Es gibt Dinge, die vergisst man sein Leben lang nicht. Die erste große Liebe gehört ganz sicher dazu. Schon allein deshalb besitzt "La Boum" einen ewigen Stammplatz in meinem Herzen: Ich war kaum zehn Jahre alt, als ich den Film und seine Fortsetzung das erste Mal im Fernsehen sah, und danach stand für mich eins unumstößlich fest: Sophie Marceau ist das schönste Mädchen der Welt. Es wird nie eine andere neben ihr geben.
Seitdem ist viel Wasser die Seine runtergeflossen, und das Bekenntnis zur ersten großen Film-Liebe geschieht nur noch mit einem ironischen Lächeln. Aber manchmal, wenn man mit gleichgesinnten Altersgenossen über die gute alte Zeit sinniert, findet man beizeiten ganz unverhofft ein verständnisvolles Leuchten in den Augen des Gegenübers, wenn die Sprache auf Kultfilme der eigenen Kindheit kommt und man sich mutig zu den Abenteuern von Vic Beretton bekennt. Man ist und war in der Pubertät eben doch nicht so alleine, wie man glaubte. Weder was die Probleme, noch was die Vorlieben betrifft.
In der Tat gehört "La Boum", der erfolgreichste europäische Teenager-Film seines Jahrzehnts, zu einer typischen Jugend in den 80ern wie der "Breakfast Club" oder "Dirty Dancing". Gemein mit diesen beiden hatte er einen immens prägnanten Titelsong, Richie Sandersons "Reality", der sich zu einem der größten Schmusepop-Dauerbrenner überhaupt entwickelte. Im Gegensatz zu diesen und den meisten Teenie-Filmen aus amerikanischer Produktion erreicht "La Boum" allerdings einen beeindruckenden Grad an authentischem Realismus, versucht wahres Verständnis für die kleinen Sorgen und Wehwehchen der geplagten Teenager-Seele aufzubringen, und sorgt so dafür, dass die alles entscheidende Identifikation weit tiefer geht als das "Ich wär so gern wie du", welches man gutaussehenden, amerikanischen Highschool-Helden und Schönheiten im Kino entgegen bringt: Jung sein in "La Boum" war genauso verwirrend, banal, großartig, doof, aufregend und langweilig wie in Wirklichkeit, und schon allein deswegen erreichte der Film einen Sympathiewert beim Publikum, um den sich kalkulierte Produktionen aus Amerika vergeblich bemühen.
Ganz ähnlich wie bei heutigen Teenager-Aufregern wie "American Pie" war allerdings zunächst die öffentliche (sprich: erwachsene) Reaktion bei Veröffentlichung: Skandal und Sittenverfall wurden ausgerufen, als man gerade mal 13-jährigen "Kindern" dabei zusah, wie sie sich neugierig beschnupperten, zusammen Steh-Blues tanzten, knutschten und sogar (Schreck lass nach!) ernsthaft über den ersten Sex nachdachten. Man sieht, Anfang der 80er war die Welt noch naiv und in Ordnung, und selbst die frühreife Jugend nur halb so weit, wie es die Teenager heute sind.
Dabei setzt die Handlung von "La Boum" schon bezeichnenderweise mit dem Umzug von Familie Beretton nach Paris ein, in die das ganze Land dominierende Großstadt, wo alles ein bisschen schneller geht und man alles ein bisschen früher ausprobiert. Während Vater Francois seiner stressigen Zahnarzt-Karriere nachgeht und Mutter Francoise erste erfolgreiche Schritte als professionelle Zeichnerin macht, beginnen für ihre Tochter Vic entsprechend plötzlich die großen Wirren der Pubertät. Da gibt es auf einmal richtig süße Jungs in der Schule, und die schmeißen auch noch Partys, wo es noch mehr süße Jungs gibt. Einer von ihnen heißt Mathieu und wird Vics erste große Liebe, für die sich die verzweifelte 13-jährige in mehr als ein Abenteuer stürzt.
