Leave the World Behind

Land
Jahr
2023
Laufzeit
138 min
Genre
Regie
Release Date
Streaming
Bewertung
4
4/10
von Matthias Kastl / 5. Dezember 2023

Mit “Leave the World Behind“ präsentiert uns die von Barack und Michelle Obama ins Leben gerufene Produktionsfirma Higher Ground Productions, die nach ihrer Gründung 2018 direkt eine enge Partnerschaft mit Netflix einging, nach diversen Dokumentationen nun ihren ersten Spielfilm. Nicht völlig überraschend hat der natürlich ein paar mahnende Worte zum aktuellen Zustand der US-Gesellschaft im Gepäck, stellt sich bei der Überbringung der Botschaft aber dank unglaubwürdiger Figuren und einer teils zu selbstverliebten Inszenierung leider selbst ein Bein.  

Auf die US-Gesellschaft und ihre Mitmenschen ist Amanda (Julia Roberts, “Erin Brockovich“, “Hautnah“) nicht gut zu sprechen. Um mal kräftig durchzuatmen bucht sie darum über eine Internet-Plattform ein Luxus-Ferienhäuschen fürs Wochenende. Zusammen mit ihrem Mann Clay (Ethan Hawke, “Boyhood“, “Training Day“) und den beiden Kindern Rosie (Farrah Mackenzie) und Archie (Charlie Evans) möchte sie sich dort eigentlich ein paar entspannte Tage machen, doch in der ersten Nacht stehen gleich einmal George (Mahershala Ali, “Moonlight“, “The Place Beyond The Pines“) und dessen Tochter Ruth (Myha'la Herrold) vor der Tür.


Die beiden stellen sich als eigentliche Eigentümer des Hauses vor, die nun gerne für eine Nacht um Asyl bitten möchten. Clay stimmt sehr zum Missmut von Amanda zu, der das Verhalten und die Begründung der beiden Gäste doch reichlich merkwürdig vorkommt. Als wenig später aber die komplette Telekommunikation des Landes zusammenbricht, erweist sich, dass ein paar unerwartete Besucher jetzt eigentlich das kleinste Problem sein sollten.

Spätesten wenn nach nicht einmal einer halben Stunde ein Öltanker führungslos auf einen Strand zusteuert wird klar, dass unseren Protagonisten hier apokalyptische Zustände drohen. Doch abgesehen von dieser Szene bleibt das für diese Genre oft so typische große Effektfeuerwerk aus. Stattdessen spielt sich die Handlung fast nur im besagten Luxushaus ab und Neuigkeiten über die Entwicklungen im Rest des Landes tröpfeln dabei nur spärlich in den Mikrokosmos unserer Figuren. Klingt erst mal nach einem spannenden Ansatz, genau wie die Besetzung des Regiepostens des Filmes. Mit Sam Esmail hat man sich nämlich den Showrunner von “Mr. Robot“ an Bord geholt, der dort ja bereits erfolgreich gezeigt hat, dass er den Mix aus Thriller-Elementen und einer möglichen globalen Katastrophe gut hinbekommt. Umso ärgerlicher, dass man angesichts des misslungenen Ergebnisses hier am Ende dann doch relativ eindeutig mit dem Finger auf ihn zeigen kann.


Esmail hat hier nämlich nicht nur die Regie übernommen, sondern auch zusammen mit dem Autor der Buchvorlage das Drehbuch entworfen. Und genau dieses Ergebnis ist mehr als ärgerlich, kommt doch so gut wie keine der Figuren auch nur irgendwie glaubwürdig und in sich schlüssig daher. Am frustrierendsten ist dabei die Tatsache, dass viele der Protagonisten hier andauernd wichtige Informationen verheimlichen. Und zwar nicht, weil das irgendwie Sinn ergeben würde, sondern weil sonst der Film nach fünf Minuten wohl schon vorbei wäre. Diese unglaublich künstliche Art der Konfliktgenerierung ist in dieser geballten Form hier teils nur schwer zu ertragen geschweige denn ernstzunehmen. Das trifft vor allem auf George und Ruth zu, von denen sich vor allem letztere von Anfang an möglichst viel Mühe gibt so zickig wie möglich aufzutreten, während ihr Vater mit seiner Schweigehaltung ebenfalls genau das Gegenteil von dem erreicht, was er eigentlich möchte (Vertrauen).

