Dies ist die Geschichte von Ophelia, genannt O (Blake Lively). Zumindest ist sie es, die uns die Ereignisse schildert, die zu einem erbitterten Drogenkrieg im Grenzgebiet zwischen Kalifornien und Mexiko führen. O führt eine Dreierbeziehung mit dem charismatischen, harten Ex-Soldaten Chon (Taylor Kitsch aus „John Carter“ und „Battleship“) und dessen Freund und Partner, dem sensiblen Ben (Aaron Taylor-Johnson aus „Kick-Ass“). Die beiden jungen Männer haben sich in wenigen Jahren ein florierendes Geschäft mit dem Handel von Marihuana aufgebaut, welches sie über Chons Kontakte in seinen früheren Einsatzort Afghanistan besorgen. Das sonnige und von der Polizei unbehelligte Leben sichert ihnen der korrupte Drogenfahnder Dennis (John Travolta), doch damit ist es urplötzlich vorbei als den Beiden ein Drohvideo des regional herrschenden mexikanischen Drogenkartells zugespielt wird. Dort wird ihnen unmissverständlich deutlich gemacht, welche Folgen es haben würde, wenn sie sich nicht auf eine Zusammenarbeit mit ihren neuen „Partnern“ einlassen. Während der ängstliche Ben sofort klein beigeben möchte, ist Chon nicht bereit sich einschüchtern zu lassen. Die Situation eskaliert, als die Chefin des Kartells (Salma Hayek) schließlich O von ihrem Handlanger Lado (Benicio Del Toro) entführen lässt. Zwischen den Kontrahenten entwickelt sich daraufhin ein trickreiches Psycho-Duell auf Leben und Tod.
„Wild“ ist er tatsächlich geworden, der Film über eine Handvoll Menschen auf der Suche nach ihrem persönlichen Lebensglück bzw. nach Erlösung. Und das ist ein gutes Zeichen, fehlte doch den letzten Werken des lange Jahre immer für einen Aufreger und ein paar Provokationen guten Oliver Stone irgendwie der richtige Biss, der seine früheren Arbeiten stets auszeichnete. Sowohl seine Betrachtung des 11. September-Traumas in „World Trade Center“ als auch die erstaunlich blutleer geratene „Wall Street“-Fortsetzung ließen den Verdacht aufkommen, dass ein „milder“ Oliver Stone anscheinend nicht besonders viel zu erzählen hat und sein Herzblut offensichtlich in den letzten Jahren vorrangig in die Dokumentationen über Fidel Castro und Hugo Chavez investierte.
Die Prämisse von „Savages“ klingt auch erstmal nicht nach einem „großen Film“, der sich etwa mit US-Präsidenten oder dem Vietnamkrieg beschäftigt. Eher erinnern die Story und das Setting in der flirrenden Wüstenhitze an einen der unbekannteren Stone-Filme, den oft unterschätzten kleinen Thriller „U-Turn“, der bereits vieles von dem schrägen Stoff beinhaltete, den ein Quentin Tarantino dann kurz darauf zur Marke machen sollte. Apropos „Stoff“: So brutal und mörderisch hier von den Protagonisten vorgegangen wird, so harmlos ist eigentlich die Droge um die es geht. Denn „Marihuana hat meines Wissens noch niemanden umgebracht“ erzählte uns der Filmemacher höchstpersönlich im Interview, und die Entscheidung die beiden jungen Lebemänner lediglich damit handeln zu lassen, hilft allemal dabei sie etwas leichter zu Sympathieträgern und Identifikationsfiguren fürs Publikum zu machen. Auch wenn die beiden samt gemeinsamer Geliebten dann doch etwas zu cool und schön daherkommen um speziell für Letzeres zu taugen.
Dass die Figuren hier allesamt mitunter überlebensgroß wirken, ist aber dadurch zu erklären, dass wir sie schließlich aus der Sicht von Ophelia geschildert bekommen und diese nicht immer verlässliche Erzählerin neigt halt mitunter dazu, das Ganze so zu färben und zu schildern wie sie es selbst für passend hält. Dieses Stilmittel erlaubt es dem Regisseur somit recht hemmungslos zu überzeichnen, seine Charaktere phasenweise wie Mythen wirken zu lassen und die Sonnenaufgänge noch etwas poetischer ausschauen zu lassen als sie es in dieser Gegend ohnehin schon tun.
Dazu gehört auch und vor allem die Figur von Salma Hayek, die hier extrem gegen den Strich besetzt ist, denn wie sie als unumstrittene Clanchefin ohne mit der Wimper zu zucken die Konkurrenz gleich im halben Dutzend enthaupten lässt, gleichzeitig aber wiederum besorgte Mutter und verständnisvolle Freundin ist, das hat man so von dieser Schauspielerin auch noch nicht gesehen. Gleichzeitig gibt es dann aber wieder ganz andere Figuren, die sich eher würdelos und schleimig benehmen, was sowohl auf den ziemlich eklig angelegten Killer Lado von Benicio del Toro als auch für den fast schon wieder typisch lässigen und schwatzhaften Travolta-Charakter zutrifft.
Zwischen dem Bemühen um durchaus glaubhaften Realismus (wie zum Beispiel den Import von Drogen durch in Afghanistan stationierte US-Soldaten) und der Erhöhung auf eine bewusst künstlich wirkende Erzählweise lässt sich letztendlich keine Einheit herstellen und diese Unausgewogenheit mag den Einen oder Anderen stören. Es ist aber kaum zu bestreiten, dass der Film ungemein wirkungsvoll und vor allem auch außerordentlich spannend geworden ist Die Geschichte ist Stone und seinen Co-Autoren so packend geraten wie es vielleicht seit „JFK" nicht mehr der Fall war und niemand wird schon mit Sicherheit in der Mitte des Films sagen können wie das Ganze denn wohl ausgehen wird (und einige werden sich da auch nach dem Abspann noch nicht ganz sicher sein, was an einem weiteren, ziemlich cleveren Kunstgriff des Filmemachers liegt).
Da es zudem auch an einprägsamen und aufregenden Bildern nicht mangelt, lässt sich das Fazit ziehen, dass der zunächst etwas unscheinbar daherkommende „Savages“ zweifellos der kraftvollste und stärkste Oliver Stone-Film seit vielen Jahren ist. Und somit eine der erfreulichen Überraschungen der Saison.
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