Die sich parallel entfaltende Handlung um die zunehmenden Eheprobleme von Vics Eltern, die schließlich in einer zeitweisen Trennung resultieren, gerät da schnell zum leisen Begleitwerk. Obwohl die erwachsenen Darsteller Claude Brasseur und Brigitte Fossey die prominenten Zugpferde für "La Boum" waren und es dem Film (ebenso wie seinem Nachfolger) hoch angerechnet werden muss, dass er im Gegensatz zu fast allen anderen Teenager-Filmen die Eltern nicht zu Statisten verkommen lässt, sondern ihnen ihre eigene Geschichte gönnt: Ab der ersten Minute gehört "La Boum" Sophie Marceau und ihren jugendlichen Freunden, sind es die ewigen hochtragischen Sinnkrisen der emotional schwer aufgewühlten Vic, die den Film ausmachen und ihn so liebenswert authentisch wirken lassen.
Dabei ist Vic aus einer halbwegs erwachsenen Perspektive betrachtet ein quengeliger, verzogener Teenager aller erster Güte: Jede Krise führt direkt zu dramatischen Heul-Orgien, Eltern sind grundsätzlich doof und im Weg, behandeln einen einerseits immer noch wie ein Baby, sind andererseits aber nie für einen da; geben zuerst nicht die Freiheiten, die man will, und dann nicht die Zuneigung, die man braucht. Da ist es einfach tausendmal wichtiger, was die beste Freundin zur Party morgen anziehen will, als dass der Vater pünktlich Abendbrot bekommt. Doch seien wir ehrlich mit und selbst: Damals, mit 13, waren wir doch alle so. Und genau darum kommt einem Vics einseitige, selbstfixierte Weltsicht ganz vertraut und bekannt vor, erntet jede rotzige Antwort gegenüber sich ständig einmischenden Eltern und jeder überzogene Ausraster wegen irgendwelchen Verboten und Erziehungsmaßnahmen ein verständnisvolles, mitfühlendes Lächeln. "La Boum" bietet eine erfrischend echte Portraitierung der Pubertät in ihrer schlimmsten Form, wo überlebensgroße emotionale Verwirrungen den Sprung vom höchsten Glück zur größten Tragödie zu einem kleinen Hopser reduzieren. Die gefühlsmäßige Wankelmütigkeit dieser Zeit wird schließlich in der wortlosen, kongenialen Schlusseinstellung des Films eingefangen: Gerade erst endlich mit ihrem angebeteten Mathieu vereint, verguckt sich Vic auf einer Party in Sekundenschnelle in einen anderen Jungen, und sinkt mit aller glücklichen Sehnsucht der Welt in den Augen in seine Arme.
Spätestens hier ist dann auch klar, dass Authentizität und Wirkung des Films maßgeblich der enormen Natürlichkeit und Kraft von Sophie Marceaus Vorstellung zu verdanken sind: Sie liebt und lacht, leidet und weint so überzeugend, intensiv und mitreißend, dass es kaum verwundert, dass sie binnen kürzester Zeit zum größten Teenie-Idol des Kontinents aufstieg, für ebenso viele Mädchen zur Identifikationsfigur wurde wie für Jungs zum großen Schwarm.
Der immense Erfolg des Films und die internationale Popularität seiner Hauptdarstellerin (riesige Fan-Gemeinden bildeten sich nicht nur in Italien, Deutschland und Österreich, sondern sogar in Japan) sorgten sehr rasch für eine Fortsetzung. Die konzentrierte sich merklich auf Vic, schob ihre Clique in den Hintergrund und gönnte lediglich den Eltern und diesmal auch der famosen Denise Grey in der Rolle von Vics vital-frivoler Ur-Großmutter Poupette einen eigenen Subplot. Obwohl die Fortsetzung im Groben das Konzept von Teil Eins wiederholte - auch hier bestimmt eine neue große Liebe (diesmal 80er-Schönling Pierre Cosso als Philippe) Vics Leben, und zentrale Ereignisse geschehen auf Partys -, entwickelte sich Vic als Teenager konsequent weiter, hat mit nun 15 Jahren schon viele wichtige Lektionen gelernt und die Naivität aus Teil Eins größtenteils abgelegt. In "La Boum 2" geht es dann auch schon ein bisschen ums Erwachsen werden und reife Entscheidungen treffen, um die wirkliche große Liebe und nicht irgendeine Schwärmerei, die man dafür hält. Mit einer Mischung aus halberwachsener Abgeklärtheit und aufrechterhaltenem Romantik-Idealismus traf Vics Charakterisierung (von Drehbuchautorin Danièle Thompson nach ihrer eigenen Teenager-Tochter modelliert) erneut zielgenau den Geist ihrer Alterklasse, gepaart mit Sophie Marceaus anhaltender Star-Rolle genügte das für einen ähnlich großen Erfolg wie bei Teil Eins.