Auch die von Julia Roberts gespielte Amanda ist kaum zu greifen, wechselt deren Gemütszustand doch stets völlig unmotiviert zwischen selbstbewusstem Draufgängertum und ängstlicher Blockade hin und her. Und dann startet Amanda später sogar einen Flirt, der aufgrund der vorherigen Ereignisse nun wirklich vollkommen aus der Luft gegriffen ist. Rosie gibt derweil erst das trotzig-naive Kind, bis sie sich dann plötzlich als leidenschaftlicher “West Wing“-Fan outet – aber natürlich nur von den Folgen von Aaron Sorkin. Hier spricht nicht eine glaubwürdige Figur zum Publikum, sondern Drehbuchautoren, die möglichst clever klingen möchten. Das Ergebnis ist leider ein anderes, denn vieles fühlt sich stattdessen einfach nur hohl und irgendwie fake an. Und das macht es dann nahezu unmöglich sich auf das ja eigentlich spannende Szenario irgendwie einzulassen.


Leider hört die Kritik an Esmail aber bei der Story nicht auf. Denn auch als Regisseur schlägt er sich nur bedingt erfolgreich. Zugegeben, es gelingen ihm einige atmosphärisch dichte Momente, gerade im Zusammenspiel mit dem wirklich gelungenen Setdesign. Aber dann wirft er auch immer wieder irritierende Sequenzen ein, in denen eine viel zu schnelle Kameraführung eher ruhige Momente emotional geradezu sabotiert. Auch dass die Kamera sich teils immer wieder um die eigene Achse dreht oder gar in einem 90-Grad-Winkel verharrt, wirkt eher unnötig effekthascherisch als wirklich clever. Dazu gesellt sich beim Soundtrack ein wilder Mix aus unterschiedlichen Musikgattungen, der auch zu gewollt irritierend wirkt. Klar, man möchte hier natürlich absichtlich verstören, um den zerrissenen Zustand der amerikanischen Gesellschaft widerzuspiegeln. Aber all das wirkt so aufgesetzt und eben leider eher übertrieben prätentiös als wirklich effektiv. Vermutlich aber eben auch gerade weil die Figuren und das Geschehen an sich schon so konstruiert und künstlich gezwungen daherkommen und man darum eher innerlich dagegen rebelliert, wenn alles noch weiter künstlich überhöht werden soll.     

Leidtragende dieser Probleme sind vor allem die Darsteller und Darstellerinnen, von denen sich wirklich alle spürbar Mühe geben. Roberts wirft sich mit voller Energie in die Rolle, Ethan Hawke gibt wie so oft den sympathischen Normalo und Mahershala Ali den charismatischen Undurchschaubaren. Aber gegen ein solch schlampig geschriebenes Drehbuch sind halt leider auch sie dann machtlos. Hauptleidtragende ist aber vor allem die starke Grundidee, die nur in ganz wenigen Momenten ihr Potential zumindest mal andeuten kann.

So verpufft dann auch die eigentlich gelungene Schlusseinstellung und die im Film etwas zu gut versteckte Botschaft, dass die amerikanische Gesellschaft doch bitte möglichst schnell wieder enger zusammenrücken sollte. Nein, zum Nachdenken regt “Leave the World Behind“ am Ende leider nicht an, und so müssen auch die Obamas einsehen, dass nicht alles was sie anfassen gleich zu Gold wird.

Bilder: Copyright

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