
Ein Film beginnt mit dem Oneliner "Beruhend auf wahren Begebenheiten". Das kann das Folgende durchaus von Vornherein schon mal ins Lächerliche ziehen, erst recht, wenn es sich bei jenem Folgenden um einen Exorzismus-Thriller handelt. Was manch einer aber vielleicht nicht weiß: Exorzismus-Rituale sind keine historischen Schauermärchen, die Filmemacher seit Jahrzehnten zu Grusel-Geschichten inspirieren, sondern finden selbst heutzutage noch ihre Anwendung. Vermutlich ohne Brechreiz und verdrehte Köpfe, dafür aber nach festen Richtlinien, die genau festlegen, wann und wie ein Exorzismus durchzuführen ist. Im vergangenen November berichtete die New York Times über eine Exorzismus-Konferenz in den Vereinigten Staaten, die Mikael Hafströms "The Rite" glatt als Aufhänger gedient haben könnte.
"In meiner Familie wird man Leichenbestatter oder Priester", sagt der Highschool-Absolvent Michael (Colin O'Donoghue) resigniert, während er in einer heruntergekommenen Kleinstadt-Fabrikhalle einen Sandsack mit Schlägen malträtiert. Da ihm die Arbeit an toten Menschen, bei der er seinem verwitweten Vater unter die Arme greift, nicht zusagt, bleibt nur noch ein Berufsziel übrig. Vier Jahre später ist Michael ein ausgebildeter Priester, der noch am Tage seiner Ordination eine Mail verschickt: Das Priesteramt sei nicht das Richtige für ihn. Bevor er alles über den Haufen wirft, wird Michael jedoch zu einem zweimonatigen Exorzismus-Seminar nach Rom geschickt. Gerade in den USA bestehe ein akuter Mangel an ausgebildeten Exorzisten und Michael erscheine geeignet dafür.
In Rom lernt er zwar die hübsche Journalistin Angeline (Alice Braga) kennen, den Glauben an Gott findet "der Amerikaner" aber auch dort nicht. Als letzte Lösung wird Michael zu einem Besuch bei Father Lucas (Anthony Hopkins) verdonnert, der mit seinen "unorthodoxen Methoden" bereits über eintausend Exorzismen durchgeführt haben soll. Doch selbst als er einen Exorzismus hautnah miterleben darf und die Beweislast für die Existenz höherer Mächte erdrückend wird, rückt Michael nicht von seinem Unglauben ab. Als es jedoch zu einem tödlichen Unglück kommt, der Teufel es auf ihn selbst abgesehen zu haben scheint und Michael die ultimative Prüfung bevorsteht, scheint er endlich zum "rechten Glauben" zu finden.
Wenn Menschen plötzlich in fremden Sprachen reden, ungeahnte Kräfte entwickeln, eine höllische Angst vor geweihtem Wasser an den Tag legen und sich selbst verletzen - dann ist es an der Zeit, einen vernünftigen Arzt oder Psychiater aufzusuchen. Wenn auch das nicht hilft, schlägt die Stunde des Exorzisten. Sagen die offiziellen Richtlinien des Vatikans in Sachen Teufelsaustreibung. Daran orientierte sich ganz offenbar der Journalist Matt Baglio, der 2009 das Buch "The Rite: The Making of a Modern Exorcist" veröffentlichte, welches kurz darauf diesem Film zu Grunde gelegt wurde.
Übertriebenen Hokuspokus gibt es beim schwedischen Regisseur Mikael Hafström, dessen Film "Evil" 2004 für den Auslands-Oscar nominiert wurde, ebenso wenig wie blutige Ekel-Effekte, um sich bei gewissen Publikumsschichten anzubiedern. Niemanden zerfetzt es hier in tausend Teile, niemand richtet sich selbst, niemand wird auf unsagbar böse Weise mit zweckentfremdeten Gegenständen entstellt. Mit etwas gutem Willen ließen sich die meisten Ereignisse, Prophezeiungen und Handlungen hier noch unter "Halluzinationen", "Zufallstreffer" und "verhaltensauffällige Störungen" verbuchen. Wer einmal "X-Factor - Das Unfassbare" gesehen hat, weiß, wie schmal der "Grat zwischen Wahrheit und Fiktion" ist und was sich angeblich schon so alles (vor allem in den USA) "so oder so ähnlich" zugetragen haben soll.