Wie es danach weiter ging - nicht so sehr mit Sophie Marceau, sondern mit allen Mitgliedern der Clique - erzählt eine sehr interessante und überraschend selbstkritische Dokumentation, die das Herzstück der Bonus-Disc im "La Boum"-DVD-Set bildet. 20 Jahre danach lässt man hier mit ausgiebigen Interviews mit Darstellern und Machern die Entstehung und Produktion der Filme noch einmal Revue passieren. Im Gegensatz zu den glattgebügelten Making-Ofs auf den meisten anderen DVDs erschöpft sich dieser Rückblick aber nicht auf lustige Anekdoten der glücklichen Film-Familie - hier wird Tacheles geredet: Über die Enttäuschung der anderen Jungdarsteller, als sie bei den Vorbereitungen zu Teil Zwei realisierten, dass sie größtenteils zu Stichwortgebern für den neuen Superstar Sophie Marceau reduziert wurden; über das vielleicht etwas extreme väterliche Verhältnis von Regisseur Claude Pinoteau zu seiner jungen Hauptdarstellerin, mit der er fast drei Jahre lang permanent um die Welt jettete - Mentor, Vater und wichtigster Berater in einem; über die enorm PR-taugliche Liebesbeziehung zwischen Marceau und ihrem Co-Star Pierre Cosso; über die notwendige Abkapselung Marceaus von ihrem Vic-Image, von Pinoteau, von Cosso, und auch von "La Boum" (hier findet dann auch kurz die letzte Kollaboration von Pinoteau und Marceau Erwähnung, der oftmals als "La Boum 3" gehandelte Film "Die Studentin" aus dem Jahre 1988, der allerdings höchstens im Geiste an die alten Filme anknüpft); und vor allem über den weiteren Lebensweg der anderen Darsteller, die von den schönen ebenso wie von den unschönen Erfahrungen mit dem plötzlichen Ruhm erzählen (Sheila O'Connor, die Darstellerin von Vics bester Freundin Penelope, brach wegen der ständigen Piesackung durch Mitschüler und Lehrer frühzeitig die Schule ab), und mit ihren Biografien nüchtern und nachhaltig verdeutlichen, dass Berühmtheit - gerade in jungen Jahren - sehr schnell wieder vorbei ist, und es danach zurück in die Normalität geht. Eine gerade im Vergleich zu anderen DVDs erfrischend differenzierte, intelligente und aussagekräftige Dokumentation, die einen detaillierteren Blick hinter die Kulissen erlaubt, als es vier Stunden konventionelles Bonusmaterial könnten.
Spätestens dieses hervorragende Begleitmaterial sollte dann auch letztes überzeugendes Kaufargument für jeden Ex-Teenager sein, der oder die von "La Boum" durch die wilden Jahre der Pubertät begleitet wurde. Jenseits des unbestreitbaren Nostalgie-Wertes ist "La Boum" aber auch allen Nicht-Kennern zu empfehlen, die einen sympathischen, charmanten und vor allem grundauf ehrlichen Teenager-Film zu schätzen wissen, der - wenn man den etwas sehr staubigen und braven Stil der frühen 80er gekonnt übersieht - mehr universelle Pubertäts-Wahrheiten enthält als so ziemlich jeder Genre-Konkurrent. Und natürlich das unvergessliche Film-Debüt des schönsten Mädchens der Welt .... :-)
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