habe dafür Beweise, aber die muss man gar nicht erst hinterfragen“ abwiegelt, nebenher eine von Juden angeführte Verschwörung ins Spiel bringt und die Freiheit wahrer Amerikaner gefährdet sieht, all das lässt einen ziemlich nachdenklich offensichtliche Parallelen zu Phänomenen in unserer heutigen Gesellschaft ziehen. Und das macht die ganze Sache nur noch umso bedrückender.
William Shatner ist dabei so gut in der Rolle, dass es nie irgendwelche Zweifel gibt, warum die Leute sich von ihm so leicht aufwiegeln lassen. Shatner ist hier in Sachen Charisma in absoluter Höchstform und schafft es perfekt sein Lächeln im gleichen Moment genauso unschuldig wie gefährlich wirken zu lassen. Dass viele seiner Kolleginnen und Kollegen Laiendarsteller sind spürt man zwar in einigen Szenen, doch diese Dosis Realität tut dem Film mehr gut als das sie schadet. Frank Maxwell macht als Cramers Gegenspieler seine Sache ebenfalls richtig gut und profitiert dabei auch von einer weiteren cleveren Drehbuchentscheidung. Anstatt seinem Tom McDaniel eine klassische Heldenrolle zu verpassen durchläuft dieser im Film eine interessante Lernkurve, denn noch zu Beginn ist er eigentlich ebenfalls gegen die Aufhebung der Rassentrennung.
So macht man es sich in “Weißer Terror“ tatsächlich nicht einfach und entwirft einfach nur schablonenhafte Figuren. Selbst Cramer steht am Ende vor einer überraschenden Selbsterkenntnis, als er nämlich realisiert, dass er die Büchse der Pandora doch nicht so kontrollieren kann wie er glaubte. Die beste Szene des Films fällt aber dann McDaniels Ehefrau zu, die trotz ihrer eigenen und sehr eindeutigen persönlichen Haltung nachher versucht die Position ihres Mannes zumindest zu verstehen. Womit wir dann auch schon zum fast etwas zu versöhnlich wirkenden Finale des Filmes kommen. Aber auch wenn die Auflösung des Geschehens hier am Ende vielleicht nicht so ganz realistisch und etwas konstruiert wirkt, die Botschaft heiligt in diesem Fall tatsächlich die Mittel. Genauso wie man damals im Film die Hoffnung auf eine zumindest halbwegs zur Einsicht kommende Gesellschaft nicht aufgeben wollte, sollten wir es bei der Tendenz zur Spaltung unserer Gesellschaft in unserer heutigen Zeit ebenfalls nicht tun.
Mehr als 60 Jahre später ist Roger Cormans “Weißer Terror“ auf jeden Fall ein eindringlicher Appell an die Vernunft und eine Warnung vor einem weiteren Auseinanderdriften unserer Gesellschaft. Und es ist definitiv kein “B-Movie“, sondern eine echte Filmperle der 1960er Jahre. An der Kinokasse hatte der Film damals leider keinen Erfolg und war der bis dahin einzige Film von Roger Corman, der je Verlust gemacht hatte. Mehr als 40 Jahre später konnte das Werk dank eines neuen DVD-Releases aber die Verluste wieder ausmerzen. Ach, es wäre doch schön dies als Zeichen dafür nehmen zu können, dass am Ende doch alles wieder irgendwie gut wird. Vielleicht wäre ja ein erster Anfang damit gemacht, dass einfach mehr Leute diesen großartigen Film sehen. Vielen Dank und mach es gut, Roger!
"Weißer Terror" ist aktuell als DVD auf Amazon verfügbar. Alternativ ist er aktuell aber auch im englischen Original auf Youtube zu finden.
Trailer des Films
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