Aber letztlich werden hier Dämonen, die Besitz von armen Seelen ergreifen, schon recht eindeutig als zu akzeptierendes Faktum dargestellt. Man kann das entweder frühzeitig akzeptieren oder es mit Michael halten und es so lange wie möglich abstreiten. In jedem Fall ist hier der Punkt erreicht, an dem die "wahren Begebenheiten" nicht mehr sind als ein bloßes Gimmick. Jene Filmszene-Leser mit überstandener oder praktizierter Teufelsaustreibung mögen diese Aussage verzeihen.
Mikael Hafström erzählt seine Exorzismus-Geschichte eher altmodisch, also ohne irgendwelche ironischen Untertöne und mehr in einem Drama denn einem Horrorfilm verpackt. Was natürlich nicht heißen soll, dass es sie nicht gibt, die Spannungsmomente, und zwar immer dann, wenn Sir Anthony Hopkins ans Werk geht und mit beschwörerischen Worten einem Dämon zu Leibe rückt. Der Horror ist dabei aber eher psychologischer Natur. Was insbesondere der bemitleidenswerte Michael des Öfteren zu spüren bekommt, wenn fiese Dämonen ihre Psycho-Spielchen mit ihm treiben.
Doch auch wenn die Austreibungs-Szenen packend inszeniert sind, so kommt die ganz große Spannung nicht auf. Zwar sterben wichtige Personen, doch richtig greifbar wird die Gefahr, in der sich Michael (und später auch die Journalistin) befinden (sollen), nicht. Da behauptet die unheilschwangere Musik dann mehr als die Story-Konstellation hergibt. Lediglich im großen Finale geht es einigermaßen zur Sache.
Eventuell ist es das ja auch gar nicht, was Hafström im Sinn hatte. Ein Großteil der Handlung konzentriert sich auf Michaels Suche nach Gott (deren Ergebnis Cineasten, die das Ende von Filmen wie "The Book of Eli" nicht mochten, sauer aufstoßen könnte). Der wurde zwar zum Priester ausgebildet, hat Teufelsaustreibungen beigewohnt, bei denen eine schwangere Minderjährige Nägel spuckt, mag aber trotzdem nicht so recht an den Kollegen da oben glauben. Während dieser lange Weg der Bekehrung selbst schon keine Überraschungen bereit hält und ab einem gewissen Zeitpunkt an Glaubwürdigkeitsproblemen leidet, stellt sich auch noch ein ganz anderes Problem heraus: Colin O'Donoghue, der vom Theater kommt und in einigen TV-Serien ("The Tudors") mitgespielt hat, ist einfach zu ausdrucksschwach, um diesen Film als Hauptdarsteller, der er entgegen mancher Vermarktungs-Strategien nun einmal ist, tragen zu können. Während er seinen ersten Exorzismus live miterlebt, schaut Michael in etwa so, als würde er sich gerade ganz entspannt eine Dauerwerbesendung im Nachtprogramm von Eurosport reinziehen.
Anthony Hopkins, der demnächst als Göttervater Odin auf die Leinwand kommt, ist da selbstverständlich ein ganz anderes Kaliber und läuft - ohne zu viel verraten zu wollen - speziell gegen Ende zu Hochform auf. Alice Braga ist kaum mehr als schmückendes Beiwerk, ihre Figur spielt keine tragende Rolle.
"The Rite" verfügt weder über originelle Ansätze noch ist er fürchterlich dumm. Stattdessen bietet er - auch in den entscheidenden Szenen - viele Momente der Marke "Schon mal gesehen, kann man so aber durchgehen lassen". Über den Großteil der Zeit verfolgt man das Geschehen mäßig interessiert, selten gelangweilt, selten wirklich elektrisiert. Spannungsmomente sind wohl dosiert und dabei weder allzu abgegriffen noch sonderlich einfallsreich. Den Film zu empfehlen würde ihm genau so wenig gerecht werden wie davon abzuraten. Also lautet die Lösung für alle Genre-Fans wieder einmal: Daheim auf der Couch ist man mit diesem grundsoliden, unspektakulären, risikoarmen Film am Besten aufgehoben.
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